Auch im ersten Prozess hatte Bernhard Günther ausgesagt. Jetzt beschrieb er erneut den Ablauf der Tat, wie er etwa Anfang März 2018 vom Joggen kurz vor seinem Zuhause von zwei Männern zu Boden gebracht wurde. Aus einem Hinterhalt sei einer von hinten, der andere von vorne auf ihn zugekommen. Einer von beiden habe dann eine Flüssigkeit über ihn geschüttet - wie sich herausstellen sollte, war es konzentrierte Schwefelsäure.
"Sie machten auch keine Anstalten, ihre Gesichter zu verstecken."
"Ich wurde überraschend sanft zu Boden gebracht, das hat mich überrascht", so Günther im Prozess. "Ich hätte erwartet, dass man mich umhaut." Wer geschüttet habe, das könne er nicht sagen. Dafür aber das: "Mir fiel auf, dass beide nicht maskiert waren. Sie machten auch keine Anstalten, ihre Gesichter zu verstecken."
Beginn eines Martyriums
Er sei dann nach Hause gelaufen, habe versucht, die Flüssigkeit abzuwaschen. Dann habe er den Notruf gewählt, Krankenwagen, Rettungshubschrauber - der Beginn eines Martyriums für den heute 57-jährigen Top-Manager.
Immer wieder Fragen
Die ersten Tage danach habe er starke Schmerzmittel bekommen. "Das war mehr als Aspirin, ja." In einem Ausnahmezustand sei er nicht mehr gewesen und er habe auch Fragen beantworten können und auch müssen: Immer wieder habe er verschiedenen Menschen den Tatablauf schildern müssen.
Unter anderem auch auf der Intensivstation. Immer wieder sei es um das Aussehen der Täter gegangen. Der 36-jährige Angeklagte verfolgte Günthers Aussage mit ernstem Gesicht, schaute das Tatopfer aber nicht an.
Langwierige Ermittlungen
Die Staatsanwaltschaft ermittelte nach der Tat ohne Ergebnis, stellte die Ermittlungen schließlich ein. Sie nahm sie wieder auf, nachdem Bernhard Günther und sein damaliger Auftraggeber Innogy erfolgreich Belohnungen für Hinweise auslobten. Diese führten schließlich zum rechtskräftig verurteilten Täter, einem 42 Jahre alten Belgier, der eine Haftstrafe von zwölf Jahren absitzt.
Der 36-jährige Angeklagte im heutigen Prozess schweigt bisher. Ihm ins Gesicht sehen zu müssen, machte Bernhard Günther offenbar nichts aus – nach außen zumindest.
Medizinische Folgen
Der Vorsitzende Richter befragte Günther zu den gesundheitlichen Folgen bis heute: "Hätte ich die Säure nicht abgewaschen, wäre von meinem Gesicht nichts übrig geblieben." Erblindet sei er nur nicht, weil er Kontaktlinsen trug. Die schlimmste seiner vielen Operationen sei die komplette Transplantation der Augenlider gewesen. Ohne die gäbe es keinen Lidschluss: "Und man erblindet zwangsläufig."
Seine Familie und er seien in traumatherapeutischer Behandlung gewesen. Dass für ihn heute noch eine Bedrohungssituation bestehe, glaubt er nicht. Der Prozess wird fortgesetzt.
Unsere Quellen:
- Reporter vor Ort
- dpa