Hörte man dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten am Freitag zu, konnte man den Eindruck gewinnen, in NRW stehe alles zum Besten, dank einer äußerst erfolgreichen schwarz-grünen Landesregierung. Offensichtlich zufrieden warfen Hendrik Wüst und seine Stellvertreterin, die grüne Wirtschaftsministerin Mona Neubaur, einen Blick zurück auf ihr erstes gemeinsames Regierungsjahr.
Das lange, leidige Thema der hochverschuldeten Kommunen: "Wir packen das jetzt an", die Kommunen seien mit Millardenbeträgen entlastet worden. Die Finanzierung von Kitas und Grundschulen: "Neues Geld" wurde investiert, während sich der Bund verabschiedet hätte. Wirtschaftskrise durch Inflation: In NRW seien die Weichen gestellt, "wir sind bereit". Der "Einstieg" in die Erneuerbaren Energien: NRW sei bei der Genehmigung von Windkraftanlagen und Photovoltaik bundesweit "vorne". Thema Innere Sicherheit: Innenminister Reul habe die Bekämpfung der Clankriminalität "seit Jahren fest im Fokus".
Umfrage: Landesregierung rutscht ab
Der letzte NRW-Trend von Infratest dimap deutet darauf hin, dass die Wähler die Zufriedenheit der Regierenden nicht ausnahmslos teilen. Die Mehrheit der Befragten in NRW (55 Prozent) ist mit der Arbeit der Landesregierung nach einem Jahr unzufrieden - die AfD verzeichnet derweil wachsende Zustimmung.
Die Anfang der Woche verkündete "Entlastung" der Kommunen von ihren Altschulden stellt sich den Entlasteten als bloße Verlagerung ihrer Schulden dar. Von den im Koalitionsvertrag angekündigten 1.000 neuen Windrädern ist NRW noch weit entfernt. Vielen Kitas drohe der finanziell Kollaps, warnen Gewerkschaften und der Paritätische Wohlfahrtsverband NRW. Beim Thema Clankriminalität musste Innenminister Herbert Reul (CDU) gerade am vergangenen Wochenende eine neue Dimension der Gewalt einräumen.
Dennoch gab das schwarz-grüne Regierungsduo Wüst und Neubaur vor der Presse im Landtag ein Bild der Harmonie ab: Er redete, sie nickte dazu. Dabei fragen sich Beobachter seit einem Jahr, wie Neubaur wohl so manche Entscheidung, die konträr zu früheren grünen Positionen lief, persönlich verkraftet hat - und wie sie das alles der eigenen Partei verkaufen konnte.
Vom Abriss Lützeraths bis zur "Lösung" der Altschuldenlast der Kommunen: Für viele Grüne Wähler könnten das arg viele Kompromisse sein - sicherlich liegt es nicht allein an Habecks Heizungsgesetz, dass die Grünen in NRW bei der letzten Umfrage um sechs Prozent abrutschten.
Neubaur: "Schmerzfrei" und "pumperlgesund"
Auf die Frage, für wen der beiden die im vergangenen Jahr gefällten Entscheidungen schmerzlicher waren, antwortete Neubaur: Sie sei mit "körperlicher Schmerzfreiheit" gesegnet, und auch politisch habe sie bislang "keine Schmerzen empfunden". Generell sei es den Grünen zu eigen, viel zu reden, viele Gespräche zu führen. Sie wache aber jeden Morgen "freudig und pumperlgesund" auf, immer in dem Bewusstsein, "gerade etwas ganz Wunderbares" machen zu dürfen.
Sicherlich, das räumte Neubaur angesichts der gesunkenen Wählerzustimmung ein, trage die Art, wie die Ampelkoalition derzeit in Berlin regiere, "nicht dazu bei, dass man Zutrauen gewinnt".
Der "liebe Hendrik"
In NRW dagegen gebe es "keine schwatten Themen und keine grünen Themen", sagte Wüst. Man ringe zuweilen um Lösungen - aber "in Gemeinsamkeit". Das sei "oft anstrengend, aber immer schmerzfrei". Gemeinsam versuche man, "enkeltaugliche" Politik zu machen, konstatierte auch Neubaur. Sie habe "richtig Lust, daran weiter mitwirken zu können" und danke dem "lieben Hendrik".
AfD auf Erfolgskurs
Unterdessen erreicht die AfD bei mehreren Umfragen Rekordzustimmung. Bundesweit bis zu 20 Prozent, auch in NRW liegt die in Teilen rechtsextreme Partei derzeit bei 15 Prozent. Wüsts Parteikollege im Bundestag, Friedrich Merz, hatte das kürzlich mit einer großen Unzufriedenheit mit den Landesregierung, "leider auch in Nordrhein-Westfalen", erklärt.
Merz habe da "einen Punkt", sagte Wüst auf Nachfrage, man müsse sehen, "wie man wieder runterkommt von diesen Zahlen". Schlüsselthemen dabei seien vor allem Sicherheit - ein "starker Staat" gegen Clankriminalität, und Bildung - an den "Defiziten" in den Schulen arbeiten. Außerdem müsste der Staat Handlungsfähigkeit zeigen, Entscheidungen auch umsetzen. Sein Fazit: "Wir tun das in NRW recht ordentlich."
Neubaur gab sich da nachdenklicher: Es gebe keine einfache Antwort auf den Erfolg der AfD. Politik müsse Lösungen bieten, um die Verunsicherung der Gesellschaft aufzufangen. Menschen müssten erkennen können, "dass es fair zugeht". Sie nannte Beispiele: Die Verteilung von Ausbauflächen für Windenergie, Chance auf eine gute Schule für das eigene Kind. Und: Es dürfe nicht sein, dass demokratische Parteien Kampagnen gegeneinander führten.
Nachfragen zu seinen kürzlich angedeuteten Ambitionen, als nächster Kanzlerkandidat der CDU anzutreten, ließ Wüst an sich abprallen: Er sei einig mit CDU-Chef Friedrich Merz, dass diese Frage erst im Jahr vor der Bundestagswahl geklärt werde. "Ich tue gern was ich gerade tue."