Le Pen: Urteil, nicht Opfer-Narrativ Aktuelle Stunde 01.04.2025 39:43 Min. UT Verfügbar bis 01.04.2027 WDR Von Henry Bischoff

Le Pen-Urteil: Politologin zur extremen Rechten und Opfer-Narrativen

Stand: 01.04.2025, 10:36 Uhr

Nach ihrer Verurteilung wettert die französische Rechtsradikale Le Pen gegen den Rechtsstaat. Ein Gespräch mit der Politologin Hélène Miard-Delacroix über die Reaktionen auf das Urteil.

Weil ihre Partei im großen Stil öffentliche Gelder veruntreut haben soll, hat ein Pariser Gericht die französische Europaabgeordnete Marine Le Pen vom Rassemblement National verurteilt. Die Spitzenpolitikerin muss zwei Jahre eine Fußfessel tragen, zwei weitere Jahre wurden zur Bewährung ausgesetzt. Zudem muss sie 100.000 Euro Strafe zahlen.

Für Le Pen, die 2027 als Präsidentschaftskandidatin antreten wollte, ist aber vor allem der Entzug des passiven Wahlrechts entscheidend, der mit dem Urteil einhergeht. Fünf Jahre lang darf die 56-Jährige nicht bei Wahlen antreten. Schon vor ihrer Verurteilung hatte Le Pen der Staatsanwaltschaft unterstellt, ihren "politischen Tod" zu wollen.

Hélène Miard-Delacroix, Professorin für Zeitgeschichte und Kultur Deutschlands an der Universität Paris-Sorbonne, wundert das nicht. Sie sieht Parallelen zwischen den Narrativen des französischen Rassemblements National und der rechtspopulistischen und in Teilen rechtsextremen AfD in Deutschland.

WDR: Dass Marine Le Pen das Urteil gegen sich als politisches Urteil bezeichnet, war zu erwarten, oder?

ehemalige Bundestagspräsidentin Bärbel Bas im Gespräch mit Hélène Miard-Delacroix bei einem Republikanischen Bankett
Die Universitäts-Professorin Hélène Miard-Delacroix | Bildquelle: WDR / picture alliance/dpa

Hélène Miard-Delacroix: Das war selbstverständlich zu erwarten, denn das ist genau das Narrativ, das passt. Und im Grunde hatte sie eine andere Wahl, aber die hat sie von vornherein in dem ganzen Gerichtsverfahren nicht ausgewählt. Nämlich zu sagen: "Wir haben Fehler begangen, wir sind, wie die anderen, wir waren eine schwache Partei, wir brauchten Geld, es tut uns Leid."

Diese Linie hat sie nicht eingeschlagen, sondern hat sich von vornherein als Opfer des Systems dargestellt und als Verteidigerin der kleinen Leute gegen die Elite und das System und so weiter – all diese Vorstellungen, die man auch konspirativ sich vorstellen kann, als mächtige, wirkende Kräfte gegen die armen Leute.

Das hat ihr aber geschadet, weil es von dem Gericht als noch verschlimmernd betrachtet worden ist. Und jetzt im Endeffekt kann sie nur diese Linie verfolgen, nämlich, wir sind Opfer des Systems.

WDR: Das Gesetz, auf dem dieses Urteil beruht, gibt es ja bereits seit fast neun Jahren. Damals wurde es unter dem Eindruck eines ganz anderen Korruptionsfalles erlassen, ohne dass man ahnen konnte, wen es Jahre später trifft. Das schwächt aber nicht das Narrativ des Rassemblements National, oder?

Miard-Delacroix: Ja, das ist interessant, denn das ist genau ein Klientel – also ihre Wählerschaft besteht aus Menschen, die immer wieder sagen, die Justiz sei zu lax, man müsse viel stärker, viel schärfer vorgehen, insbesondere gegen diejenigen Politiker, diese korrupten Eliten, die sich bedienen und so weiter. Und genau so, wie man die ganz kleinen Delinquenten nicht straffrei auf freiem Fuß lassen darf, sollen auch die ganz Korrupten oben bestraft werden.

Und damals – und jetzt kursieren die Bilder und die Töne immer wieder – haben Marine Le Pen selber und ihre Partei dafür plädiert, dass die Gesetze noch schärfer werden sollten. Sie hat sogar für eine lebenslange Unwählbarkeit plädiert.

Und jetzt ist es wie ein Bumerang-Effekt, es wendet sich gegen sie selbst, weil sie sich selbst tatsächlich an Geldern in Höhe von vier Millionen immerhin – das ist auch für ihre Wählerschaft eine sehr hohe Zahl – bedient haben. Deswegen hat die Präsidentin des Gerichts gesagt, das sei auch ein Betrug – nicht nur ein Betrug am Europaparlament, sondern ein Betrug an den Wählern.

WDR: Auch mit dem Blick auf die deutsche AfD: Sehen Sie, dass der Populismus im Rechtsstaat immer einen Weg finden wird, seine Erzählung bei der eigenen Anhängerschaft zu zementieren?


Miard-Delacroix: Ja, die Frage ist genau die Frage der Erzählung. Ich bin fest überzeugt, dass die meisten Wähler auch damit einverstanden sind, dass, wenn man einen Fehler begeht, dann muss man bestraft werden.

Die Art und Weise, wie aber eine Geschichte aufgebaut wird – nach dem Motto, es gebe keinen Rechtsstaat mehr und die wahre Demokratie käme nur von dem Volk – das ist im Grunde eine Konstruktion, die aber nur bei den Empfängern solcher Sprüche gut funktioniert. Und die Wähler der AfD gehen auch diesen Weg, der Rechtsstaat sei im Grunde eine Konstruktion.

Urteil für Marine Le Pen: "Eine Frage der Erzählung" WDR 5 Morgenecho - Interview 01.04.2025 07:04 Min. Verfügbar bis 01.04.2026 WDR 5

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Aber gestern hat Marine Le Pen Unterstützung bekommen von sehr komplizierten Freunden – sofort vom Kreml, von Putin, von Orbán, von Musk, von allen möglichen, die meinen, unsere Freiheitswelt und freiheitliche Demokratie sei im Grunde grotesk und das sei nicht die wahre Demokratie.

Das muss jetzt besonders in diesem Kontext erklärt werden, was Gewaltenteilung ist, was Rechtsstaat ist und inwiefern, die Balance zwischen den Gewalten auch die Grundlage eines friedlichen Zusammenlebens ist.

Das Interview führte Uwe Schulz in der Hörfunksendung WDR 5 Morgenecho. Für die Online-Version wurde das Gespräch gekürzt und sprachlich angepasst.