Wenn eine Kommune tief verschuldet ist, hat das Auswirkungen, die jeder Einwohner zu spüren bekommt: Es gibt zum Beispiel weniger Kulturangebote, vielleicht weder Theater noch Bibliothek, das örtliche Schwimmbad ist eventuell geschlossen. Straßen verwandeln sich in Rüttelpisten, Schulen sind in desolatem Zustand.
Etwa die Hälfte aller Kommunen in NRW sind tief verschuldet, seit vielen Jahren. Auch ein Grund, warum zuletzt so hart um die Finanzierung von Flüchtlingsunterbringung gerungen wurde.
Die Nachricht von Montag dürfte sich daher in vielen Rathäusern zunächst gut angehört haben: Die Landesregierung will die besonders betroffenen Kommunen "entlasten", indem sie die Hälfte von deren Altschulden in eine Landesschuld übernimmt - 9,85 Milliarden Euro. Die andere Hälfte, also weitere 9,85 Milliarden, soll der Bund übernehmen, so die Hoffnung von NRW-Kommunalministerin Ina Scharrenbach (CDU). Das Angebot solle die "besonders unter der Schuldenlast leidenden Städte" erreichen.
Altschulden sind sogenannte Liquiditätskredite, die über eine Pro-Kopf-Verschuldung von 100 Euro pro Einwohner hinausgehen. Von den 429 Kommunen in NRW könnten 199 durch das Angebot des Landes profitieren, sagte Scharrenbach.
Erstmal klingt das so, als würde das Land den Kommunen einen Teil ihrer Schulden auf diesem Weg abnehmen. Die Grünen NRW lobten die Idee als "Einstieg in die Lösung für kommunale Altschulden". Mit dem Plan stelle die schwarz-grüne Landesregierung nun "die Handlungsfähigkeit der Städte und Gemeinden wieder her".
Schulden bleiben, nur Gläubiger ist ein anderer
Tatsächlich ändert sich für die Kommunen aber im Grunde nur der Gläubiger: Zahlen sie bis jetzt an diverse Kreditgeber, gehen Zins und Tilgung in Zukunft ans Land. Denn: Finanziert werden soll die Schuldenübernahme über die Einnahmen aus der Grunderwerbsteuer. Laut Gemeindefinanzierungsgesetz steht den Kommunen jedes Jahr ein gewisser Anteil aus diesen Steuereinnahmen des Landes zu.
Von diesem Anteil, so die Idee Scharrenbachs, soll künftig vor der Auszahlung an die Kommunen deren Schuldzins einfach abgezogen werden. 460 Millionen Euro aus den Grunderwerbsteuereinnahmen, so Scharrenbach, sollen künftig für diesen Schuldendeal bereit gehalten werden.
Das heißt aber auch: Kommunen, die gar nicht so verschuldet sind, dass sie Hilfe des Landes benötigen, könnten künftig weniger aus dem Grunderwerbsteuertopf ausgezahlt bekommen. Denn bei der Verteilung der Grunderwerbsteueranteile an die Kommunen gilt: Je niedriger die Steuereinnahmen sind und je höher der Finanzbedarf, desto mehr Geld bekommt eine Kommune vom Land aus diesem Topf. Die Gesamtsumme für alle Kommunen ist aber ohnehin per Gesetz gedeckelt, so dass mehr Geld für die einen gleichzeitig Verluste für andere bedeutet. Ein Nullsummenspiel also, bei dem hochverschuldete Städte auf Kosten weniger verschuldeter profitieren.
Macht der Bund überhaupt mit?
Offen ist auch noch, ob der Bund diesem Konstrukt überhaupt zustimmt. Scharrenbach gab sich dazu am Montag zuversichtlich, und versicherte: Sollte der Bund sich nicht darauf einlassen, würde die Landesregierung ihren angekündigten Anteil dennoch umsetzen. Am Mittwoch (21.06.2023) soll das "Eckpunktepapier zur Gemeindefinanzierung" im NRW- Kabinett vorgestellt und beschlossen werden.
Der Vorschlag des Landes lasse "noch etliche Fragen offen", meldete der Städte- und Gemeindebund NRW. So sei zu prüfen, "aus welchen Töpfen die Schuldentilgung finanziert werden kann". Fest stehe, "dass Bund und Land für eine belastbare Lösung dauerhaft einen eigenen substanziellen Beitrag leisten müssen". Um in Zukunft handlungsfähig zu bleiben, benötigten die Kommunen "massive finanzielle Unterstützung".
"Ohne Mittel vom Land geht es nicht"
Auch der Städtetag NRW stellt fest: "Ohne zusätzliche Finanzmittel wird es kaum gelingen, eine nachhaltige Altschuldenlösung auf den Weg zu bringen." Eine Finanzierung über das Gemeindefinanzierungsgesetz aber schränke den finanziellen Spielraum der Städte weiter ein: Mit diesen Landesmitteln würden "notwendige kommunale Investitionen in Kitas, Schulen, Klimaschutz sowie viele soziale Aufgaben in den Städten finanziert".
Für die SPD-Opposition ist das Ganze ein "Etikettenschwindel". Die schwarz-grüne Landesregierung habe sich "mit der heißen Nadel für ein Modell entschieden, bei dem die Kommunen die Zeche selber zahlen müssen", sagte Jochen Ott, Vorsitzender der SPD-Landtagsfraktion. Es werde in Wirklichkeit kein neues Geld des Landes für eine Schuldenübernahme geben. Scharrenbach deklariere lediglich einen Anteil im Topf der Gelder für die Kommunen um.
Tatsächlich aber müssten die NRW-Städte über Jahre einen 9,85 Milliarden Euro-Kredit abstottern, während bei den Kommunen insgesamt knapp eine halbe Milliarde Euro weniger ankomme. Der SPD-Fraktionsvize Christian Dahm nannte die Aktion "einen Griff in die Schatulle der Kommunen".
FDP: "Ganz billige Trickkiste"
Die FDP in der Opposition sprach von einer "Phantom-Lösung": "Schwarz-Grün will Gelder umverteilen, die den Kommunen sowieso zustehen", sagte der FDP-Fraktionvorsitzende Henning Höne. "Das Prinzip 'Linke Tasche, rechte Tasche' soll als Wohltat der Landesregierung verkauft werden. Das ist die ganz billige Trickkiste."
Auch kritisiert die FDP eine "Vergemeinschaftung" der Schulden. Jede Kommune müsse Eigentümerin ihrer Schulden bleiben. "Wir sagen: Schuldenhilfe ja, aber kontoscharf!"