Während ich diesen Text schreibe, sitzt meine Tochter neben mir und übt Lernwörter. Anschließend stehen noch Mathe und Englisch auf dem Programm. Sie geht in die 4. Klasse. Fast jeden Tag, wenn sie um 15 und manchmal auch um 16 Uhr aus dem Offenen Ganztag kommt, gibt es noch etwas für die Schule zu tun. Manchmal klappt das gut, manchmal nicht.
Aber ehrlich gesagt: So hatten wir uns das nicht vorgestellt. Wieso müssen Eltern, wenn sie von der Arbeit kommen, noch so viel mit ihren Kindern für die Schule machen? Ist nicht das Konzept der Ganztagsbetreuung, dass die Kinder das meiste in der Schule erledigen? Wie schaffen das Alleinerziehende? Diese Fragen beschäftigen mich als Mutter und als Journalistin. Deshalb habe ich sie laut gestellt. An Erzieherinnen, andere Eltern, Lehrerinnen, Träger und Expertinnen. Auch in den sozialen Medien wurde ich fündig.
Viele Eltern unzufrieden mit OGS-Betreuung
Die Lerncoachin und Influencerin Caroline von St. Ange beispielsweise hat vor einigen Wochen eine Umfrage auf ihrem Account gemacht: "Wie glücklich seid ihr mit der Hausaufgaben-Betreuungssituation eurer Kinder?", hat sie ihre Follower gefragt. Das Ergebnis: Die meisten sind unzufrieden. In einem Kommentar dazu heißt es: "Wenn überhaupt Hausaufgaben gemacht werden, werden sie nicht kontrolliert und sind voller Fehler."
So wirklich überrascht mich das Ergebnis nicht. Und es deckt sich mit dem, was mir Betreuerinnen aus Ganztagsschulen in NRW berichten. "Es ist gar nicht möglich, am Nachmittag die Kinder gut bei den Hausaufgaben zu begleiten", erzählt mir eine Erzieherin. "Wenn Kolleginnen oder Kollegen ausfallen, sind wir manchmal alleine für mehr als 35 Kinder verantwortlich."
Personal auch ohne pädagogische Ausbildung
Fast zwei Jahre bevor Eltern bundesweit einen Rechtsanspruch auf einen Platz in der Nachmittagsbetreuung haben, fehlt es, neben ausreichend Räumen, vor allem an Personal. Dabei ist es längst üblich, dass in der OGS auch Menschen arbeiten, die gar keinen pädagogischen oder einen ganz anderen Abschluss haben.
Sie durchlaufen dann, wie zum Beispiel in Duisburg, "eine 90 Unterrichtseinheiten umfassende Qualifizierungsmaßnahme, in der die Kompetenzen für die pädagogische Arbeit in der OGS vermittelt werden", erklärt Marcel Fischell vom Evangelischen Bildungswerk des Kirchenkreises Duisburg.
Das Bildungswerk ist OGS-Träger an einigen Duisburger Schulen. Wenn es theoretisch so einfach ist, warum wollen dann nicht viel mehr Menschen in der OGS arbeiten? Für viele ist der Job offenbar nicht attraktiv genug.
Bei meiner Recherche stoße ich auf Professorin Sybille Stöbe-Blossey. Sie leitet eine Forschungsabteilung am Institut für Arbeit und Qualifikation an der Universität Duisburg-Essen und sagt: "Gebraucht werden weitere Quereinsteigende, die berufsbegleitend qualifiziert werden und die Aufstiegs- und Entwicklungsmöglichkeiten im System haben müssen." Dazu habe das Bundesfamilienministerium die Entwicklung eines Curriculums in Auftrag gegeben, das im Sommer 2025 vorliegen wird.
Ausstattung von Ganztagsschulen
Qualifizierung alleine reicht ihrer Meinung nach aber nicht aus. "Es müssen mehr Möglichkeiten für Beschäftigungsverhältnisse geschaffen werden, die über Halbtagsstellen am Nachmittag hinausgehen." Laut Stöbe-Blossey könnten Vollzeitstellen beispielsweise geschaffen werden, indem Erzieherinnen und Erzieher auch schon im Vormittagsunterricht oder bei der Inklusionsbegleitung eingesetzt werden. Das sei vor allem in sozial benachteiligten Stadtteilen sinnvoll und werde in einigen Städten in NRW auch schon so praktiziert.
Die personelle Ausstattung von Ganztagsschulen und somit auch ihre Qualität hängen allerdings davon ab, wie gut oder schlecht es einer Stadt finanziell geht – und wie diese ihre Prioritäten setzt. Somit gibt es zwischen den Kommunen landesweit sehr große Unterschiede, was die Qualitätsstandards in den verschiedenen Einrichtungen angeht.
80 Prozent der Grundschulkinder in NRW ab 2026 in OGS
Marcel Fischell vom Evangelischen Bildungswerk in Duisburg fordert deshalb: "Das Land NRW muss den OGS ausfinanzieren. Das Spielchen der Zuständigkeit zwischen Land und Kommunen hilft niemanden - es konterkariert den dringend notwendigen Ausbau zur Umsetzung des Rechtsanspruchs."
Das Land NRW rechnet damit, dass ab 2026 etwa 80 Prozent aller Grundschulkinder eine Nachmittagsbetreuung in Anspruch nehmen werden. Für all diese Kinder hoffe ich, dass sie dann eine gute Hausaufgabenbetreuung haben werden. Damit alle die gleichen Chancen haben. Denn dass ich mit unserer Tochter nachmittags um 16 Uhr Geometrie-Aufgaben machen kann, ist aus unterschiedlichsten Gründen nicht in jeder Familie eine Selbstverständlichkeit.
Unsere Quellen:
- WDR-Autorin
- Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend
- Prof. Dr. Sybille Stöbe-Blossey, Universität Duisburg-Essen
- Landesbetrieb It.NRW, Statistik und IT-Dienstleistungen