Bilanz: Hochwasserschutz NRW Aktuelle Stunde 17.09.2024 25:43 Min. UT Verfügbar bis 17.09.2026 WDR Von Anne Bielefeld

Wie gut ist NRW auf das nächste Hochwasser vorbereitet?

Stand: 18.09.2024, 06:00 Uhr

NRW versucht nach der Hochwasserkatastrophe im Ahrtal und den Hochwassern im vergangenen Winter seine Bürger besser zu schützen. Der BUND kritisiert aber die Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel.

Nach starken Regenfällen hat es in den Hochwasser-Gebieten in Mittel- und Osteuropa bereits mehr als 20 Tote gegeben, und in Brandenburg bereitet man sich auf ansteigende Flüsse und Hochwasser vor - vor allem an der Oder.

In Nordrhein-Westfalen gibt es derzeit zum Glück keine akuten Warnungen vor Hochwasser oder Starkregen. Die Hochwasser vom vergangenen Winter und erst Recht die Ahrtal-Katastrophe vom Jahr 2021 sind vielen Bürgern aber noch sehr präsent. Damals verloren neben mehr als 130 Toten in Rheinland-Pfalz auch in NRW nach Überschwemmungen und Hochwasser 49 Menschen ihr Leben.

Dass solche Wettereignisse künftig häufiger auftreten, legen Daten nahe, und davon ist auch NRW-Umweltminister Oliver Krischer (Grüne) überzeugt, wie er in diesem Sommer sagte: "Extremwetter und Hochwasser werden unser Land durch die Menschen verursachte Klimakrise künftig noch häufiger und intensiver treffen."

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Bürger, die sich Sorgen machen, kann Dirk Jansen, Geschäftsführer des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) in NRW, nur bedingt beruhigen, denn zu ihrem Schutz sei seit der Katastrophe vor drei Jahren nicht viel passiert: "Das Pegelwesen wurde verbessert und Warnzeiten werden kürzer, aber in der Ursachenbekämpfung sehen wir nichts."

BUND: NRW hat aus Fehlern gelernt, bekämpft Ursachen aber nicht

Der BUND engagiert sich gemeinsam mit der Landesgemeinschaft Natur und Umwelt NRW und dem Naturschutzbund Deutschland (NABU NRW) im Landesbüro der Naturschutzverbände NRW für den Hochwasserschutz.

Wir müssen uns darauf einstellen, dass das Extreme das neue Normal wird. NRW-Umweltminister Oliver Krischer (Grüne)

Dass es mit verbessertem Pegelwesen und kürzeren Warnzeiten nicht getan ist, weiß auch Krischer: Sein Ministerium hat bereits im Januar 2022 einen 10-Punkte-Plan zur Stärkung des Hochwasserschutzes im Klimawandel auf den Weg gebracht. 

Ein "absoluter Schutz vor Hochwasser" sei nicht möglich, aber neben Maßnahmen, die vor allem dem Schutz der Bürger (Warnzeiten) und der Unterstützung der Kommunen (Deichsanierung) gelten, ist in dem Plan unter anderem auch eine "Anpassung der Festsetzung von Überschwemmungsgebieten in Anbetracht des Klimawandels" vorgesehen.

Dirk Jansen vom Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland | Bildquelle: imago images/Reiner Zensen

Bei den Überschwemmungsgebieten sieht Jansen allerdings genau wie bei der ebenfalls im Plan aufgenommenen "wasserbewussten Stadtentwicklung" keine Fortschritte. Der BUND-Geschäftsführer bescheinigt dem Land durchaus, im Umgang mit extremen Wetterereignissen aus dem "katastrophalen Krisenmanagement" von 2021 gelernt zu haben. Deshalb sei man bei der Gefahrenabwehr vermutlich viel besser aufgestellt. Die "gigantische Aufgabe der Klima-Anpassung" sei man jedoch nicht angegangen: "Die Hochwasserdemenz in NRW ist stark ausgebildet."

In Überschwemmungsbereichen wird immer noch gebaut

Beispielhaft nennt Jansen vier Bereiche, in denen seiner Ansicht nach deutlich größere Anstrengungen nötig wären, um entweder Platz für Wasser zu schaffen oder es zumindest zwischenzuspeichern, ehe es absickern kann:

Gewässer und Flüsse: Lediglich zehn Prozent der Fließgewässer seien in einem guten ökologischen Zustand. Es gebe keine Flutbereiche, und die Gewässer hätten viel zu wenig Platz. Jansen kritisiert, dass in ausgewiesenen und potenziellen Überschwemmungsbereichen immer noch Wohn- und Industriegebiete geplant werden. "Das ist natürlich absurd. 150 Jahre lang wurden Gewässer begradigt und betoniert. Das muss jetzt rückgängig gemacht werden." In diesem Zug müssten gegebenenfalls auch Deiche verlegt werden.

Bebauung: In Städten müsste der auf der Entwässerung liegende Fokus einer Entwicklung hin zur "Schwammstadt" weichen. Der Zwischenspeicherung von Wasser, etwa über die Begrünung von Dächern, komme entscheidende Bedeutung zu. Pro Tag würden in NRW immer noch 5,6 Hektar Land für Siedlung und Verkehr verbraucht, wodurch die Wasserspeicherfähigkeit nachlasse.

Landwirtschaft: "Wir brauchen eine an den Klimawandel angepasste Landnutzung - Grünland erhalten und eine abwechslungsreichere Fruchtfolge", fordert der BUND-Sprecher. Ein intensiv bewirtschafteter Acker - etwa mit Mais - schädige die Humusschicht und speichere kaum Wasser. Auch "Öko-Korridore" zwischen den einzelnen Anbauflächen wären schon eine Hilfe.

Forstwirtschaft: In NRW sind mehr als 60 Prozent des Waldes im privaten Besitz. Die Waldbauern setzen laut Jansen auf Erträge mit schnell wachsenden Baumarten: "Diese Fichten-Monokulturen haben mit einem Wald-Ökosystem nichts zu tun." Sie hätten eine viel geringere Wasserspeicherfunktion, weshalb man für private Waldbesitzer Anreize schaffen müsse, auf standortgerechte heimische Laubwälder umzusattteln. "Ein stabiles Waldökosystem bindet CO2. Warum soll man das nicht belohnen", sagt Jansen.

Wir brauchen eine Schwammlandschaft, sind aber immer noch auf Entwässerung ausgerichtet. Dirk Jansen, BUND-Geschäftsführer in NRW

Für einen möglichst effizienten Schutz vor Starkregen und Hochwasser müsse man "das große Rad drehen". Da seien die von Umweltminister Krischer vorgelegten Eckpunkte einer Landeswasser-Strategie "zu vage", sagt Jansen. Es bräuchte einen ganzheitlichen Ansatz, in dem auch die Ministerien für Landwirtschaft und Bau mitziehen.

Allerdings hat auch Krischer zum Auftakt seiner "#Thementour 2024" zum Hochwasserschutz im Juni die Bedeutung von Maßnahmen betont, deren Umsetzung Jansen vermisst. Beispielhaft nannte er damals, dass "die Emschergenossenschaft wieder einen natürlichen Lauf der Emscher und die Entwicklung von Auen-Lebensräumen ermöglichen" wolle.

Nutzungskonkurrenz verhindert Umsetzung von Schutzmaßnahmen

Interessenkonflikte behinderten solche Maßnahmen zuweilen - wenn Grundstückseigentumer beispielsweise Flächen für die Renaturierung von Flüssen nicht 1:1, sondern 1:10 tauschen wollen. Peter Queitsch, Geschäftsführer der Kommunal-Agentur NRW kennt solche Fälle: "Das ist natürlich nicht so ganz einfach." Er berät Kommunen bei Anpassungen an den Klimawandel und sieht immer wieder, wie die Umsetzung von Schutzmaßnahmen durch solche Maßnahmen stockt. So werde die Renaturierung von Flüssen behindert: "Da ist unser Hauptproblem, an die Grundstücke heranzukommen."

Umgang mit Klimakrise: "Handeln schafft Entlastung" WDR 5 Morgenecho - Interview 17.09.2024 07:40 Min. Verfügbar bis 17.09.2025 WDR 5

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Unsere Quellen:

  • Gespräch mit Dirk Jansen, BUND-Geschäftsführer in NRW
  • Gespräch mit Peter Queitsch, Geschäftsführer der Kommunal-Agentur NRW
  • Umweltministerium NRW
  • The Emergency Events Database