Nicht zugelassene Antibiotika für Kinder: Wie sicher ist das?

Stand: 02.05.2023, 14:18 Uhr

Die besonders für Kinder fehlenden Arzneimittel sollen unbürokratisch aus dem Ausland besorgt werden, obwohl sie in Deutschland nicht zugelassen sind. Was steckt dahinter? Sind diese Medikamente sicher? Was Eltern wissen sollten.

Von Oliver Scheel

Das Kind ist krank, der Gang zum Kinderarzt steht an. Aber auch der Arzt kann unter Umständen nicht so helfen, wie er gerne würde. Denn es mangelt an Medizin - vor allem Antibiotika und Fiebersäfte für Kinder fehlen. Dem wollen mehrere Bundesländer mit der Einfuhr von in Deutschland nicht zugelassenen Medikamenten begegnen. Doch was bedeutet das Label "nicht zugelassen" eigentlich? Sind die Medikamente deswegen weniger sicher? Wir klären die wichtigsten Fragen.

In Deutschland nicht zugelassene Medikamente - sind die sicher?

Kurz gesagt: Ja. Dr. Holger Neye, Apotheker bei der KV Nordrhein, sagte im Gespräch mit dem WDR: "Diese Medikamente sind sicher. Sie kommen aus dem europäischen Ausland." Dass diese Medizin in Deutschland nicht zugelassen ist, habe nichts mit "Wirksamkeit und Sicherheit" zu tun, sondern lediglich bürokratische Gründe wie andere Abrechnungssysteme oder Auflagen für die Hersteller.

Holger Neye von der Kassenärztlichen Vereinigung | Bildquelle: Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein

Im Endeffekt fehle lediglich der Beipackzettel auf Deutsch. Es seien die gleichen Medikamente, nur manche Behörden regelten die Zulassung eben anders. Hinter diesen Medikamenten stünden ebenso viele klinische und nichtklinische Studien wie bei in Deutschland zugelassener Arznei. "Das ist europäischer Standard", so Neye.

"Das sind in anderen europäischen Ländern registrierte und zugelassene Medikamente. Die sind nur in Deutschland nicht registriert. Aber es handelt sich um europäische Qualitätsware. Da braucht sich niemand Sorgen zu machen", ergänzte Frank Ulrich Montgomery, ehemaliger Präsident des Weltärztebundes, ganz pragmatisch.

Frank Ulrich Montgomery | Bildquelle: imago images/Jürgen Heinrich

Der Begriff nicht zugelassen ist ein bisschen erschreckend, aber so viel Schrecken steckt da nicht dahinter.

Dass Deutschland nun hierzulande nicht zugelassene Medikamente einführt, liegt am Versorgungsmangel bei diesen Arzneimitteln für Kinder, den das Bundesgesundheitsministerium offiziell festgestellt hat.

Behörden könnten nun etwa ein Medikament aus Spanien ordern, das keine deutsche Verpackung hat, erläuterte Florian Lanz, Sprecher des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenkassen (GKV). Moderne Arzneimittel werden inzwischen ohnehin für die ganze EU zugelassen. Dies geschah zum Beispiel so bei den Zulassungen der Impfstoffe gegen Covid19.

Warum besteht der Medikamentenmangel?

Die Ursachen für Lieferengpässe bei Arzneimitteln sind laut Bundesgesundheitsministerium vielfältig. Es gebe Engpässe bei Grundstoffen oder Produktionsprobleme. Lanz gibt der Pharmabranche eine Mitschuld: "Es gab ein gemeinsames Vertrauen in die Pharmaindustrie, dass sie im Zweifel die Versorgung der Patientinnen und Patienten sicherstellt. Dieses Vertrauen ist mittlerweile erschüttert." Die Branche habe Lieferketten mit Produktionsstätten im Ausland aufgebaut, die sich jetzt als instabil erwiesen.

Es gibt aber auch hausgemachte, deutsche Probleme: Die Krankenkassen würden nur bis zu einem bestimmten Betrag die Arzneimittel erstatten, sagte Hubertus Cranz, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Arzneimittel-Hersteller, dem WDR. "Dadurch ist die Situation für die Hersteller sehr schwierig geworden."

Das möchte Montgomery so nicht gelten lassen: "Man kann nicht nur die Medikamente produzieren, die viel Geld abwerfen. Sondern man muss auch andere Medikamente, die für die Versorgung notwendig sind, aus einer humanen Verantwortung heraus herstellen", sagte er im WDR.

Was können wir gegen Medikamentenmangel tun?

Montgomery forderte eine bessere Bevorratung von wichtiger Medizin. Er regte dazu ein Monitoringsystem an, dass "uns davor warnt, wann die Medikamente auszugehen drohen". Dies sei ein Vorschlag, den die europäische Ärzteschaft immer wieder an die EU-Kommission gerichtet habe. "Es kann nicht sein, dass Kinder leiden müssten, weil Standardmedikamente nicht da sind", sagte er.

Einig sind sich Ärzteschaft und Politik darin, dass die Produktion aus China und Indien nach Europa zurückgeholt werden muss. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) verwies auf ein entsprechendes Gesetz zur Bekämpfung der Engpässe, das die Bundesregierung Anfang April auf den Weg gebracht hatte. Es soll Herstellern ermöglichen, höhere Abgabepreise für Kindermedikamente in Deutschland zu verlangen, so dass sich Lieferungen nach Deutschland mehr lohnen. Bei wichtigen Medikamenten ist auch eine Pflicht zur mehrmonatigen Lagerhaltung vorgesehen. Und bei Antibiotika sollen Hersteller, die Wirkstoffe in Europa produzieren, stärker zum Zug kommen.