Versorgung von Obdachlosen: Was tut NRW gegen Wohnungslosigkeit?

Stand: 30.01.2023, 14:35 Uhr

In Dortmund macht gerade eine Initiative mit einem Protestcamp auf das Thema Wohnungslosigkeit aufmerksam. Sie fordern akzeptable und kostenlose Notunterkünfte. Wie geht NRW mit Wohnungs- und Obdachlosigkeit um? Einschätzungen von Experten.

Andreas Sellner ist zuständig für das Thema Wohnungsnothilfe bei der Caritas-NRW. Er sieht die Kommunen in Nordrhein-Westfalen klar in der Verantwortung: "Es ist nicht nur Aufgabe des Landes, obdachlose Menschen zu versorgen, sondern die Kommunen müssten letztlich dafür sorgen, dass kein Mensch draußen übernachten muss."

"Alle sind gleich überfordert"

Diese Aufgabe und Verantwortung würden die Städte und Gemeinden in NRW auch wahrnehmen, meint Sellner. Aber: "Alle sind gleich überfordert". Das Ziel der Bundesregierung bis 2030 die Wohnungs- und Obdachlosigkeit zu überwinden – wie es im Koalitionsvertrag heißt – hält Sellner für "löblich, aber vor dem Hintergrund der aktuellen Krisen immer schwieriger zu erreichen". Man sollte dieses Ziel aber unbedingt im Blick behalten. Städte und Gemeinden versuchten auch, die Initiative des Landes umzusetzen, stünden aber vor einer großen Herausforderung.

Mit folgenden Mitteln versuche man in NRW die Wohnungs- und Obdachlosigkeit zu bekämpfen:

1. Prävention: Die Vermeidung von Wohnungsverlust - etwa durch Beratungsangebote

2. Neben der Hilfe bei Wohnungsverlust auch Angebote einer "Aufstiegskarriere" - etwa durch die Vermittlung einer Wohnung.

3. In den sogenannten "Kümmerer"-Projekten widmen sich Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter vor allem den Menschen, deren Elend auch auf den Straßen in NRW zunehmend sichtbar wird.

Immer mehr Menschen wohnungslos

Die Bundesregierung zählte in ihrem Bericht von vor einem Jahr rund 263.000 Menschen als wohnungslos und nannte 37.000 Menschen, die als Obdachlose auf der Straße leben. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) schätzt die Zahl allerdings deutlich höher ein. Der Verein bündelt die sozialen Dienste und Einrichtungen für Menschen, die von Wohnungs- und Obdachlosigkeit betroffen sind und spricht von etwa 306.000 Menschen, die im Jahr 2020 in Deutschland wohnungslos waren - darunter 45.000 Menschen ganz ohne Unterkunft. In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Wohnungslosen laut BAGW zudem kontinuierlich gestiegen.

Nach "vorsichtigen Schätzungen" einer vom nordrhein-westfälischen Sozialministerium in Auftrag gegebenen Untersuchung lebten im Juni/Juli 2021 in Nordrhein-Westfalen ca. 5.300 Personen auf der Straße. Auch wenn NRW eine "qualitative Wohnungsnotfall-Berichterstattung" von den Kommunen fordert, so werden dabei nur die wohnungslosen Menschen in einer Einrichtung erfasst. Diese jährliche Erhebung über die Obdachlosigkeit hat laut Ministerium das Ziel, einen Überblick über die Zahl der wohnungslosen Personen, ihre soziodemografische Struktur sowie die Art ihrer Unterbringung zu gewinnen.

Aber immerhin hat NRW so schon vor Jahren die Städte und Gemeinden in die Pflicht genommen und war damit Vorreiter in Deutschland. Den Erhebungen müssen jedoch Taten folgen, und so wird vor allem bezahlbarer Wohnraum benötigt. Größtes Problem hierbei: "Es gibt keine Wohnungen, die im Preissegment sind, das eine Kommune für einen wohnungslosen Menschen übernimmt", klagt Andreas Sellner von der Caritas über den teuren Wohnungsmarkt.

Bezahlbarer Wohnraum fehlt

Auch Werena Rosenke, Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe, ist "skeptisch", dass das Ziel der Bundesregierung in so kurzer Zeit erreicht werden kann. Sie fordert mehr bezahlbare Wohnungen zu bauen und die Präventionsarbeit stärker zu unterstützen, so dass Menschen erst gar nicht in die Wohnungslosigkeit abrutschten.

"Sie brauchen die Wohnungen dafür, und da siehts mau aus." Werena Rosenke, Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW)

Privatisierungen sollten ihrer Meinung nach zurückgenommen werden und gemeinnützige Wohnungsträger müssten mehr mit einbezogen werden. Rosenke hält das Ziel der Bundesregierung für "sehr ambitioniert". Noch gebe es keinen Aktionsplan, man arbeite aber eng mit den Bundesministerien zusammen.

Der Kritik am unzureichenden Ausbau bezahlbaren Wohnraums schließt sich Caritas-Experte Andreas Sellner an. Die Kommunen seien gefragt, hier alle Möglichkeiten auszuschöpfen: "Man könnte sicherlich noch etwas mehr in Bezug auf Baulandausweisung tun. Heißt: Grundstücke oder Erbbaupachtgrundstücke zur Verfügung stellen. Und auch was die Objekte im Bestand betrifft. Hier sollten nicht mehr genutzte oder leerstehende Gebäude zur Verfügung gestellt werden, um diese dann für Wohnzwecke zu nutzen bzw. nutzbar zu machen."

Lob für NRW

Nordrhein-Westfalen schneidet dennoch beim Engagement gegen Wohnungslosigkeit aus Sicht der Experten gut ab. Mit seiner eigenen Initiative "Endlich ein ZUHAUSE!" tue NRW schon einiges. Sozialminister Karl-Josef Laumann habe diese Menschen im Blick und setze sich glaubhaft für sie ein, lobt Caritas-Experte Andreas Sellner. Es werde nicht nur Geld verteilt, sondern es gäbe auch Konzepte. So arbeiten in NRW seit Jahren Profis, meist bei den Sozial- und Wohlfahrtsverbänden, die im Auftrag der Kommunen gezielt nach bezahlbaren Wohnungen auf dem Markt suchen.

Einige Städte würden sich auch finanziell ins Zeug legen, um der Wohnungs- und Obdachlosigkeit die Stirn zu bieten.

"Düsseldorf ist so angefixt, dass sie sagen: Komm, da packen wir noch was drauf!" Andreas Sellner, Experte für Wohnungsnothilfe bei der Caritas-NRW

Auch von Seiten der Privatwirtschaft oder privaten Vermieterinnen und Vermietern sei grundsätzlich Bereitschaft da, Wohnraum zur Verfügung zu stellen, berichtet Sellner. Zudem sei das Kontakt- und Beratungsangebot in NRW gut - wenn auch überlaufen.

Größte Dichte an kommunalen Fachstellen

Ein positives Zeugnis für NRW stellt auch Werena Rosenke von der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe aus. Das Land habe die Wohnungslosigkeit zwar "keinesfalls beseitigt", die Programme der Landesregierung seien aber ein sehr guter Ansatz, und NRW weise die größte Dichte an kommunalen Fachstellen zur Prävention der Wohnungslosigkeit auf. Große Unterschiede gebe es aber in der Unterbringung von wohnungslosen Menschen. Aber auch hier, hebt die Geschäftsführerin der BAGW hervor, gäbe es in NRW immerhin seit letztem Jahr Empfehlungen zu Standards. Einzige Kritik daran: Diese Standards sollten dann auch vom Land überprüft werden, findet Rosenke.