Der Tatverdächtige des tödlichen Messerangriffs in Solingen hat sich laut NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) nicht selbst gestellt. Der Mann sei einer Polizeistreife am Samstagabend "verdächtig" vorgekommen, sagte Reul am Donnerstag in einer knapp dreistündigen Sondersitzung des Integrations- und Innenausschusses im Düsseldorfer Landtag.
"Deswegen wurde er direkt angesprochen und sofort festgenommen", sagte Reul weiter. Anders als zuvor von den Ermittlern dargestellt, habe "der Täter sich also nicht gestellt". Der Minister lobte die Fahndungsmaßnahmen der Polizei. Der Staat habe hier funktioniert.
Ministerin unter Druck
Neben Innenminister Reul stellte sich auch Integrationsministerin Josefine Paul (Grüne) den Fragen der Abgeordneten. Paul steht wegen Behördenversäumnissen bei der gescheiterten Abschiebung des späteren Tatverdächtigen politisch unter Druck. WDR-Recherchen zeigen, dass die NRW-Behörden nicht alle Mittel bei der Abschiebung ausschöpften.
Der Mann war Ende 2022 über Bulgarien nach Deutschland gekommen und hätte nach den sogenannten Dublin-Asylregeln eigentlich nach Bulgarien zurückgebracht werden müssen.
In ihrem Eingangsstatement blieb Ministerin Paul bei ihrer Verteidigungslinie, dass die fehlgeschlagene Rückführung des Mannes im letzten Jahr an "dysfunktionalen Verfahrensweisen" zwischen Behörden in Bund und Ländern lag.
Verzicht auf Nachtzeitverfügung verteidigt
Paul sprach von "ungünstige Zufällen". Tatsache sei aber, dass solche Fälle wegen der systemischen Probleme eher die Regel als die Ausnahme seien. Zugleich betonte sie, dass vor der Tat nichts Sicherheitsrelevantes gegen den heutigen Tatverdächtigen vorgelegen habe.
Der Mann hätte durch eine sogenannte Nachtzeitverfügung die Auflage bekommen können, sich nachts in seinem Zimmer in der Unterkunft aufzuhalten, wie der WDR berichtet hatte. Mit der damit verbundenen möglichen Nennung eines Zugriffsdatums würde aber das Risiko eines Untertauchens erhöht, so Paul und verteidigte den Verzicht auf die Verfügung als Abwägungsentscheidung.
SPD hält Ministerin für ahnungslos
SPD-Fraktionsvize Lisa-Kristin Kapteinat sagte zu Paul: "Wir hätten von Ihnen als Ministerin erwartet, dass sie zu Ihrer Verantwortung stehen." Sie warf ihr "Desinteresse" und "Ahnungslosigkeit" vor. Zu Pauls Kritik an angeblichem Systemversagen sagte sie: "Sie sind doch der Kopf des Systems."
Auch FDP-Innenexperte Marc Lürbke kritisierte Fehler der Asylbehörden, für die Paul zuständig ist. Schwarz-Grün wolle gar nicht abschieben, sagte der AfD-Abgeordnete Markus Wagner. Es wurden viele kritische Fragen gestellt - insbesondere zu den Umständen der gescheiterten Abschiebung.
Am Freitagabend waren bei einem Stadtfest in Solingen drei Menschen mit einem Messer getötet worden. Acht Menschen wurden teils schwer verletzt. Mutmaßlicher Täter ist ein 26-jähriger Syrer. Nach Angaben Reuls sind noch drei Verletzte im Krankenhaus in Behandlung.
IS-Hintergrund wird geprüft
Die Bundesanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen Mordes und wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in der Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Der Tatverdächtige sitzt seit Sonntagabend in Untersuchungshaft.
Reul bestätigte, dass das blutverschmierte Messer, das in der Solinger Innenstadt gefunden worden war, sehr wahrscheinlich das Tatmesser sei. Das aufgetauchte Bekennervideo werde derzeit von Experten seines Hauses geprüft. Es würde in die IS-Propaganda-Strategie passen.
Am Freitag findet eine weitere Sondersitzung im Düsseldorfer Landtag statt. Dann will Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) die Abgeordneten in einer Plenarsitzung über den Anschlag von Solingen unterrichten. Das Parlament wird in einer Schweigeminute der Opfer gedenken.
Das WDR-Fernsehen übertragt die Sitzung live ab 10 Uhr.
Untersuchungsausschuss geplant
CDU und Grüne im Landtag wollen einen Untersuchungsausschuss zu Solingen. Dafür wollen sie auch die Opposition von SPD und FDP einbeziehen, so die Fraktionsvorsitzenden Thorsten Schick (CDU) und Verena Schäffer (Grüne). Der Anschlag müssen lückenlos aufgearbeitet werden. Schwarz-Grün trete "die Flucht nach vorne an", sagte SPD-Fraktionschef Jochen Ott. Das komme einer Selbstanzeige gleich.
Unsere Quellen:
- Politiker bei Sondersitzung der Ausschüsse im Landtag
- Nachrichtenagenturen dpa und epd
Über dieses Thema berichten wir im WDR am 29.08.2024 auch im Fernsehen: WDR aktuell, 12.45 Uhr.