In der Obdachlosigkeit verschlechterte sich seine gesundheitliche Situation lebensbedrohlich. Im Interview mit dem WDR 5 Morgenecho erzählt er, wie sein Leben als Obdachloser aussah, wie er es wieder zurück ins Leben geschafft hat und was Obdachlose in Deutschland brauchen.
Herr Hoek, wie sind Sie damals über die Runden gekommen?
André Hoek: Durchs Betteln. Ich musste mich mit Betteln finanzieren. Ich hatte vor, erst ins Hartz-IV-System zu gehen, ich kam aus dem Ausland zurück. Aber das klappte aus verschiedenen Gründen nicht. Dann habe ich mich am Berliner Hauptbahnhof aufgehalten und Reisende angesprochen und um ein bisschen Kleingeld gebeten.
Wie hat sich denn Ihr Alltag damals gestaltet? Gab es da so etwas wie einen Rhythmus?
André Hoek: Ja, tatsächlich. Ich bin Asperger-Autist und klebe sehr an Routinen. Also, ich bin morgens sehr früh aufgestanden, habe mir, wenn ich Geld hatte, ein Frühstück geleistet bei McDonald's, wenn nicht, fing ich gleich an mit dem Betteln. Und hab das so den ganzen Tag gemacht.
Am Abend hat man sich dann was zu Essen gekauft und ist dann wieder auf seinen Schlafplatz gegangen. Eigentlich sehr trist und irgendwie immer gleich. Es wurde höchstens mal durch Gewalttätigkeiten, denen man da ausgesetzt ist beim Betteln oder irgendwelchen schlimmen Erlebnissen unterbrochen.
Gab es denn in dieser Zeit Menschen, mit denen Sie irgendwie verbunden waren, die Sie öfter getroffen haben?
André Hoek: Wir waren so eine kleine Gruppe von Obdachlosen. Wir hatten denselben Schlafplatz und hielten uns auch am Tag am Hauptbahnhof auf. Das war aber mehr eine Not-Gemeinschaft. Man wurde aus allen möglichen sozialen Schichten zusammengewürfelt und versuchte, halbwegs vernünftig miteinander klarzukommen. Im normalen Leben hätten wir wahrscheinlich wenige Berührungspunkte gehabt. Aber es war wenigstens ein bisschen hilfreich.
Allerdings sind diese Bündnisse auch sehr fragil, die halten in der Regel auch nicht lange. Der, der heute dein bester Freund zu sein scheint, kann morgen dein schlimmster Feind sein.
Sie haben eben von Gewalt berichtet, die Sie erlebt haben. Das heißt, die Solidarität oder Verbundenheit ging damals nicht so weit, dass Sie sich gegenseitig auch geschützt oder gestützt hätten?
André Hoek: Sehr begrenzt. Wir wurden mal abends am Schlafplatz von einer Gruppe Jugendlicher angegriffen. Einige sind weggelaufen, einige sind gar nicht aus den Zelten gekommen. Wenn es hart auf hart geht, ist man alleine. Bei mir war am Ende mein gesundheitlicher Zustand lebensbedrohlich. Da haben selbst die Obdachlosen mich weggeschickt und wollten mit mir nichts mehr zu tun haben.
Wie sind Sie denn an diesem Tiefpunkt, den Sie gerade beschrieben haben, weiter- oder rausgekommen?
André Hoek: Zum Ende hin ging es mir sehr schlecht. Ich war hochgradig alkoholabhängig, trank bis zu drei Flaschen Schnaps und diverse Bier jeden Tag. Und da überredeten mich zwei junge Frauen, die sich ehrenamtlich um Obdachlose gekümmert haben, zu einer Alkoholentgiftung, die auch ziemlich schnell geklappt hat und von da aus habe ich mir mit der Hilfe einer Sozialarbeiterin einen Platz in einem Obdachlosenheim in Berlin und von da aus eine Wohnung gesucht und als ich die Wohnung hatte auch wieder eine Anstellung.
Sie beraten heute Obdachlose. Ihr eigenes Leben auf der Straße liegt schon eine ganze Weile zurück. Ist das Leben auf der Straße heute anders?
André Hoek: Nee. Ich habe mich wirklich intensiv für die Belange von Obdachlosen eingesetzt in den letzten Jahren. Im letzten Jahr hatte ich einen persönlichen Tiefpunkt, eine ganz persönliche Krise. Ich habe meinen ganzen Besitz quasi verschenkt und bin nochmal mit dem Rucksack auf Reisen gegangen. Da habe ich auch nochmal eine Weile mit Obdachlosen zusammengelebt.
Ich muss feststellen, dass die ganze Arbeit der vielen Jahre, mit hohem zeit- und finanziellem Aufwand, nichts gebracht hat strukturell. Es hat sich überhaupt nichts verändert zu der Zeit, in der ich draußen war. Es sind immer noch die gleichen Vorurteile, die gleichen Schikanen, das gleiche Leiden - in vielerlei Hinsicht. Es ist vielleicht noch ein bisschen brutaler geworden, weil es mehr Obdachlose werden. Dadurch ist der Konkurrenzkampf um die wenigen Ressourcen draußen natürlich härter geworden als zu meiner Zeit.
Der Weg zurück in ein normales Leben fällt vielen ungeheuer schwer. Haben Sie dafür eine Erklärung?
André Hoek: Es ist unfassbar schwer, das alleine zu schaffen. Ich hatte Glück, ich hatte eine sehr gute Betreuerin, die wurde mir an die Seite gestellt. Und da hatte ich eine erwischt, die ihren Job auch wirklich ernst nahm und mich da nach Kräften unterstützt hat.
Allein hätte ich es nie geschafft, da wäre ich nach wenigen Wochen wieder auf der Straße gelandet, weil ich gar nicht gewusst hätte, wie ich mit dem ganzen Behördenkram umgehen soll. Obdachlose brauchen Hilfe, wenn sie von der Straße kommen sollen. Das sind kluge Menschen. Die haben einen Beruf gelernt, die sind lebensfähig, aber haben manchmal das Problem, ein Behördenformular auszufüllen.
Andere Obdachlose können sich gut unterhalten und sind eloquent, aber wenn die vor einem Behördenmitarbeiter im Amt stehen, kriegen die kein Wort raus. Die brauchen eben Leute, die sie an der Hand nehmen und durch bestimmte Schritte durchführen, die sie selber nicht leisten können.
Wenn man sich um eine Wohnung bewirbt, wird man nach einer Mietschuldenfreiheitsbescheinigung gefragt, die man als Obdachloser nicht hat. Dann ist man als Mieter schon nicht mehr interessant. Da braucht man Leute, die sich einsetzen, unterstützen und mitgehen. Alleine ist es fast nicht zu schaffen.
Das Interview führte Ulrike Römer am 20.11.2024 in der Hörfunksendung WDR 5 Morgenecho. Für die Online-Version wurde das Gespräch gekürzt und sprachlich angepasst.