Long Covid: Lauterbach-Tweet irritiert

Stand: 29.08.2022, 20:58 Uhr

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) warnt vor zunehmenden Entzündungen im Gehirn in Folge von Long Covid. Zu Recht?

Von Frank Menke

Die Corona-Pandemie ist nicht vorbei, auch wenn sie in der öffentlichen Wahrnehmung in den Hintergrund getreten ist. Grund genug für Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), mit Blick auf den Herbst vor bestimmten Long-Covid-Folgen zu warnen.

Montagnacht twitterte er: "Niemand will das gerne hören. Aber viele 20-50-Jährige werden im Herbst, bei steigenden Corona-Fallzahlen, eine Entzündung ihres Gehirngewebes als Folge von Long Covid erleben. Wir müssen endlich Therapien entwickeln." Viele User zeigten sich irritiert.

Lauterbach berief sich dabei auf einen Beitrag in der "Washington Post" des US-Intensivmediziners Wes Ely von der Vanderbilt University School of Medicine in Nashville/Tennessee. Der schrieb, dass die Auswirkungen von Long Covid bezüglich neurologischer Schädigungen "oft Patienten zwischen 20 und 50 Jahren, die nie im Krankenhaus waren", träfen - und wenigstens bei einigen seien diese Schädigungen nicht dauerhaft und fortschreitend. Exakte Zahlen nannte Ely nicht.

"Dass das jetzt im Herbst zunehmen sollte, darauf gibt es aktuell erst einmal keine Hinweise." Christina Sartori, WDR-Wissenschaftsredaktion

Lauterbachs Tweet hat somit zu Verunsicherung geführt. Gibt es tatsächlich konkrete wissenschaftliche Anhaltspunkte, dass 20 bis 50-Jährige wegen Long Covid vermehrt mit Entzündungen im Gehirn rechnen müssen?

Christina Sartori von der WDR-Wissenschaftsredaktion sagte dazu: "Es stimmt, dass immer wieder auch Nerven oder das Gehirn von Covid und Long Covid betroffen sind. Aber dass das jetzt im Herbst zunehmen sollte, darauf gibt es aktuell erst einmal keine Hinweise."

"Was Herr Lauterbach mit seinen Aussagen beabsichtigt, weiß ich nicht. Es ist schwer, ihn dafür zu kritisieren. Insgesamt habe ich das Gefühl, man sollte jetzt etwas weniger darüber reden und einfach das Nötige vorbereiten." Intensivmediziner Prof. Michael Hallek vom Universitätsklinikum Köln

Ähnlich bewertet dies Prof. Michael Hallek, Internist und Intensivmediziner an der Uniklinik Köln. Er arbeitet derzeit selbst an einem wissenschaftlichen Beitrag zu Long Covid, hat mit einem Team die aktuelle Literatur zu Komplikationen nach Covid-Infektionen zusammengetragen.

Er sagt, dass die Weltgesundheitsorganisation WHO schätzt, dass zehn bis 15 Prozent aller Infizierten drei Monate nach überstandener Infektion noch Symptome haben - Erwachsene deutlich häufiger als Kinder.

Er hält die Lauterbach-Aussagen jedoch zumindest derzeit für spekulativ: "Ich würde das momentan nicht so formulieren, weil ich dafür keine ausreichenden Erkenntnisse habe. Was Herr Lauterbach mit seinen Aussagen beabsichtigt, weiß ich nicht."

Laut Hallek kann es auch sein, dass die Situation im Herbst nicht mehr ganz so schlimm wird, sich möglicherweise sogar ein Auslaufen der Pandemie zeigt oder es zumindest vorwiegend mildere Verläufe wie zurzeit geben könnte.

Long-Covid-Therapien: Fehlanzeige!

Einig ist sich Hallek mit Lauterbach in dem Punkt, dass Therapien gegen Long Covid entwickelt werden müssen: "Es gibt tatsächlich bisher keine etablierte Therapie gegen Long Covid. Es gibt auch zu wenige abgeschlossene Studien dazu."

Mag man den Lauterbach-Tweet auch für übertrieben halten, in Sicherheit sollte sich niemand wiegen. Hallek: "In einer Erhebung aus England im Mai 2022 zeigten doppelt Geimpfte Long-Covid-Symptome in einer Größenordnung von fünf bis neun Prozent, dreimal Geimpfte von etwa vier Prozent."

Unabhängig davon, ob sich dreifach geimpfte Menschen mit der Delta- oder der Omikron-Variante infiziert hatten, zeigten sie danach ähnlich häufig Long-Covid-Symptome.