Schon im Frühjahr beschwerten sich Stadtführer in einem offenen Brief an die Oberbürgermeisterin, dass sie den Stadtbesuchern kaum noch ungestört die schönen Seiten der Kaiserstadt zeigen könnten. Sie wüssten nicht, durch welche Straßen sie gehen sollten. Kaufleute beschweren sich regelmäßig über Obdachlose in Geschäftseingängen, Anwohner klagen über Drogenutensilien oder Exkremente vor der Haustüre.
Massive Belästigungen
Allerdings unterscheidet sich Aachen da kaum von anderen Großstädten in NRW, weiß der Leiter des Fachbereichs Soziales bei der Stadt, Rolf Frankenberger: "Wir wissen, dass Leute bestimmte Wege nicht mehr durch die Innenstadt gegangen sind, weil sie sich massiv belästigt gefühlt haben. Wir wissen, dass Kinder auf dem Weg zu Schule sich nicht sicher gefühlt haben.“ Organisierte Banden, die Betteln als Geschäftsmodell betreiben, hätten sich in Aachen allerdings noch nicht breitgemacht.
Vom Ruf nach hartem Durchgreifen ist Einzelhändler Frank Wienand weit entfernt. Der Herrenausstatter sieht das Leid der Obdachlosen und Verwahrlosten. Aber er will auch, dass die Anliegen der Anwohner und Geschäftsleute Gehör finden. "Wenn jemand im Geschäftseingang bei mir liegt, bitte ich ihn wegzugehen, was meistens klappt. Es passiert aber trotzdem, dass man da aggressiv angesprochen wird. Das ist unangenehm, nicht nur für mich, sondern auch für unsere Kunden.“
Mehr Ordnungskräfte, mehr Sozialarbeiter
Vor kurzem hat der Aachener Stadtrat ein Maßnahmenpaket beschlossen, um der Probleme Herr zu werden. Jegliches Betteln in der Innenstadt ist jetzt im Umkreis von fünf Metern rund um Geschäfte, Bushaltestellen, Straßencafés, Geldautomaten und an vielen anderen Stellen verboten. Es sollen mehr Ordnungskräfte auf die Straße, aber bald auch mehr Sozialarbeiter.
Die stadtbekannte Drogenszene am Kaiserplatz und mit ihr die illegale Straßenprostitution sollen aufgelöst werden. Wie? Das ist noch unklar. Zurzeit ist jede dritte Stelle im städtischen Ordnungs- und Sicherheitsdienst unbesetzt. Es fehlt Personal, um die Verbote auch durchzusetzen. Und dass der Betreiber des Straßencafés dann selbst tätig werden darf, ist unwahrscheinlich. Rolf Frankenberger: "Wir werden sehen. Das ist ein lernendes System."
Sucht lässt sich nicht verbieten
Mit Verboten alleine werde man aber nicht weiterkommen, weiß Dr. Michael Paulzen vom Aachener Alexianer-Krankenhaus, einem Spezial-Hospital für psychische Erkrankungen. Denn Sucht sei eine pschische Erkrankung.
"Wir wissen seit fast 30 Jahren, dass achtzig bis neunzig Prozent der Menschen, die draußen leben, Menschen mit psychischen Erkrankungen sind. Da braucht es ein integriertes Konzept, das nicht nur Verbote oder Restriktionen macht.“
Die Stadtverwaltung hat jetzt die erste von geplant drei neuen Stellen für Sozialarbeiter ausgeschrieben. Sie sollen sich verstärkt um die Bettler-, Obdachlosen- und Junkieszene kümmern. Schon jetzt sind an die vierzig Männer und Frauen in der Stadtverwaltung für den Bereich zuständig. Für die Wohnungslosenhilfe zahlt die Stadt fünf Millionen im Jahr, die Städteregion gibt 2,5 Millionen für die Suchthilfe. Man müsse aber immer wieder neu schauen, wo Lücken sind, wo die Hilfe anders organisiert werden müsse, sagt Rolf Frankenberger.
Kooperation und passgenaue Hilfe
In Aachen – wie in anderen Städten – gibt es dazu ein enges Netz von Hilfsorganisationen. Angefangen bei der Caritas über kirchliche Angebote und Unterstützerkreise bis zur niedrigschwelligen Anlaufstelle "Café Plattform". Vor ein paar Jahren stand die Einrichtung noch finanziell auf der Kippe. Das ist derzeit kein Thema mehr. Die Einrichtung bietet neben Kaffee, Kontakten und Beratung auch Notschlafstellen an. Leiter Marc Krznaric ist froh, dass die verschiedenen Stellen in Aachen gut kooperieren. Und dann in Absprache mit anderen nach einer passgenauen Hilfe zu suchen.
Ein Euro, der nichts nutzt
Zuhören heißt für ihn aber nicht, alles zu akzeptieren und alle Wünsche zu erfüllen. An der Seite der Obdachlosen stehen jederzeit, aber aggressives Verhalten tolerieren nein, Klare Grenzen ziehen ist eine Linie. Eine eigene Antwort hat Marc Krznaric auch auf die Frage, ob man Bettlern auf der Straße Geld geben soll. "Ich persönlich würde aus fachlicher Sicht sagen, dass der Euro, den man gibt, die Menschen ein Stück weit von den Einrichtungen fernhält, wo möglicherweise Perspektiven erarbeitet werden können." Die Menschen würden so in eine falsche Autonomie geführt, in der sie vermeintlich auf die Hilfe des Unterstützungssysteme nicht mehr angewiesen seien.
Will sagen: Solange Bettler sich auf der Straße mit allem Notwendigen selbst versorgen können, werden sie von sich aus nur wenig an ihrer Situation ändern wollen. Wenn das stimmt, dann wäre die hilfreichste Antwort auf die Frage "Haste mal nen Euro?" – ein klares Nein.