Eine Sichrheitskraft vor dem Logo des NATO-Gipfels in Vilnius

NATO-Gipfel: Warum wir es mehr wie Litauen machen sollten | MEINUNG

Stand: 11.07.2023, 13:52 Uhr

Litauens Hauptstadt Vilnius steht als Ausrichter des NATO-Gipfels im Zentrum der Weltpolitik. Ein super Zeitpunkt für mehr Aufmerksamkeit. Denn es gibt einiges, das wir uns dort abschauen können, findet Felix Wessel.

Von Felix Wessel

Hand aufs Herz: Könnten Sie auf der Karte zeigen, wo Vilnius liegt? Konnte ich lange auch nicht. Die Menschen in Litauen sind das gewohnt. Es hat sie sogar mal zu einer Tourismus-Kampagne inspiriert: Vilnius als G-Punkt Europas. Niemand weiß so wirklich, wo das liegt - aber wenn man es findet, ist es fantastisch.

WDR-Journalist Felix Wessel

Kolumnist Felix Wessel hat mehrere Wochen als Journalist in Vilnius gearbeitet

Von der Kampagne mag man halten, was man will. Aber ich habe vor dem NATO-Gipfel zwei Monate in der Region recherchiert und kann sagen: fantastisch - das würde ich unterschreiben. Ich bin jedenfalls als Vilnius-Fan zurückgekommen, und finde, wir können uns dort einiges abschauen.

Was in Vilnius anders läuft

Bus mit der Aufschrift "Vilnius (Herz) Ukraina"

Zum Beispiel Empathie mit der Ukraine. In den Straßen von Vilnius ist auch mehr als ein Jahr nach Kriegsbeginn die Solidarität omnipräsent. Für mich am eindrucksvollsten: Die Busse zeigen im Display neben der Endhaltestelle immer wieder die Botschaft "Vilnius liebt Ukraine". Klar, einzelne ähnliche Aktionen gab es auch in NRW. Aber da ginge bei uns noch viel mehr.

Litauen hat im Verhältnis zur Einwohnerzahl auch mehr Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen als Deutschland und im Verhältnis zur Wirtschaftskraft sogar mehr Militärhilfe geleistet als die USA. Und die Menschen überlassen das nicht allein der Politik.

Zum Beispiel hatten Nichtregierungsorganisationen gemeinsam mit Medien wie dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk LRT eine Kampagne gestartet. Das Ziel: Die Menschen in der Ukraine mit Radargeräten besser vor russischen Luftangriffen schützen. 14 Millionen Euro kamen durch Spenden aus Bevölkerung und Wirtschaft zusammen, hochgerechnet auf die Einwohnerzahl Deutschlands wären das rund 420 Millionen. Eine vergleichbare Aktion gab es bei uns bisher nicht - könnte ich mir aber auch nur schwer vorstellen.

Bedrohung in Litauen allgegenwärtig

All das hat natürlich auch mit der besonderen Lage zu tun: Von Köln nach Düsseldorf ist es ungefähr so weit wie von Vilnius bis zur Grenze nach Belarus, wo Diktator Lukaschenko Hilfe beim Ukraine-Krieg geleistet hat. Wo Söldner der Wagner-Gruppe nach ihrem abgebrochenen Marsch auf Moskau unterkommen sollen. Und wo Putin die Stationierung russischer Atomwaffen angekündigt hatte. Als würde das nicht schon reichen, grenzt Litauen auch an die hochgerüstete russische Exklave Kaliningrad.

Die Sorge vor einem möglichen Angriff ist also dauerpräsent. Doch auch unsere Sicherheit wird sozusagen mittlerweile im Baltikum verteidigt. Die Bundeswehr ist schon mit hunderten Soldaten vor Ort. Und Deutschland ist nach langem Zögern jetzt bereit, rund 4.000 Soldaten dauerhaft zum Schutz vor russischer Aggression nach Litauen zu verlegen.

Zurück in Köln finde ich es noch immer etwas seltsam. Zwar hängen und kleben auch in meinem Stadtviertel politische Botschaften. Aber nicht etwa "Kölle für Kiew", sondern meist "Woman. Life. Freedom" - das Motto der iranischen Protestbewegung. Sicher, auch das ist wichtig. Aber der Krieg in der Ukraine wirkte auf einmal wieder so weit weg.

Schon lange vor dem Einmarsch in die Ukraine hatten die Litauer uns vor Russland gewarnt. Und sie haben bereits an der Unabhängigkeit von Moskau gearbeitet, als bei uns noch fleißig Rohre für die Gas-Pipeline Nord Stream 2 verlegt wurden. Bereits 2014, im Jahr der Krim-Besetzung, ging in Litauen ein Flüssiggas-Terminal an den Start. Sie wissen ja, wann wir mit dem "Deutschland-Tempo" gestartet sind.

Abhängigkeit von China als Sicherheits-Risiko

Die gute Nachricht: Wir können uns von Litauen auch etwas für die Zukunft abschauen. Nämlich, so einen Fehler wie mit Russland kein zweites Mal zu machen. Und da kommt China ins Spiel.

Denn was wäre, wenn das chinesische Militär tatsächlich Taiwan angreift? Die kommunistische Führung in Peking betrachtet die demokratisch regierte Insel ja als Teil Chinas. Und Staatschef Xi scheint fest entschlossen, diesen Anspruch notfalls auch mit Militärgewalt durchzusetzen. Wie gut würde unsere Wirtschaft die Folgen verkraften - etwa mit unseren Autobauern, die bis zu 40 Prozent ihres Absatzes auf dem chinesischen Markt machen?

Die Politik spricht immer wieder vom "De-Risking" von China. Doch das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln kam neulich bei einigen Rohstoffen, chemischen Grundstoffen und elektronischen Bauteilen zum Schluss: Keine Diversifizierung sichtbar, im Gegenteil. Und Litauens Außenminister Landsbergis sagte mir, wie unser Vorgehen gegenüber China auf ihn wirkt: Als würden wir das nächste Nord Stream 2 bauen.

Litauen war nicht so abhängig von China wie wir - und hat das noch weiter reduziert. Der Auslöser: Als bisher einziger Staat in der EU hatte man Taiwan erlaubt, in Litauen eine Vertretung unter eigenem Namen zu eröffnen. Das reichte schon, um von China mit politischem Druck und Wirtschaftsstrafen überzogen zu werden.

Doch Litauen mit gerade mal 2,8 Millionen Einwohnern hat gegenüber der undemokratischen Wirtschaftsmacht China nicht klein beigegeben. Und es hat funktioniert. Auch wenn sich das nicht eins zu eins auf Deutschland übertragen lässt, eine Scheibe abschneiden könnten wir uns schon.

Jetzt richten sich erstmal die Scheinwerfer der Weltpolitik auf Vilnius. Beim NATO-Gipfel geht es unter anderem um die künftige Unterstützung der Ukraine und darum, wie das Bündnis selbst seine Verteidigungs- und Abschreckungsfähigkeiten verstärken kann. Doch auch wenn dieses Mega-Event vorbei ist, sollten wir nicht vergessen, wo Litauens Hauptstadt liegt. Und nicht nur das. Ich finde, wir sollten auch öfter mehr Vilnius wagen.

Was meinen Sie? Machen wir in Deutschland genug, um die Ukraine zu unterstützen? Muss Deutschland unabhängiger von Ländern wie China werden? Lassen Sie uns darüber diskutieren! In den Kommentaren auf WDR.de oder auf Social Media.

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Kommentare zum Thema

86 Kommentare

  • 86 Erich 18.07.2023, 10:37 Uhr

    König Heinrich IV sagt im 2. Teil von Shakespeares gleichnamigen Theaterstück zu seinem Sohn, der seinen Vater schon Tod auf seinem Krankenlager gewähnt und voreilig die Krone an sich genommen hatte : "Thy wish was father, Harry, to that thought." Ist nicht auch hier "Der Wunsch(des Autors) Vater des Gedanken"? Sollen wir wirklich obige Annahmen für bare Münze nehmen und Maßnahmen ergreifen, die man nur mit umfänglichen Informationen und Absicherung in der Realität vollzieht? Jugendlicher Übermut tut selten gut, und Litauen ist eine junge Nation, gerade in Diplomatie. Im Westen nichts Neues im Osten Krieg und Frieden möchte man da sagen und historische Lektüre ans Herz legen?!

  • 85 Jürgen 1958 18.07.2023, 06:18 Uhr

    In der vorgenannten Forsa-Umfrage sagten auch 71 % der Bevölkerung, daß es mit der Politik der Ampel "unzufrieden" sei und 61 % meinten, daß ihr "Stil unprofessionell und chaotisch" sei. Aber statt ihre Sorgen und Interessen wahr zu nehmen, grinst Olaf , in öffentl.Auftritten sie einfach weg, während Grüne versuchen, mit US-ähnlichen Show-Einlagen und Äußerlichkeiten zu punkten , so z. B. einer von einer Euro 135.000,- p.A. teuren, vom Steuer-Michel stets finanzierten, perfekt aufgebrezelten Annalena mit immer makellosem Make up, Frisur, die bei jedem Wetter noch sitzt,teuren Designerklamotten, während ein Rentner, der 45 Jahre lang zum Durchschnittslohn gearbeitet hatte incl. Zahlung öffentl. Abgaben, von der Ampel gerade mal am Lebensabend mit einer Almosenrente von Euro von1.150,- abgespeist wird. Rentnerinnen erhalten wg. Zahlungslücken noch weniger. Das erklärt dann die rasante Eroderung der Altparteien und den Zuwachs der AFD in Wahlumfragen innert nur 2 Jahren..

    Antworten (1)
    • Anonym 18.07.2023, 12:32 Uhr

      Der Hang von Annalena, Deutschlands "Next Top-Model" zu werden und die öffentl. Laufstege, ähnlich wie Claudia Schiffer zu erobern , ist unverkennbar. Dieses Ziel soll sie gefälligst privat finanzieren (dazu verflichten auch die Obliegenheiten der Wirtschaftlich- und Sparsamkeit bei Amtsträgern) und nicht den dt. Michel exorbitant teuer finanzieren lassen. Möglicherweise wäre sie auch in der Modebranche besser aufgehoben, als in der Politik. Bei Robert mit seinem teurem Leibphotografen auf Staatskosten ist es ähnlich. Besonders Grüne betreiben Politik und celebrieren ihre öffentl. Auftritte schon auffällig nach US-(Trump-) Manier mit viel Bling-bling in Verbindung mit auf die Nation ausgeschütteter zig Tonnen teurer grüner Pseudomoral .

  • 80 Anonym 16.07.2023, 16:54 Uhr

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  • 79 16.07.2023, 10:30 Uhr

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  • 78 Anonym 16.07.2023, 10:17 Uhr

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  • 77 Anonym 16.07.2023, 07:59 Uhr

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  • 76 Anonym 16.07.2023, 06:37 Uhr

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  • 75 Anonym 16.07.2023, 05:20 Uhr

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  • 74 Anonym 16.07.2023, 04:43 Uhr

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  • 73 Anonym 15.07.2023, 23:40 Uhr

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  • 72 Anonym 15.07.2023, 20:52 Uhr

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