"Es gibt jetzt nur noch eine SPD in NRW und nicht mehr viele", meint Sarah Philipp. Dieser kryptisch anmutende Satz der neuen Co-Chefin des Landesverbandes trifft aber genau den Zustand, in dem sich die Partei zwischen Rhein und Weser befand.
Wunden, die über Jahre nicht heilten
Nachdem Hannelore Kraft 2017 die Landtagswahl überraschend verloren hatte, ging es stetig mit der Partei bergab. Jeder der großen Unterbezirke kochte sein eigenes Süppchen, die Landtagsfraktion war eine eigene Einheit, und die Grabenkämpfe und Kampfabstimmungen um wichtige Posten hinterließen tiefe Wunden.
Als im März des Jahres Thomas Kutschaty als Fraktions- und Landeschef aufgab, war eine genüssliche Freude aus Teilen des östlichen Ruhrgebiets und des südlichen Rheinlandes nicht zu überhören.
Alle gegen Einen
Hatte Kutschaty doch 2018 Marc Herter, inzwischen Oberbürgermeister in Hamm, überraschend bei der Wahl zum Fraktionsvorsitzenden im Landtag übertrumpft. Sehr zum Ärger des Establishments aus dem mächtigen SPD-Bezirk Westliches Westfalen.
Zwei Jahre später sollte Kutschaty den aus dem Rhein-Kreis stammenden Landeschef Sebastian Hartmann aus dem Amt treiben. Nach einer mit harten Bandagen geführten Kampagne blieb Hartmann nur der Rückzug - in Hartmanns SPD-Bezirk Mittelrhein wollte man diesen Kampf um die Spitze lange Zeit nicht vergessen.
Niemand nähme an den Geschichten heute noch Anstoß, wäre Kutschaty im Sommer 2022 Ministerpräsident geworden. Doch die Partei stürzte auf nicht mal 27 Prozent ab - die Staatskanzlei war so weit weg wie noch nie.
Umfragewerte, die am Parteistolz nagen
Als im August mit Sarah Philipp und Achim Post die erste Doppelspitze der Partei gewählt wurde, sollte also ein Aufbruch folgen. Doch 100 Tage danach ist davon - zumindest den Zahlen nach - nicht viel zu merken. Im jüngsten NRW-Trend kam die SPD nur noch auf 18 Prozent - ein Wert, der an dem Stolz der Partei nagt.
Trotzdem sagt Sarah Philipp, dass es nie mehr Einigkeit gegeben habe. "Die SPD in NRW ist endlich Teampartei", sagt die Duisburgerin. Weshalb sie eben doch einen Aufbruch sieht. Man kämpfe für Wahlergebnisse und nicht Umfragen, sagt sie.
Jetzt gehe es um Themen, mit denen man die Menschen erreicht um wieder die stärkste Kraft zu werden. Die Voraussetzungen seien dafür gut, sagt Philipp. "Wir erleben eine kommunalfeindliche Politik in NRW", erklärt sie und meint damit die schwarz-grüne Landespolitik. Deren Arbeit biete genug Chancen für das Comeback.
Noch fehlt die Erzählung
"Mir fehlen bei Hendrik Wüst die Visionen", sagt ihr Co-Chef Achim Post vor Journalisten. Für ihn sind die Umfragen unbefriedigend, weil er die sozialdemokratischen Themen auf der Straße liegen sieht. Er verweist auf die jüngsten Proteste der Sozial- und Pflegeverbände. "Wenn 25.000 Menschen vor dem Landtag demonstrieren, dann kann doch in Sachen Wohlfahrtspflege in NRW was nicht laufen."
Neben Post sitzt Frederick Cordes, den in der SPD alle nur "Freddy" nennen. Der 37-Jährige ist der neue Generalsekretär und somit Stratege der NRW-SPD. Die Partei brauche eine neue Erzählung. Seit Hannelore Krafts "Kein Kind zurücklassen" aus dem Jahr 2010 fehle eine Geschichte, für die seine Partei stehe.
Man verliere sich in Spiegelstrichen, so Cordes. Dabei brauche man klare Themenfelder, aus denen sich eine Story ableiten lasse. Cordes nennt als aus seiner Sicht stärkstes Beispiel die Innenpolitik - ein "zutiefst sozialdemokratisches Thema", sagt er. Aber auch Wohnen, Bildung und überhaupt die Gerechtigkeit seien Felder, in denen die Partei wieder "das größte Vereinsheim des Landes" werden kann, wie Cordes die Partei immer nennt.
Parteitag als Test der Einigkeit
Womit wir beim Bundesparteitag in Berlin sind. Nicht erst seit der Landtagswahl 2022 wirkt der Einfluss des NRW-Verbandes auf dem Rückzug. Das Ziel lautet also, personell und inhaltlich wieder an Bedeutung zu gewinnen.
Gelingen soll das mit Achim Post als einem der stellvertretenden Bundes-Chefs und einer starken Rolle beim Streitthema Migration, das am Samstag verhandelt wird. Hier will Cordes eine starke Positionierung aus NRW erreichen.
Wegen der Absprachen mit den 138 Delegierten - der größten Gruppe auf dem Parteitag - ist er deshalb seit Tagen unterwegs. Er, wie auch seine Vorstandsmitstreiter, wissen nämlich: Für die NRW-SPD geht es um viel. Sie muss den Parteitag mitgestalten, um auch innerhalb der Bundespartei das Image des orientierungslosen Haufens loszuwerden.