SOS Kita: Fachkräftemangel
Aktuelle Stunde. 31.07.2023. 33:06 Min.. UT. Verfügbar bis 31.07.2025. WDR. Von Beate Becker, Per Quast.
Personalmangel: Kitas in NRW schlagen Alarm
Stand: 31.07.2023, 19:00 Uhr
"Wir sind nicht mehr in der Lage, die Kinder qualitativ hochwertig zu betreuen!", heißt es von den Kitas im Hochstift Paderborn-Höxter. Sie stehen mit diesem Problem nicht allein: In allen Teilen des Landes suchen Kitas händeringend Personal.
Es fehlt nicht nur an Fachkräften, es fehlt vor allem auch Geld. Die Zahl der zu betreuenden Kinder steigt beständig. Im neuen Kindergartenjahr ab dem 1. August sollen in Nordrhein-Westfalen 760.619 Kinder in Kindertagesstätten oder von einer Tagesmutter betreut werden, teilt das Landes-Familienministerium mit. Das sind knapp 9.000 Betreuungsplätzen mehr als im Vorjahr.
"In den letzten Jahren und Jahrzehnten ist das System ja immer weiter gewachsen", erklärte NRW-Familienministerin Josefine Paul (Grüne) am Montag im WDR. Gleichzeitig gebe es aber auch mehr berechtigte Ansprüche von Eltern in Fragen wie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, betonte Paul. Deshalb sei die Herausforderung für die Politik trotz aller Anstrengungen nach wie vor hoch: "Die zentrale Frage ist die der Fachkräfte."
Für die Personalnot in Kitas gibt es allerdings keine kurzfristige Lösung seitens des Landes. Einige Städte und Kitaträger versuchen sich mit kreativen Lösungen selbst zu helfen: Zusammen mit Jugendämtern, Jobcentern und Berufkollegs starten sie Werbekampagnen, bieten Umschulungen und Weiterbildungen zur Fachkraft.
Solingen setzt auf "Spielgruppen"
In Solingen fehlen insgesamt 600 Kita-Plätze, eine hohe Zahl für eine Stadt mit gerade mal 164.000 Einwohnern. Um den aktuellen Mangel zumindest ein wenig auszugleichen, bietet die Stadt als Alternative "Spielgruppen" für Kinder vom ersten bis zum dritten Lebensjahr an - betreut von Tagesmüttern. Für Stadtdirektorin Dagmar Becker mehr als nur eine Notlösung: "Kinder sollen spielen, sollen Freude haben und auch Spaß beim Spielen, aber auch das soziale Lernen kommt nicht zu kurz, wenn Kinder zusammen sind und gut betreut werden."
Noch gebe es aber relativ wenig Anmeldungen, räumte Becker am Montag gegenüber dem WDR ein. Möglicherweise hofften viele Eltern noch darauf, dass sie doch noch den Zuschlag für einen regulären Kita-Platz bekommen. Becker sieht allerdings keine Chance, dass der Mangel schnell behoben werden kann: "Wir brauchen eine bessere Finanzierung und einen Ausbau von Ausbildungskapazitäten", so ihr Appell an die Landesregierung.
Spanische Erzieherinnen in Mönchengladbach
Stadt und Träger aus Mönchengladbach haben einen alternativen Weg ausprobiert und sich Fachkräfte aus dem Ausland geholt. 30 Spanierinnen arbeiten dort als Erzieherinnen, einige schon seit gut zwei Jahren und sie können sich vorstellen, auch noch ein paar weitere Jahre in Mönchengladbach zu bleiben.
Die Stadt Bielefeld dagegen versucht es mit einer Ausbildungsoffensive. Dort werden zusätzliche Lehrstellen geschaffen, die Ausbildung selbst wird praxisnäher sein und der Berufseinstieg weniger bürokratisch gestaltet, auch für Quereinsteiger.
Aus Grevenbroich kommt außerdem ein Vorschlag, die Personalverordnung noch weiter zu öffnen, um (mit einer entsprechenden Weiterqualifizierung) auch Hobby-Köche, Hobby-Musiker oder Hobby-Handwerker in die Kitas zu holen.
SPD fordert mehr Unterstützung der Landesregierung
Maelzer (SPD): "Bekommen viele Hilferufe aus dem Land"
Eine einfachere Ausbildung ausländischer Fachkräfte fordert auch die SPD-Opposition im Düsseldorfer Landtag. Zudem bräuchten Kitas und Kita-Träger mehr finanzielle Unterstützung, "Wir kriegen überall aus dem Land Hilferufe von Trägern und von Verbänden, die sagen: Wir können die Kosten nicht mehr finanzieren", erklärte Dennis Maelzer, familienpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, am Freitag. Ohne zusätzliche Hilfen des Landes befürchtet er Gruppenschließungen und Insolvenzen von Kitas.
Zudem müsse der U3-Ausbau verbessert werden. Bei den Plätzen für unter Dreijährige zeichne sich zum neuen Kita-Jahr mit einem Plus von 3.980 Plätzen gegenüber 2022/23 der zweitschlechteste Ausbaustand seit 2010 ab, kritisierte Maelzer.
Besserer Kinderschutz und Übergang in die Grundschule
Die SPD schlägt ein ganzes Maßnahmenbündel vor, etwa ein "Chancenjahr" vor der Einschulung. So soll etwa die Schuleingangsuntersuchung der Kinder bereits deutlich früher und nach Möglichkeit auch in der Kita erfolgen.
Auch der Kinderschutz soll nach den Plänen der SPD weiter ausgebaut werden. Neben dem geplanten Landesbeauftragten für Kinderschutz soll auch ein Landesbetroffenenrat eingerichtet werden, wie er etwa gerade auch in Hessen geplant ist.
Mehr Geld für Erzieherinnen
Immerhin: Ein bisschen mehr Geld ist für die Erzieher in Aussicht. Nach dem Tarifabschluss im Öffentlichen Dienst soll es 10,8 Prozent mehr geben. Allerdings gilt das nicht für das Personal in den Kitas von freien Trägern oder Elterninitiativen. Die fürchten deshalb nun, dass ihre Leute abwandern - in besser zahlende Kitas.
Familienministerin will Kita-Plätze ausbauen
NRW-Familienministerin Paul verspricht derweil trotz anhaltenden Personalmangels in den Kitas den Platz-Ausbau weiter voranzutreiben. Das Land fördert insgesamt 10.830 Kindertageseinrichtungen, 88 mehr als noch im Vorjahr. Angaben, inwieweit der Bedarf von Familien damit gedeckt werden könne, machte das Ministerium auf Nachfrage des WDR nicht und verwies auf regionale Unterschiede und kommunale Zuständigkeiten.
Dagegen hat eine Studie im Auftrag des Bundesfamilienministeriums erst kürzlich festgestellt, dass zwischen Angebot und Nachfrage nach wie vor eine deutliche Lücke klafft: Demnach hatten im vergangenen Jahr 47,8 Prozent der Eltern von unter 3-jährigen Kindern Bedarf an einem Betreuungsplatz, die tatsächliche Betreuungsquote lag allerdings nur bei 30,4 Prozent.