Nationalpark, Windkraft oder neue Bäume: Was tun mit dem toten Wald in Netphen?

Stand: 22.09.2023, 09:00 Uhr

Netphen zählt zu den vier waldreichsten Kommunen in NRW. Doch Dürre, Stürme und Borkenkäfer haben immensen Schaden angerichtet. Große Flächen liegen brach - für Waldbauern ist das ein wirtschaftliches Desaster. Was kommt jetzt? Neue Bäume? Windkraft?

Von Sabine Schmitt, Heike Braun

Der Wald ist weg. Dort, wo vor ein paar Jahren noch Jahrzehnte alte, hohe Fichten standen, ist es leer geworden auf den bergigen Flächen des Siegerlandes. Hobbyfotografen freuen sich über freie Sicht und den weiten Blick. Das ist eine Perspektive. Wer an Ort und Stelle gen Boden blickt, gewinnt einen anderen Eindruck. Zahlreiche kahle Stellen klaffen wie Wunden in der Landschaft. Zu sehen ist das zum Beispiel auf einem Bild des Hobbyfotografen Carsten Beyer, das die Gegend um die Netphener Obernautalsperre zeigt.

Hier, in Netphen im Kreis Siegen-Wittgenstein, wird deutlich, wie sehr die Natur in den vergangenen Jahren gelitten hat. Unter Stürmen, Dürre und Borkenkäfern. Jan Zimmermann, der stellvertretende Leiter des Regionalforstamtes Siegen-Wittgenstein kann das Baumleid in Zahlen ausdrücken. Netphen, sagt er, habe eine Fläche für waldliche Nutzung von etwa 9.000 Hektar. Auf etwa 2.000 Hektar seien die Bäume gestorben - das ist eine Fläche in etwa so groß wie 2.800 Fußballfelder: Es sind die alten Fichten, die erst krank, dann braun und dann abgeholzt wurden.

Netphen: Wie Windkraft und Nationalpark-Ideen hier ankommen WDR Studios NRW 22.09.2023 03:58 Min. Verfügbar bis 29.09.2025 WDR Online

In Netphen ist etwas mehr als ein Fünftel der Waldflächen aktuell ohne Bäume. Die Stadt steht damit in der Schadensbilanz besser da, als der Kreis Siegen-Wittgenstein - dort sei ein Drittel der ursprünglichen Fläche nicht mehr bewaldet, sagt Zimmermann. Einige Ortschaften in Netphen hat es dennoch hart getroffen. Klaus Hofmann ist Waldvorsteher der Waldgenossenschaft Netphen-Oelgershausen. Seine Genossenschaft habe in den vergangenen Jahren die Hälfte der bewaldeten Fläche verloren und 80 Prozent des gesamten Holzvolumens.

"Ein finanzielles Desaster." Klaus Hofmann, Waldgenossenschaft Netphen-Oelgershausen

Holz aus Netphen mit dem Container nach China

Die ersten gerodeten Bäume habe man in Containern nach China verschifft - "für lau", sagt Hofmann. Inzwischen seien die Preise für Stammholz etwas besser. Allerdings stünden der Genossenschaft nach der Abholzung auch Jahrzehnte mit schlechten Einnahmen bevor. Das Wirtschaftliche, das ist die eine Sache. Das andere sei das Emotionale.

Die Siegerländer Haubergswirtschaft - eine typische Form der genossenschaftlichen Waldbewirtschaftung - hat im Siegerland eine lange Tradition. 1815 teilte man hier den Wald in Waldgenossenschaften auf, die bis heute bestehen und oft in Familienhand sind. Waldanteile werden oft von Generation zu Generation vererbt. Die Genossenschaften arbeiten nach einem strikten Prinzip der Nachhaltigkeit, Kahlschlag ist verboten.

Hofmann erzählt, er sei seit 33 Jahren Waldvorsteher in Oelgershausen. Er hat die Bäume wachsen und sterben sehen. Er sagt, die Fichten, die jetzt im Kollektiv verschwunden sind, seien die Bäume, die die Großväter-Generation gepflanzt hat. Das verpacke nicht jeder emotional gut. Viele im Vorstand seien deshalb gegangen. Immerhin: Die nächste Generation sei jetzt da und packe an.

"Die jungen Leute sind motiviert, es gibt eine hohe Identifikation gegenüber dem Waldbesitz." Waldvorsteher Klaus Hofmann

Eine Drohne soll neue Bäume aussäen

Was macht man mit Wald, der kein Wald mehr ist? Zimmermann vom Regionalforstamt erzählt, dass im Herbst und Winter eine Drohne übers Land fliegen und neues Leben säen soll. Das Verfahren ist neu. Gesät werden soll im Tiefflug: Birke, Eberesche, Douglasie, Lerche und Kräuter. Die Samen seien umgeben von einer Schutzhülle. Damit die Chancen fürs Überleben steigen. Anderswo, im Arnsberger Wald, hat man auch schon über einen Feuerwehrschlauch Saat versprüht.

Auch Hofmann und seine Leute denken in Oelgershausen über die nächste Generation an Bäumen nach. Hier und da hätten sie schon gepflanzt, erzählt der Waldvorsteher. Aber die Sonne stehe auf der Fläche. Und dann seien da noch die Wühlmäuse, das Wild und der Rüsselkäfer - sie alle machten es den Pflänzchen schwer. "Auch das junge Holz zu verlieren tut weh."

Windräder auf Brachflächen

Neben neuen Bäumen sind auch Windräder in der Diskussion. Auch die Genossen aus Oelgershausen könnten sich das vorstellen und hatten sich bemüht, erzählt Hofmann. Bisher sehe man aber keine Chance. Derweil ist Windkraft an anderer Stelle in Netphen möglicherweise schon eher ein Thema. Es geht aktuell um acht Windkraftanlagen, die bis vor etwa fünf Jahren noch von den meisten Netphenern strikt abgelehnt wurden. Auch von den Waldgenossenschaften. Auf unzähligen Bürgerversammlungen wurde heiß diskutiert, wie man die Windkraft aus dem Rothaargebirge und aus dem Raum Netphen, fern halten kann.  

Gegner hat die Windkraft in Netphen immer noch. Aber inzwischen auch Fürsprecher - auch weil Waldbauern sich durch Windkraft Einnahmen erhoffen. Lothar Kämpfer ist Ratsmitglied der SPD in Netphen und davon überzeugt, dass es in Ordnung ist, wenn Netphener an der Windkraft verdienen wollen. Die Bürger müssten aber unbedingt in wichtige Entscheidungsprozesse einbezogen werden, statt alles nur Energie-Konzernen zu überlassen. "Es ist wichtig, letztendlich auch für den Bürger aufzeigen zu können, dass da auch eine gewisse Wertschöpfung bei uns in Netphen verbleiben wird. Damit wir im Konsens die Windkraft auf unserem Stadtgebiet ausbauen können."  

Mitten in die Diskussion um Windkraftanlagen kommt jetzt die Landesregierung noch mit der Idee, man könne doch unter anderem im Raum Netphen einen Nationalpark entstehen lassen. Über den Vorschlag der Landesregierung soll zwar erst noch im Kreistag abgestimmt werden, aber die meisten hier - ob von Parteien, Genossenschaften oder Vereinen - sind sich einig: In Siegen-Wittgenstein gibt es Wälder, Quellgebiete, den Rothaarsteig und spätestens seit dem Orkan Kyrill auch weite unverbaute Ausblicke. Einen Nationalpark braucht dort niemand. Windkrafträder schon eher.

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Und auch für die Bäume gibt es Hoffnung. In früheren Zeiten gab es vor allem auch in Netphen viele Buchen und Eichen. Dann merkten die Waldbauern der Region, dass mit schnell wachsenden Fichten mehr Geld zu verdienen ist. Es entstanden riesige Waldflächen mit Monokulturen. Der neue Wald, der in den nächsten Jahren und Jahrzehnten wächst, wird dem ursprünglichen ähnlicher sein.