Angesichts der Eskalation der Gewalt im Nahen Osten hat NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) per Erlass den Schutz für die jüdischen Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen erhöht. "Achtsamkeit ist angeboten", betonte Reul am Mittwoch gegenüber dem WDR. "Wir müssen uns noch intensiver um die Einrichtungen kümmern und den Kontakt suchen zu den jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern", erklärte der Innenminister, schränkte aber auch ein: "Wir wissen alle, dass die Polizei das Problem nicht allein löst."
Der Erlass sieht verstärkte "Aufklärungsmaßnahmen" insbesondere am 7. Oktober vor, dem Jahrestag des Angriffs der Terrororganisation Hamas auf Israel. Zudem sollen die Maßnahmen rund um die jüdischen Feiertage im Oktober angepasst werden, also vom jüdischen Neujahrsfest Rosch ha-Schana am 03./04. Oktober über Jom Kippur am 12. Oktober bis hin zum Schlussfest Simchat Tora am 25. Oktober.
Deutlich mehr judenfeindliche Straftaten in NRW
Reul sieht in der Eskalation in Nahost auch einen der Gründe für den Anstieg antisemitischer Straftaten in NRW. "Konflikte auf der Straße werden dann stärker, wenn irgendwas passiert, was der Auslöser ist." Im ersten Halbjahr 2024 hat es nach Angaben des Innenministeriums in NRW 245 antisemitische Straftaten gegeben. Im Vergleich zum ersten Halbjahr 2023 mit 132 Fällen ist das ein Anstieg um mehr als 85 Prozent.
Im gesamten vergangenen Jahr wurden 547 Straftaten erfasst, wobei die Straftaten laut Landesregierung ab Oktober sprunghaft zugenommen haben.
Die meisten der registrierten Straftaten in diesem Jahr werden mit 119 dem sogenannten Phänomenbereich der "Politisch motivierten Kriminalität (PMK) rechts", also rechter und rechtsextremistischer Kriminalität, zugeordnet. 46 Straftaten sind der "PMK - religiöse Ideologie" zugeordnet. Bei diesen Straftaten liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass eine religiöse Ideologie entscheidend für die Tat war und die Religion zur Begründung der Tat instrumentalisiert wurde. 43 Delikte sind unter "PMK ausländische Ideologie" geführt. Außerdem gab es sechs Gewaltdelikte.
Gewaltzunahme nach dem Hamas-Massaker
Die Antisemitismus-Beauftragte des Landes, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, hatte bereits Ende vergangenen Jahres nach dem Massaker der islamistischen Hamas in Israel einen starken Anstieg antisemitischer Vorfälle in NRW registriert.
Und auch der Jahresbericht der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (Rias) in NRW vermeldet weiterhin hohe Zahlen. Im Schnitt seien 2023 13 Vorfälle pro Woche gemeldet worden, teilte der Leiter der Meldestelle, Jörg Rensmann, bei der Vorstellung des Berichts im Sommer mit. Der Bericht gibt ein Lagebild von Vorfällen auch unterhalb der Strafbarkeitsgrenze.
Die vom Innenministerium gezählten Fälle reichten vom Zerreißen der israelischen Flagge, Sachbeschädigungen und Markierungen von Häusern mit dem Davidstern bis hin zu Gewaltdelikten.
"Normalisierung des Antisemitismus"
Mit Blick auf den 7. Oktober warnte der RIAS-Bundesverband aktuell vor einer "Normalisierung des Antisemitismus". Judenfeindlichkeit werde weiter normalisiert, wenn sie nicht deutlich als solche benannt werde, mahnte Geschäftsführer Benjamin Steinitz. "Antisemitismus muss konsequent in allen gesellschaftlichen Bereichen geächtet und bekämpft werden." Das hohe Niveau gegen Jüdinnen und Juden gerichteter Vorfälle müsse ein Weckruf für die Mehrheitsgesellschaft sein.
Antisemitismus in NRW weit verbreitet
Laut einer repräsentativen Umfrage, die letzte Woche veröffentlicht wurde, ist der Hass auf Juden in NRW in breiten Schichten der Bevölkerung anzutreffen. Fast die Hälfte der Befragten plädierten etwa dafür, einen "Schlussstrich" unter den Holocaust zu ziehen. Zwar gibt es der Umfrage zufolge bei antisemitischen Einstellungen kaum Altersunterschiede, die Gruppe der 16- bis 18-Jährigen ist nach Angaben der Forscher aber auffällig israelfeindlich eingestellt. Als möglichen Grund führen sie den hohen Konsum von Hetzvideos auf TikTok bei unter 20-Jährigen an.
Über dieses Thema berichtet der WDR am 2.10.2024 auch im WDR Hörfunk: WDR aktuell, etwa auf WDR 2 und WDR 4, ab 11 Uhr.
Unsere Quellen:
- Innenministerium des Landes NRW
- NRW-Antisemitismusbericht 2023
- dpa