Digitale Einschulungstests: Wie spielerisch die Sprachkompetenz geprüft wird

Stand: 08.11.2024, 13:15 Uhr

130 Grundschulen probieren zur Anmeldung ein neues Tool des Schulministeriums für Sprachtests aus. Der WDR war exklusiv dabei.

Von Martina Koch und Helene Fröhmcke

"Ist das cool“, freut sich Moayad als er auf den Bildschirm blickt. Der Sechsjährige wurde zum digitalen Sprachtest in die Grundschule Medinghoven in Bonn eingeladen. Dort soll er im Sommer eingeschult werden. Jetzt will Schulleiterin Elke Buttgereit wissen, wie gut er schon Deutsch kann. Seine Eltern stammen aus Marokko und sprechen arabisch.

Vorschulkinder schon mit digitalen Medien vertraut

Wie bei einem Videospiel muss Moayad Fragen beantworten -  gut zuhören, genau hinschauen, schnell reagieren. "Ist doch einfach“, ruft er immer wieder aus. Er macht zu Hause oft Computerspiele. Bei dem Einschulungstest geht es um Worte, Formen oder Zahlen. "Wo hörst du ein ‚t‘?", fragt das Gerät zum Beispiel. Moayad soll dann aus vier Begriffen auf das Bild mit dem Tisch tippen - und macht es richtig.

Das Hören verschiedener deutscher Laute fällt ihm aber noch schwer. Den Unterschied zwischen "Kahn“ und "Kran“ hört er nicht. Auch mit Reimen wie "Maus“ und "Haus“ kann er nichts anfangen. Mit Zahlen und Formen hat er kaum Probleme. Insgesamt braucht er mehr als 45 Minuten. Der Test hat ihm sichtlich Spaß gemacht.

Test liefert sofort die Auswertung

Moayad macht den Sprachtest | Bildquelle: Martina Koch

Schulleiterin Elke Buttgereit ist überrascht, wie konzentriert die Kinder versuchen, die Aufgaben zu lösen. Dann klickt sie auf "Auswertung" und erhält binnen weniger Minuten eine sehr detaillierte Bewertung samt Empfehlungen für eine Förderung bis zur Einschulung. Darüber wird sie mit den Eltern sprechen. An dieser Bonner Grundschule haben die allermeisten Kinder eine Migrations- oder Fluchtgeschichte. Deshalb testet die Schulleiterin jetzt alle Kinder vor der Einschulung mit dem neuen, digitalen Tool.

Jede Schule hat bisher eigenen Einschulungstest

Das ist in der Pilotphase mit zusätzlichem Aufwand verbunden. Denn wie alle fast 2.800 Grundschulen im Land hat auch Elke Buttgereit für die Anmeldung zur Grundschule ein eigenes, so genanntes Schulspiel entwickelt, um den Entwicklungsstand des Kindes festzustellen. Das hat sie, wie immer bei der Anmeldung, auch in diesem Jahr mit den mehr als 50 Kindern gemacht. Für den digitalen Test gab es jeweils einen zweiten Termin. Aber es habe sich gelohnt, so Elke Buttgereit. Langfristig rechnet sie mit einer Entlastung, wenn nur noch das digitale Screening gemacht würde.

NRW-Schulministerin Dorothee Feller (CDU) will zunächst die Erfahrungen der 130 Grundschulen abwarten, die bis 15. November 2024 das neue Tool testen. Danach möchte sie schon für das nächste Anmeldeverfahren allen Grundschulen die neuen digitalen Einschulungstests zur Verfügung stellen. Schrittweise solle der Einsatz verpflichtend für alle Schulen werden, um auch Dinge vergleichen zu können, so Feller im WDR-Interview. Auch die anschließende Sprachförderung wünscht Feller sich verbindlicher. Denn immer mehr Kinder hätten Schwierigkeiten, so die Ministerin weiter.

Zahl der Rückstellungen steigt

Das zeigt sich auch in Zahlen aus dem NRW-Schulministerium: Wurden zum Schuljahr 2019/2020 landesweit 3.200 Kinder zurückgestellt, also später eingeschult, so waren zum letzten Schuljahr bereits 5.700 Kinder, also beinahe doppelt so viele. Dafür gibt es viele Gründe. Aber die fehlenden Sprachkenntnisse spielen eine große Rolle. Viele Eltern können ihre Kinder nicht ausreichend fördern und erwarten Hilfe in den Kitas. Aber nach wie vor gibt es nicht für alle Kinder einen Platz. Sieben Prozent der Fünfjährigen besuchen aktuell keinen Kindergarten, teilt das Statistische Landesamt mit.

Um die Sprachförderung in den Kitas zu verbessern, hatte der Bund ein spezielles Programm aufgelegt. In NRW wurden daraus fast 1.500 so genannte Sprachkitas finanziert. Das sind Einrichtungen, in denen ein Großteil der Kinder Migrations- oder Fluchtgeschichte hat. Dort unterstützen Fachkräfte die Erzieherinnen und Erzieher bei der alltagsintegrierten Sprachförderung der Kinder. Doch der Bund bezahlt das nicht mehr - und das Land ist für viele Träger zu spät und auch nur befristet eingesprungen. Inzwischen ist die Zahl der Sprachkitas auf 1.150 gesunken, wie das NRW-Familienministerium mitteilt. Die Unsicherheit sei zu groß gewesen, so Ulrike Karwowski vom Caritasverband Düsseldorf. Jetzt mache man die Sprachförderung in Eigenregie und setze die Fachkräfte anders ein.

Opposition will die Tests schon für 4-Jährige

SPD und FDP wollen die frühkindliche Bildung neu aufstellen, mit mehr Geld und mehr Personal. Die digitalen Sprachtests sollten viel früher stattfinden, heißt es. "Das kann man mit dem dritten oder vierten Lebensjahr machen“, sagt Marcel Hafke, familienpolitischer Sprecher der FDP-Landtagsfraktion. Er nennt andere Bundesländer wie Bayern als Vorbild. Die SPD fordert nach dem Vorbild Hamburgs dazu ein so genanntes Chancenjahr für Kinder mit Defiziten durch verbindliche Sprachförderung vor der Einschulung.

Verpflichtendes Vorschuljahr?

Dorothee Feller (CDU) | Bildquelle: WDR

Schulministerin Dorothee Feller ist sogar offen dafür, ein verpflichtendes Vorschuljahr einzuführen. Aber dazu müssten zunächst die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden. Und das bedürfe noch einer Prüfung. Andere europäische Länder sind da weiter. In Österreich gibt es eine Kitapflicht für Kinder ab fünf Jahren, in der Schweiz in einigen Kantonen ab sechs Jahren und in Frankreich eine Vorschulpflicht ab drei Jahren.

Unsere Quellen:

  • Schulministerium NRW
  • Familienministerium NRW
  • WDR-Recherchen

 Über dieses Thema berichten wir am 10.11.2024 auch im WDR Fernsehen: Westpol ab 19:30 Uhr.