Es ist ganz still in den Reihen der gut 200 anwesenden Gäste, als die beiden jungen Schwestern Lea und Joëlle Lewitan und ihre Mutter Ilana Lewitan auf der Bühne im Düsseldorfer Ständehaus sitzen und berichten. Von ihrem Vater und Großvater Robert Schmusch, der den Holocaust unter anderem im Warschauer Ghetto überlebte.
Wie in vielen Familien, die den Horror der Verfolgung durch die Nazis überlebt haben, entschloss sich Robert Schmusch, dieses Kapitel seines Lebens vor seinen Nachkommen zu verschließen.
Auf den Spuren der Eltern nach Warschau
Erst vor drei Jahren, lange nach seinem Tod, habe sie von der Leidensgeschichte ihres Vaters im Warschauer Ghetto erfahren, erzählt Ilana Lewitan. Fünf seiner Geschwister, die Eltern und Großeltern wurden im KZ Treblinka in Polen ermordet. Vater und Mutter lernten sich nach dem Krieg in Deutschland kennen und gründeten in München eine Familie. "Sie haben nach vorne geschaut, wollten uns Kinder nie mit ihrem Trauma belasten", sagt die heute 64-Jährige. Dennoch habe sie die Angst und die Trauer in den Eltern von klein auf gespürt.
Nachdem sie von der Geschichte des verstorbenen Vaters erfahren hatte, begann Ilana Lewitan mit Nachforschungen. Gemeinsam mit ihren Töchtern Lea und Joëlle fuhr sie nach Warschau, auf den Spuren ihrer Eltern. Aus dieser Recherchereise entstand der Podcast "Deutsche Geister".
Der NRW-Landtag hat am Montag zu einer Gedenkstunde geladen. Es ist der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. Fast alle Ministerinnen und Minister des Landes sind da, die Vorsitzende der Union Progressiver Juden in Deutschland, Irith Michelsohn, hält eine Rede. Vertreter anderer Opfergruppen, wie der Sinti und Roma, sind gekommen, Vertreter von Kirchen und Verbänden, Schülerinnen und Schüler eines Gymnasiums in Ratingen.
Rote Armee befreit Auschwitz
Am 27. Januar 1945 hatten sowjetische Truppen die Überlebenden des deutschen Vernichtungslagers Auschwitz im besetzten Polen befreit. Die Zahl der hier ermordeten Menschen wird auf etwa 1,1 bis 1,5 Millionen geschätzt. Seit 1996 ist der 27. Januar in Deutschland der Holocaust-Gedenktag.
In einer Schweigeminute gedenken alle Anwesenden der Ermordeten. Rabbiner und Kantor Aaron Malinsky singt das Klagelied "El Male Rachamim" für die Opfer der Shoah.
"Reales jüdisches Leben zeigen"
"Die Shoah ist immer präsent in uns", sagt Joëlle Lewitan, die Ausformung dieser generationenübergreifenden Traumata sei bei jedem Menschen anders. Man müsse sich die Zeit nehmen, sich selber Fragen danach zu stellen.
Gerade jetzt, da in Deutschland seit dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. September 2023 Judenfeindlichkeit und Menschenhass wieder erstarkt sind, sei es wichtig, Erinnerungen wachzuhalten. Diese Erinnerung dürfe aber "nicht in ritualisierten Gedenktagen verweilen", sagt die 25-Jährige. Erinnerung müsse aus der Passivität, aus dem Gefühl der Ohnmacht herausgeholt werden.
Es sei wichtig, "nicht nur an die Ermordung der Juden zu erinnern, sondern auch an die Juden, die heute ganz viel bewegen". Es gebe ein vielfältiges jüdisches Leben in Deutschland, erinnert sie, jüdischen Humor, Filme, "tolle Kunst".
Joëlle Lewitan wünscht sich, das "reale jüdische Leben aufblühen zu lassen, zu unterstützen, sichtbar zu machen". Bedingung dafür - die gerade ins Wanken gerät: Jüdinnen und Juden müssten sich in Deutschland sicher fühlen. "Dafür brauchen wir euch alle", sagt sie ans Publikum gerichtet.
Wüst: "Immer währende Aufgabe"
Dass Jüdinnen und Juden sich in Deutschland sicher fühlen können, sei "unsere Verpflichtung und immer währende Aufgabe", sagt auch Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) in einer Rede. NRW sei heute die Heimat der größten jüdischen Gemeinschaft in Deutschland, und er sei "dankbar für dieses Vertrauen".
Die nach dem Nationalsozialismus vielfach beschworenen Worte "Nie wieder!" gälten auch noch in der Gegenwart, mahnt Wüst. Leider sei das vielen nicht begreiflich. Eine Umfrage im Auftrag der Jewish Claims Conference hatte kürzlich ergeben, dass fast 40 Prozent der Befragten zwischen 18 und 29 Jahren in Deutschland keine korrekten historischen Angaben zur NS-Zeit machen konnten. Jeder zehnte Erwachsene kennt demnach die Begriffe Holocaust oder Schoah nicht.
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Weitere Gedenkveranstaltungen in NRW
Auch an anderen Orten gab es am Montag Gedenkveranstaltungen. In Bonn stellten Schülerinnen und Schüler des Carl-von-Ossietzky Gymnasiums Menschen aus Bonn vor, die 1945 befreit wurden. Oberbürgermeisterin Katja Dörner sprach ein Grußwort. In Recklinghausen beim "Koffermarsch" zogen Menschen mit Taschen und Koffern durch die Innenstadt - in Erinnerung an jüdische Menschen, die damals nur mit dem Allernötigsten vor den Nazis fliehen mussten. In Aachen sind Schülerinnen und Schüler eingeladen, im Kino kostenlos den Film "Schindlers Liste" zu schauen.
Quellen:
- Reportage bei der Gedenkstunde der Landesregierung
- Nachrichtenagentur dpa
Über dieses Thema berichtet der WDR am 27.01.2025 auch im Fernsehen: Aktuelle Stunde, 18.45 Uhr.