Tomatensuppe und Sekundenkleber: Viele Menschen denken bei den beiden Begriffen sofort an die Protestformen der "Letzten Generation", die seit Monaten die Klimabewegung in Deutschland dominieren. Nun sollen die Aktionen offenbar immer größer werden. Am Wochenende beschmierten Aktivisten das Grundgesetz-Denkmal am Bundestag mit einer schwarzen Flüssigkeit und ernteten dafür vor allem eins: Unverständnis und Empörung.
Krisentreffen in Düsseldorf
Dennoch macht sich die Gruppe bereit für noch größeren Protest und wirbt dafür um neue Mitglieder, auch in NRW. Vier Interessierte sind zu einem Krisentreffen der "Letzten Generation" am vergangenen Wochenende in Düsseldorf gekommen. Erkannt werden wollen sie nicht. Zu groß ist die Sorge vor möglichen Konsequenzen.
Geleitet wird das Treffen von Lisa. "Ich bin bei der Letzten Generation, weil ich frustriert darüber bin, dass wir in eine Klimakatastrophe steuern und von Seiten der Politik kaum Maßnahmen ergriffen werden", sagt sie. Deshalb müsse es bei dem Treffen darum gehen, "ins Handeln zu kommen". Die 26-Jährige spricht davon, die Protestaktionen auszuweiten, größer zu machen. Was das genau heißt, will sie nicht sagen.
Auch Christina ist schon länger dabei, war an mehreren Aktionen in NRW beteiligt, wurde beschimpft und beleidigt. "Ich bin erschrocken über das Agressionspotenzial", sagt sie. Denoch macht sie weiter. "Ich mag das Gefühl von Hilflosigkeit nicht. Teil dieser Aktion zu sein und einem durchdachten Plan zu folgen, gibt mir ein Gefühl von Selbstermächtigung".
Psychologin: "Ähnlichkeit mit Sektenstrukturen"
Maria-Christina Nimmerfroh von der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg untersucht die Organisation seit Langem, hat sich dafür bei Trainings eingeschleust und Zugriff auf interne Dokumente. Die Sozialpsychologin spricht von "Ähnlichkeit mit Sektenstrukturen" und davon, dass sich die Mitglieder "vollumfänglich der Organisation hingeben" sollen.
In speziellen Trainingsmodulen werde neben inhaltlichen Fragen auch das Verhalten bei Straßenblockaden genau vorgegeben – vom Umgang mit dem Kleber über die Wahl der Kleidung bis hin zum richtigen Gesichtsausdruck und zur Führung der Smartphone-Kamera, sagt sie.
Haftstrafen als Ziel?
Bereits vor einigen Wochen beschrieb die Psychologin im WDR die Mechanismen der Rekrutierung. Dabei gehe es auch um die Stärkung der Mentalität inklusive der Akzeptanz von Haftstrafen, die weniger als Niederlage sondern vielmehr als Ziel betrachtet würden.
Auch deshalb habe die "Letzte Generation" nur wenig Mitglieder. Die genaue Zahl zu beziffern sei schwierig, internen Dokumenten zufolge seien es jedoch lediglich "ein paar hundert Leute, die unterschiedlich aktiv sind", so Nimmerfroh. Es gehe also darum, mit einer überschaubaren Anzahl an Aktivistinnen und Aktivisten eine möglichst große Wirkung zu erzielen.
Blockade von Autobahnen?
Die Sozialpsychologin ist überzeugt: "Es wird dahin gehen, dass stärkere öffentlichkeitswirksame Protestformen gesucht werden. Zum Beispiel die Blockade von Großveranstaltungen oder von Autobahnen, die natürlich zu größeren Verkehrsstaus führen würden".
Sich auf die Straße zu kleben sei als Protestform inzwischen überholt. Nimmerfroh spricht von einem "Abnutzungseffekt", vergleichbar mit Werbeclips: "Wenn ich oft denselben Spot sehe, dann höre ich nicht mehr richtig hin", so die Psychologin. Außerdem würden die "Straßenkleber" von Einsatzkräften mittlerweile relativ schnell wieder entfernt.
Aufruf: Lkw-Fahrer gesucht
Tatsächlich werden Polizisten in NRW seit Februar eigens darin geschult, Aktivisten so schnell wie möglich von der Straße zu holen und gleichzeitig das Verletzungsrisiko klein zu halten. Für die "Letzte Generation" heißt das: Neue Strategien müssen her. Immerhin gelte innerhalb der Organisation die Dauer der Blockade als Maß für deren Erfolg, sagt Nimmerfroh.
Auf Twitter sucht die Organisation nach Menschen mit Lkw-Führerschein, die Lust haben, "die Fähigkeit für unser aller Überleben einzusetzen“. Offenbar soll es dabei auch um den Einsatz von Betonmischern gehen. Ziel sei, "neuralgische Verkehrsknotenpunkte möglichst lange zu blockieren und wenn man Beton auf die Straße kippt, dauert es dementsprechend länger bis der Verkehr an dieser Stelle wieder fließen kann", so Nimmerfroh.