KOLUMNE

Höchste Zeit für mehr Regenbogen im Weißen Haus!

Stand: 14.05.2022, 06:00 Uhr

Joe Biden bekommt eine neue Pressesprecherin: Karine Jean-Pierre ist die erste Schwarze und die erste lesbische Frau in diesem Job. Anderswo in den USA aber, in vielen konservativen Bundesstaaten, wird die Welt für Menschen aus der LGBTQ-Community gerade enger.

Von Katrin Brand

"Es geht nicht um mich, es geht nicht um eine Person", sagte Karine Jean-Pierre, als sie zum ersten Mal an dem berühmten Pult im Pressesaal des Weißen Hauses stand, es gehe darum, was diese Regierung für das amerikanische Volk tue. Das klang sehr hübsch bescheiden, war aber nur die halbe Wahrheit.

Joe Biden hat Karine Jean-Pierre, 47 Jahre alt, bewusst auf diesen Platz gesetzt. Selbstverständlich ist sie hervorragend für ihren neuen Job qualifiziert: Sie war stellvertretende Pressesprecherin, ist eine enge Beraterin der Familie Biden und hat den Wahlkampf für Vizepräsidentin Kamala Harris geleitet. Aber sie ist eben auch schwarz und lesbisch. Das hat es in diesem Job noch nie gegeben.

Die Vielfalt sichtbar machen

Für den US-Präsidenten ist das keine ungewöhnliche Personalentscheidung. Er hat einen schwulen Verkehrsminister, seine Innenministerin ist eine indigene Amerikanerin, zum Minister für Innere Sicherheit hat er einen Mann mit lateinamerikanischen Wurzeln ernannt und an führender Stelle im Gesundheitsministerium arbeitet eine Transfrau. Sie alle sind die ersten auf diesen Jobs. Biden will sie sichtbar machen, die Diversität der amerikanischen Gesellschaft zeigen und, natürlich, die Stimmen der progressiven Amerikaner holen.

Millionen Menschen in den USA sind schwul oder lesbisch, fühlen sich keinem Geschlecht zugehörig, bezeichnen sich als intersexuell oder finden, dass das in ihrer Geburtsurkunde eingetragene Geschlecht falsch ist. Doch was Biden und die Demokraten als Vielfalt feiern, wird in vielen konservativen Bundesstaaten als neumodische Erscheinung oder als Bedrohung wahrgenommen. Wo Biden Türen aufstößt, riegeln die Republikaner sie wieder ab.

In Florida zum Beispiel sollen acht- oder neunjährige Kinder in der Schule nichts über Homosexualität erfahren. Gouverneur DeSantis hat gerade ein entsprechendes Gesetz unterzeichnet. Er hält es für unangemessen, wenn Kindergartenkindern beigebracht wird, dass sie alles sein können, was sie sein wollen. Seine Gegner nennen es das "Don't say gay"-Gesetz.

Gott kennt nur Männer und Frauen?

Oklahoma hat Gesetze verabschiedet, die es verbieten, dass in der Geburtsurkunde eingetragene Geschlecht zu ändern oder ein non-binäres Geschlecht zu wählen. Er glaube, dass Menschen von Gott als männlich oder weiblich geschaffen werden, sagt Gouverneur Kevin Stitt. In Alabama müssen Ärzte mit hohen Strafen rechnen, wenn sie jungen Transmenschen unter 19 Jahren Hormone verschreiben.

Besonders viele Gesetze nehmen Transfrauen und -mädchen in den Blick. Wenigstens ein Dutzend Staaten macht es ihnen unmöglich, in der Schule und an der Uni an Sportwettbewerben der Frauen teilzunehmen. Viele weitere Staaten haben ähnliche Gesetze in der Pipeline. Wenn jemand, der laut Geburtsurkunde männlich sei, gegen Mädchen antrete, hätten die keine Chance, heißt es.

Das ist ein richtiges und wichtiges Argument. Nur, das räumen selbst die Befürworter ein, gibt es in den meisten Bundestaaten keinen einzigen bekannten Fall, der diese Gefahr bestätigen würde. Eine Schwimmerin in Pennsylvania, zwei Läuferinnen in Connecticut, eine Hockey-Spielerin in Kentucky: Das war's aber auch schon - in einem Land mit 330 Millionen Menschen.

Irgendwie anders, irgendwie problematisch

Hier wird ganz offenbar ein Konflikt beseitigt, den es gar nicht gibt. Und was noch schlimmer ist: Es wird nicht auf die einzelnen Menschen geschaut. Junge Menschen, die irgendwie "anders" sind, werden zum Problem erklärt. Wie unfair, wie ungerecht.

In den USA tobt gerade ein Kulturkampf darum, was "amerikanisch" bedeutet. Eine große Gruppe von Männern und Frauen, die sich als hart arbeitende, schweigende Mehrheit versteht, fühlt sich nicht mehr heimisch im eigenen Land. Mit ihren Anti-Transgender-Gesetzen schaffen konservative Politiker eine Art Lagerfeuer, an dem sich diese Menschen wärmen können: Wir sind die Mehrheit, es ist unser Land, nicht deren. Die Minderheiten wiederum - Frauen gehören auch dazu - wollen nicht mehr länger ausgegrenzt werden. "Wir sind das bunte Amerika", sagen sie.

Joe Biden ist als Versöhner angetreten. Doch mit seiner pro-LGBTQ-Politik hat er den Kulturkampf wohl eher befeuert als beendet. Als Deutsche, die noch nicht lange in diesem unfassbar großen, unfassbar widersprüchlichen Land lebt, macht mich das ratlos und traurig. Hier sollte doch Platz für alle sein.

Was denken Sie? Würden Sie sich auch in Deutschland mehr Diversität in der Politik wünschen? Oder ist das aus ihrer Sicht nur Symbolpolitik, die nicht wirklich was an der strukturellen Ungleichheit und Diskriminierung der LGBTQ-Community in der Gesellschaft ändert? Lassen Sie uns darüber diskutieren! In den Kommentaren auf WDR.de oder auf Social Media.

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Kommentare zum Thema

  • Henneschen 15.05.2022, 17:44 Uhr

    Was bitte hat dieser Artikel mit der Aufgabe der öffentlich-rechtlichen Sender zur Bildung der Bevölkerung zu tun?

    • Rene 15.05.2022, 20:18 Uhr

      Alles. Vielen Dank Frau Brand für Ihren Beitrag und das Sie sich die Zeit nehmen hier auch auf einige Kommentare zu antworten.

    • Kurt 15.05.2022, 20:54 Uhr

      Ich schließe mich Henneschen an und frage mich das auch. Und an Rene: du solltest dir den Kommentar nochmals durchlesen, dann verstehst du was Henneschen meint.

  • Pedsg 15.05.2022, 11:23 Uhr

    Das Festschreiben von Überzeugungen in Vorschriften ist meiner Meinung nach nicht zielführende! Viel besser wäre es, das in den Denkweisen und Handlungen der Mitbürger zu erreichen. Man nimmt auch nicht um mehr Umverteilung zu dokumentieren, Multimillionären lionären ihren Rolls weg und schenkt ihn einem Sozialhilfeempfänger; dadurch bessert sich nichts, sondern die Gegner des Vorgehens bekommen nur Möglichkeit, ihre polemischen Aüsserungen breitflächig zu publizieren. Das ist m.E. nicht der Sache dienlich. Das sieht man bei der Berichterstattung über Errichtung von erneuerbaren Energiequellen: Es überwiegt nicht der Fokus auf die Notwendigkeit, sondern die negativen Begleiterscheinungen, die einige wenige angeblich erdulden müssen! So wäre auch die Festschreibung einer Quote für LGBTQ wahrscheinlich kontraproduktiv! Möge der besser Ausgebildete trotz Ausbildungsnotstand den Job machen!!!!

  • Medias Res 15.05.2022, 09:27 Uhr

    Also ich sehe in BRD nur noch viele Falten auf der Stirn derer, die( noch klar) denken können, in der Schule die Grundrechenarten für das Leben erlernten und nun mit erstaunen lernen sollen, dass Regenbogen kein Naturphänomen sind, sondern Haupthemen der Medien sein sollen.