Karl Hirschland war vor 85 Jahren vor den Nazis geflohen. Seine Familie wurde im KZ Theresienstadt ermordet. Bei der Ausreise war Karl Hirschland elf. Und Schüler des Gymnasiums wie Jonathan (16) und Anna (18) und Pauline (18) heute. Als Jude wurde er in der NS-Zeit damals von Lehrern und Schülern immer wieder in die Außenseiter-Rolle gedrängt.
"Er musste sich von Lehrern die Bemerkung gefallen lassen, dass er sich in seiner Lage keine Streiche erlauben konnte", so Jonathan bei der Stolperstein Verlegung.
Ausgrenzung gehörte zum Alltag
"Das war schlimm für ihn", so Sue Hannam, Witwe von Karl. "Er wollte einfach dazu gehören." Ihr Mann hatte nach seiner Flucht nach England den Namen seiner Pflegefamilie angenommen, den deutschen Akzent abgelegt. Sue hat sich mit Sohn Simon und Enkeln auf den weiten Weg von London nach Essen gemacht, um den Ort kennenzulernen, an dem Karl aufgewachsen war - und die Essener Schüler zu treffen.
Ein Leben in Wohlstand zerbrach
Monatelang hatten sich die Gymnasiasten mit dem Schicksal der einst so einflussreichen und weit verzweigten Familie Hirschland beschäftigt. Ein Ergebnis: Bis zur Machtübernahme "führten sie ein Leben in Wohlstand und waren einfach Teil einer privilegierten Gesellschaftsschicht", so Anna.
Hirschlands gründeten das Folkwang Museum
Als Bankiers gingen bei den Hirschlands die Großen der Ruhr-Industrie ein und aus. Vater und Onkel von Karl Hirschland waren Mitbegründer des Folkwang Museums. "Mein Vater hatte zunächst eine glückliche Kindheit", so Simon. Über die bedrückende Zeit auch nach der Flucht habe sein Vater nicht gesprochen. "Er hat das Erlebte aber in mehreren Büchern verarbeitet." Erst nach dem Krieg erfährt Karl, dass seine Familie im Konzentrationslager ermordet wurde.
Erfolg rechtsextremer Parteien beunruhigt
Die Enkel von Karl Hirschland - Ben und Alice - sind selbst Lehrer und unterhalten sich vor der Stolperstein-Verlegung angeregt mit Anna, Jonathan und Pauline. Auf die Frage, ob ihn der Erfolg gerade rechtsextremer Parteien gerade auch in Deutschland beschäftige, sagt Ben: "Das beunruhigt mich sehr - auch den Antisemitismus sehe ich als große Gefahr."
"Wir empfinden hier so etwas wie Frieden"
Sue Hannam legt eine Rose auf den Pflasterstein aus Messing, in den der Jungenname ihres Mannes graviert ist. Über 100 Schüler, Anwohner und Vertreter der Jüdischen Gemeinde haben sich vor der Goetheschule eingefunden. "Wir empfinden so etwas wie Frieden hier", sagt die Londonerin. Die Familie freut sich auf den gemeinsamen Abend - eine Lehrerin hat zu sich nach Hause eingeladen.
Über dieses Thema berichtet der WDR am 19.06.2024 auch in der Lokalzeit Ruhr im WDR Fernsehen.
Unsere Quellen:
- WDR-Reporterin vor Ort
- Goethe Schule
- Familie Hirschland
- Familie Hannam