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Obdachlosigkeit

Obdachlos oder wohnungslos – 7 Projekte, die helfen

Stand: 17.07.2023, 11:07 Von Tobias Spelz Glücksfunken

Von Tobias Spelz

Fast 40.000 Menschen leben Schätzungen zufolge in Deutschland auf der Straße. Oft nehmen wir diese Menschen und ihre individuelle Geschichte nicht richtig wahr. Manchmal werden sie sogar aktiv aus den Innenstädten vertrieben – zum Beispiel mit Stacheln ("Spikes") unter Brücken, sogenannter "Hostile Architecture".

Es gibt aber auch das Gegenteil: Menschen, die Obdachlose und ihre Bedürfnisse mehr in den Mittelpunkt rücken. Wir stellen hier sieben solcher Projekte vor. Einige davon richten sich nicht nur an Obdachlose, sondern auch an Menschen mit eigener Wohnung. Ziel des Ganzen: den direkten Austausch fördern. Denn Verständnis für die Situation von Obdachlosen ist der erste Schritt zu einem besseren Miteinander. 

1. Hilfe bei Extremwetter: Hitze- und Kältebusse

Menschen ohne Dach über dem Kopf sind den Temperaturen draußen ausgesetzt. Egal ob extreme Hitze oder extreme Kälte – beides kann für sie gesundheitlich gefährlich werden. An heißen Tagen ist es überlebenswichtig, genug zu trinken und sich vor der Sonne zu schützen. In manchen Winternächten droht ihnen hingegen der Kältetod.

In einzelnen Städten, wie zum Beispiel Berlin, Hamburg oder Solingen, gibt es Busse, die im Hochsommer und im tiefsten Winter durch die Stadt fahren, um die Menschen mit notwendigen Dingen zu versorgen. Die Helfer:innen versorgen sie bei Hitze mit Wasser, Sonnencreme und schützender Kleidung und bei Kälte mit wärmenden Getränken, Speisen und Schlafsäcken.

2. Obdachlose zeigen ihre Stadt bei einer Stadtführung

Wie sehen Obdachlose eine Stadt? Diese etwas andere Perspektive auf das urbane Leben zeigen einige ehemals Obdachlose auf speziellen Führungen. Hier werden nicht die klassischen Sehenswürdigkeiten für Tourist:innen vorgestellt, sondern Orte, die für obdachlose Menschen wichtig sind.

Die ehemalige Obdachlose Melanie, die eine Stadtführung in Bonn leitet. | Bildquelle: WDR

Dabei zeigen sie auch, mit welchen Problemen und Schwierigkeiten ein Mensch ohne Unterkunft jeden Tag zu kämpfen hat: Wo geht man auf Toilette? Wo kann man günstig sein Hab und Gut einschließen? Wo gibt es Angebote zum Waschen? Wo bekommt man Trinkwasser? Das zeigt zum Beispiel Stadtführerin Melanie in Bonn.

Sie war einst selbst obdachlos und ist nicht die einzige, die solche Touren anbietet. Organisiert werden die Führungen vom Verein "Stadtstreifen", der das Projekt gegründet hat. Ähnliche Führungen gibt es auch in Köln, Dortmund oder Berlin.

3. Kostenloser Haarschnitt für Bedürftige

Die "Barber Angels" tragen Rockerjacken und heißen "Lady Grey", "Papa Bär" oder "Miraculix". Sie sind Friseurinnen und Friseure mit einer Mission: Wohnungs- und Obdachlosen kostenlos die Haare zu schneiden. Also denjenigen, die sich das normalerweise nicht ohne Weiteres leisten können. Als "Barber Angels", also Barbier-Engel, gehen sie in Wohneinrichtungen oder Bahnhofsmissionen.

kugelzwei: Neuer Blick auf Obdachlose Markt 30.11.2022 09:53 Min. Verfügbar bis 30.11.2027 WDR

Ein Friseur aus Baden-Württemberg hatte 2016 diese Idee. Mittlerweile haben die Barber Angels rund 400 Mitglieder in ganz Europa. Die Friseurinnen und Friseure nutzen ihr Handwerk, um ohne Gegenleistung Gutes zu tun. Während des kostenlosen Haarschnitts entstehen oft Gespräche und Bekanntschaften. Und der Blick in den Spiegel, nachdem Haare und Bart wieder in Form sind, ist jedes Mal ein Erlebnis.

4. Eine Bank für alle statt feindselige Architektur in der Stadt

Sitzbänke in Köln, die im Stil der Hostile Architecture nur zum Sitzen und nicht zum Liegen entworfen wurden. | Bildquelle: WDR / Ulla Anne Giesen

"Hostile Architecture" – feindselige Architektur: Mit dieser Architektur sollen Menschen aus dem öffentlichen Raum ferngehalten werden. Dazu gehören Bänke mit Stahlbügeln, auf die man sich nur setzen, aber nicht legen kann. Ein anderes Beispiel sind Spikes auf Luftschächten oder unter Brücken. 

Stefano Boeri, Architekt aus Mailand, hat einen Gegenentwurf entwickelt: Eine Bank als Kunstprojekt. Er nennt sie "eine Bank für die, die ein Heim haben, und für die, die keins haben".

Die von ihm konzipierte Bank lässt sich auch zum Schlafplatz umbauen. Hier darf sich jeder ausruhen, gemütlich und geschützt vor Sonne und Wind. Dem Architekten ist bewusst, dass die Bank nicht die Probleme der Obdachlosigkeit lösen kann. Für ihn ist die Bank ein Denkanstoß, damit wir uns fragen: Wie sollte eine Gesellschaft mit obdachlosen Menschen umgehen?

5. Housing First

Finnland gilt als Vorreiter im erfolgreichen Umgang mit Obdachlosigkeit. Die Obdachlosenzahlen sind hier seit Jahren rückläufig. Unter anderem aufgrund eines konsequenten Wohnprogramms, das sich "Housing First" nennt. Obdachlose bekommen hier bedingungslos eine kleine Wohnung. Die erforderlichen Wohnungen stellt eine Stiftung zur Verfügung oder baut sie neu.

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Dieser Ansatz sieht die eigenen vier Wände als wichtigen Baustein für die erfolgreiche Reintegration. Aus dem geschützten Raum heraus können weitere Probleme besser angegangen werden. Hierbei stehen auch Sozialarbeiter:innen zur Unterstützung bereit.

Der Großteil der ehemals Obdach- und Wohnungslosen schafft so den Weg zurück in ein stabiles Leben. Auch in Deutschland werden Housing First-Programme bereits angewandt.

6. Studierende und frühere Obdachlose wohnen in einer WG

Ein Zimmer vom Wohnprojekt VinziRast in Wien, wo ehemalige Wohnungslose mit Studierenden zusammenwohnen. | Bildquelle: WDR / dpa Picture-Alliance / Gilbert N

Im Wiener Sozialprojekt "VinziRast – mittendrin" wohnen junge Studierende zusammen mit ehemals Obdachlosen in Wohngemeinschaften. Gemeinschaftsküchen und Wohnzimmer sorgen für viel Austausch untereinander.

Es gibt Werk- und Veranstaltungsräume, Studierzimmer und einen Dachgarten. Das Projekt hat auch das Ziel, sich selbst und andere besser kennenzulernen und neue Perspektiven zu erhalten.

7. Geschenkte Tiny Houses als Unterkunft und Wohnung

Freiwillige vom Verein Little Home aus Köln, die Tiny Häuser für Wohnungslose in Wiesbaden bauen. | Bildquelle: WDR / dpa / Hannes P. Albert

Ein Stück Privatsphäre auf ein paar Quadratmetern ermöglicht der Verein „Little Home“ aus Köln. Freiwillige bauen Mini-Häuschen und verschenken sie an Obdach- und Wohnungslose.

Die „Little Homes“ stehen auf Rädern, sie benötigen deshalb keine Baugenehmigung. Zur Einrichtung der Mini-Häuschen gehören eine Matratze, ein Feuerlöscher und eine Camping-Toilette. Die Little Homes stehen bereits in vielen deutschen Städten, beispielsweise in Köln, Potsdam, Kiel, Wiesbaden oder Nürnberg.

Mehr Informationen zum Thema:

Informationen und Statistiken der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (bagw.de)

Homepage der Barber Angels (b-a-b.club)

Stadtführungen von aktuell oder ehemals Obdachlosen in Bonn / Homepage des Vereins stadtstreifen e.V. (stadtstreifen.org)

Informationen und Hintergründe zu Housing First in Finnland von der beteiligten Stiftung (ysaatio.fi)

Informationen und Hintergründe zum Wohnprojekt "VinziRast mittendrin" in Wien (vinzirast.at)

Informationen und Hintergründe zum Verein "Little Home" (little-home.eu)

Wohnungslosenbericht 2022 (bmws.bund.de)

Kommentare zum Thema

  • mulOMpUR 23.12.2023, 05:37 Uhr

    Dieser Kommentar wurde gesperrt, weil er gegen unsere Netiquette verstößt. (die Redaktion)

  • Julia 18.07.2023, 12:39 Uhr

    Es ist für uns 'normale' Mitbürger*innen wichtig Einblicke in die Lebenswirklichkeit von Wohnungslosen zu bekommen, damit wir uns richtig verhalten können. Besonders hilfreich finde ich Tipps, wie ich ganz einfach helfen kann. z.B. mit Toilettenartikeln und / oder Wasser ... Danke an Euch für diesen Bericht.

    • kugelzwei 18.07.2023, 15:32 Uhr

      Schön, dass dir der Artikel gefällt. Hast du noch weitere Tipps?

    • Oliver Hertwig 20.07.2023, 06:18 Uhr

      Wenn Du Dich sicher in der Situation fühlst, ist ein "Hallo, wie geht es Ihnen?" ein Zeichen, dass Du die Unsichtbaren siehst. Oft wirst Du daher schon eine freundliche Antwort erhalten. Wenn Du Kontakt bekommst, frag: "Brauchen Sie etwas?" Die Straßenmenschen können so selber sagen, womit Du im Hier und Jetzt helfen kannst. Wenn man Dich nach Geld fragt: Wenn Du willst und kannst: Machen. Mach Dir keinen Kopf darüber, wofür die Unsichtbaren das Geld ausgeben - Deine 50 Cent starten oder beenden keine Suchtkarriere. Wenn Du magst, sprich mit den Unsichtbaren und schenk Ihnen, wenn Sie erzählen wollen, ein bisschen Zeit, hör Ihnen zu. Geht es einem Straßenmenschen erkennbar sehr schlecht, trau Dich und ruf die 112. Sprich im Zweifelsfall andere Menschen an und bitte um Hilfe. Wenn Du im EN-Kreis, Hagen oder Wuppertal abends oder nachts auf Straßenmenschen triffst, die Hilfe brauchen: Anruf oder WhatsApp an 017634347385. Wir von unsichtbar-ev.de kommen raus und versuchen, zu helfen.

  • Oliver Hertwig 18.07.2023, 08:23 Uhr

    Vielleicht für Euch und uns in diesem Zusammenhang auch interessant: Ihr könnt Euch ehrenamtlich in der Obdachlosenhilfe engagieren - Vereine wie z.B. Unsichtbar e.V. (unsichtbar-ev.de) arbeiten unterstützend und aufsuchend mit Straßenmenschen und leisten vor Ort und direkt Hilfe.

    • kugelzwei 18.07.2023, 15:31 Uhr

      Danke für den Hinweis!

    • Julia 14.08.2023, 13:01 Uhr

      Hallo Oliver Hertwig, ganz herzlichen Dank für die kurze Info vom 20.07.2023 - und auch für den Link vom 18.07.2023 - Das ist kurz und präzise und kann ich mir gut merken. Jetzt fühle ich weniger Hemmungen für die Kontakte mit Unsichtbaren, die noch kommen werden. Alles Gute für Deine Projekte. Julia

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