So soll der Medikamentenmangel behoben werden

Stand: 23.06.2023, 16:53 Uhr

Der Bundestag hat ein Gesetz gegen den Medikamentenmangel beschlossen. Das Angebot wichtiger Arzneimittel soll besser gegen Lieferengpässe abgesichert werden. Doch es gibt Zweifel, ob das klappt.

Für Eltern mit kranken Kindern waren es unschöne Erfahrungen, die sie in den vergangenen Monaten machen mussten: Als eine Infektwelle ausbrach, traten plötzlich massive Lieferschwierigkeiten bei Kindermedikamenten wie Fieber- und Hustensäften auf. Auch Krebsmedikamente oder Antibiotika für Erwachsene waren betroffen.

Zwar gibt es schon länger generelle Schwierigkeiten, doch der Mangel bei Kindermedikamenten sorgte besonders für Aufregung - und Unruhe bei Eltern. Denn für Kinder sind die Lieferengpässe drastisch. Bei ihrer Behandlung können Ärztinnen und Ärzte nicht so einfach auf alternative Medikamente ausweichen - etwa wegen der Dosierung.

Und gelöst ist das Medikamentenproblem nicht - bei Kindern und Erwachsenen. Aktuell sind beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte gut 490 Meldungen zu Engpässen erfasst. Die Gründe für die Knappheit sind vielfältig.

So gab es zuletzt eine erhöhte Nachfrage wegen Krankheitswellen. Und auch der Preisdruck bei Generika ist groß. Als Generika werden Arzneimittel bezeichnet, die den identischen Wirkstoff wie ein ehemals patentgeschütztes Präparat enthalten und deshalb genauso wirken. Ein weiterer Faktor ist die Abhängigkeit von asiatischen Zulieferern, weshalb sich gestörte Lieferketten bemerkbar machen.

Medikamentengesetz vom Bundestag beschlossen

Gesundheitsminister Karl Lauterbach | Bildquelle: dpa/Kay Nietfeld

Doch die Frage ist, wie es grundlegende Verbesserungen geben soll. Das Zauberwort aus Sicht der Bundesregierung und des zuständigen Gesundheitsministers Karl Lauterbach (SPD) lautet "ALBVVG". Dahinter versteckt sich das "Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz". Es wurde am Freitag vom Bundestag beschlossen und soll dafür sorgen, dass das Angebot wichtiger Arzneimittel, besonders für Kinder, besser gegen Lieferengpässe abgesichert wird.

Ein Überblick über die Kernpunkte des Gesetzes:

  • Sicherheitspuffer: Für alle Medikamente mit Rabattverträgen der Krankenkassen müssen Hersteller einen Vorrat anlegen - und zwar einen so großen, wie es einer durchschnittlichen Liefermenge für sechs Monate entspricht.
  • Mittel für Kinder: Für Kindermedikamente soll es keine Rabattverträge mehr geben, mit denen die Preise für die Kassen als Großabnehmer gedrückt werden. Hersteller sollen ihre Preise auch einmalig um bis zu 50 Prozent anheben dürfen. Außerdem soll eine Liefermenge für vier Wochen beim Großhandel als Vorrat auf Lager gehalten werden müssen.
  • Apotheken und Kassen: Für Apotheken soll ein Austausch zu ähnlichen Präparaten leichter werden. Mit Krankenhausapotheken sollen sie bei Engpässen einfacher Medikamente austauschen können. Das Bonner Bundesinstitut für Arzneimittel soll mehr Informationen bekommen und ein Frühwarnsystem einrichten.
  • Mehr Eigenständigkeit: Langfristig soll Deutschland auch weniger abhängig von Herstellern aus China und Indien werden. So werden Krankenkassen verpflichtet, wichtige Medikamente auch in Europa einzukaufen - erstmal nur Antibiotika, später sollen weitere Medikamente dazukommen.

Bringt das Gesetz auch was?

Die entscheidende Frage wird sein, ob all das in der Praxis die Probleme lösen wird. Beim Thema "Sicherheitspuffer" sind zum Beispiel Zweifel angebracht, ob der wirklich angelegt werden kann. Denn anfangs war in dem Gesetz nur von drei statt sechs Monaten die Rede. Und schon da warnte der Verband der Hersteller patentfreier Medikamente, Pro Generika, dass die Produktionskapazitäten dafür fehlen. Es ist also offen, wie das nun bei einem Vorrat für ein halbes Jahr klappen soll.

Die Krankenkassen üben ebenfalls Kritik. Sie monieren, dass durch das Gesetz jährliche Mehrkosten "mindestens im hohen dreistelligen Millionenbereich" entstehen, wie der Spitzenverband warnt. Dem stehe lediglich die bloße Erwartungshaltung auf Liefersicherheit gegenüber. Soll heißen: Es ist gar nicht klar, ob die Lage wirklich besser wird, obwohl viel zusätzliches Geld ausgegeben wird.

Kinderarzt erwartet erneuten Mangel

Kinderarzt Michael Achenbach | Bildquelle: Berufsverband der Kinder- und Jugendärzt*innen e.V

Der Kinder- und Jugendarzt Michael Achenbach aus Plettenberg im Märkischen Kreis sieht zwar gute Ansätze in dem Gesetz - unter anderem das Frühwarnsystem. "Aber das ändert nichts an den eigentlichen Ursachen des Medikamentenmangels", sagte er am Freitag dem WDR. Denn die Produktion sei nicht mehr wirtschaftlich. Ein Hersteller für Antibiotikasäfte für Kinder bekomme seit 30 Jahren das gleiche Geld von den Krankenkassen. Die Folge sei, dass es immer weniger Hersteller gebe, die lieferten. Deutlich wird das am Beispiel Penizillinsaft für Kinder: Gab es vor 15 Jahren noch elf Hersteller, sind es inzwischen nur noch zwei.

Auch den nun beschlossenen Vorrat sieht der Arzt, der auch Sprecher des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte in Westfalen-Lippe ist, skeptisch. Denn die Produktion habe einen Vorlauf von acht bis zwölf Monaten und wenn der Vorrat aufgebraucht sei, gebe es auch wieder nichts. Achenbachs Prognose deshalb: "Ich gehe davon aus, dass wir in der nächsten Infektsaison wieder in einen erheblichen Mangel hineinlaufen." Für Eltern wären das mit Blick auf den kommenden Herbst und Winter keine guten Aussichten.