Es ist eine Aussage, die einen aufhorchen, vielleicht sogar erstarren lässt. Am Sonntagabend sagte der Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) in der ZDF-Sendung "Berlin direkt":
Warum diese Kriegsrhetorik? Und was steckt dahinter. Wir haben darüber mit Chistian Mölling, Experte für Sicherheits- und Verteidigungspolitik, bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik gesprochen. Er sagt: Die Gefahr eines Kriegs in Europa in den nächsten sechs bis zehn Jahren sei real. Darauf müsse die Bevölkerung jetzt vorbereitet werden.
WDR: Verteidigungsminister Boris Pistorius, sagt Deutschland müsse sich kriegstüchtig machen. Was meint er damit?
Christian Mölling: Was er damit meint, kann ich nicht sagen. Aber was es braucht, das kann man sehr klar sagen. Es braucht eben nicht nur Streitkräfte, sondern es braucht tatsächlich auch eine funktionsfähige Rüstungsindustrie. Und es braucht vor allen Dingen das Verständnis der Bevölkerung, einen möglichen Krieg tatsächlich mitzutragen. Das ist, glaube ich, das Schwerste.
WDR: Können Sie das näher beschreiben?
Christian Mölling: Stellen Sie sich vor, der Bundeskanzler möchte den Artikel fünf der NATO ausrufen, und die Bevölkerung sagt: "Ich finde das eine schlechte Idee." Dann ist es in Demokratien nicht tragbar, in den Krieg zu ziehen.
WDR: Wie schwierig ist es Deutsche, auf einen Krieg vorzubereiten?
Christian Mölling: Deutschland ist sicherlich in den letzten 30 Jahren vom Krieg entwöhnt worden. Auch wenn wir hier und da an kriegerischen Auseinandersetzungen teilgenommen haben, ging es nie um die Verteidigung des eigenen Territoriums. Darum geht es aber jetzt. Pistorius hat zurecht gesagt, dass wir einen Krieg in Europa auf NATO-Gelände nicht mehr ausschließen können. Das ist tatsächlich das, worauf wir uns einstellen müssen. Bislang konnte man den Krieg immer noch von sich wegdrücken. Selbst die Ukraine scheint für uns kein Krieg zu sein, der mit uns etwas zu tun hat, obwohl er das hat. Hier geht es jetzt darum, dass alle diejenigen, denen wir versprochen haben, "Wir kommen", möglicherweise in den nächsten Jahren schon in Gefahr sein könnten.
WDR: Was muss konkret passieren?
Christian Mölling: Das Wichtigste aus meiner Sicht ist, die Zeitachse zu akzeptieren. Bislang planen wir immer ganz abstrakt in die Zukunft hinein. Wichtige Projekte werden in die Zukunft verschoben. Wir müssen davon ausgehen, dass Russland in sechs bis zehn Jahren möglicherweise eine militärische Stärke erreicht hat, die es dem Land erlaubt, zum Beispiel den nördlichen Teil Europas anzugreifen.
WDR: Woran mangelt es der Truppe konkret?
Christian Mölling: Kurzfristig mangelt es der Truppe an Material und langfristig am Personal. Das alles zusammen innerhalb kürzester Zeit auf die Beine zu stellen, lässt sich mit der normalen Anstrengung nicht mehr leisten. Es braucht eine große Anstrengung, eine sicherheitspolitische Dekade, in der man versucht, nicht nur die Bundeswehr, sondern die Bundesrepublik insgesamt kriegstauglich zu machen.
WDR: Wie viele Milliarden Euro kostet das pro Jahr?
Christian Mölling: Mit den zwei Prozent, die oft genannt werden, werden wir sicherlich nicht weit kommen. Es geht ja nicht nur um Waffen, sondern um Katastrophenschutz, kritische Infrastrukturen – das, was man Gesamtverteidigung nennt. Gleichzeitig ist die Frage: Ist es einem das wert? Oder wollen wir auf unsere Sicherheit verzichten? Wir brauchen gleichzeitig eine Bevölkerung, die bereit ist und versteht, was für eine besondere Herausforderung ein Konflikt mit einem anderen Land bedeutet. Dafür müssen die Menschen die Gelegenheit haben, zu verstehen, dass wir nicht in so sicheren Zeiten leben. Wehrhaftigkeit beginnt da, wo man den Leuten erklärt, was tatsächlich die Realität ist. Das heißt, man geht zurzeit davon aus, dass innerhalb der nächsten sechs bis zehn Jahre die Wahrscheinlichkeit für eine militärische Auseinandersetzung auf Nato-Gebiet steigt.
WDR: Wie sinnvoll aber auch wie gefährlich ist es, wenn der Verteidigungsminister von einer Kriegsgefahr in Europa spricht? Was macht das mit der Gesellschaft?
Christian Mölling: Der Minister sagt das, was mindestens seit zwei Jahren Konsens in der Nato ist, nämlich dass ein Krieg in Europa nicht mehr ausgeschlossen werden kann. So hat man es vor zwei Jahren im Nato-strategischen Konzept festgehalten. Dem stimmen alle 31 Staaten der Nato zu.
WDR: Aber was macht das mit der Gesellschaft?
Christian Mölling: Ich glaube, Pistorius tritt damit eine Diskussion los, die wir schon längst hätten führen sollen, die wir seit 20 Monaten leider nicht führen - nämlich über die Konsequenzen des Ukraine-Krieges Russlands für unsere Sicherheit. Pistorius bietet uns die Wahrheit an. Was wir daraus machen, ist ja letztendlich unsere Aufgabe. In dem Augenblick, in dem in der Ukraine der hochintensive Kampf zu Ende ist und Russland wieder Möglichkeiten hat, seine Ressourcen in den Wiederaufbau der eigenen Streitkräfte zu stecken - ab dann läuft im Grunde genommen die Uhr gegen uns.
Das Interview führte Sebastian Galle für die Aktuelle Stunde. Wir haben es für unser Online-Angebot redaktionell bearbeitet.