Das Vogelgrippe-Virus H5N1 hat in den vergangenen Monaten zunehmend Säugetiere infiziert, unter anderem Milchvieh in den USA. Auch mehrere Menschen steckten sich an, was Befürchtungen einer drohenden neuen Pandemie weckt.
Ein Mitte Juni veröffentlichter Expertenbericht kam zu dem Schluss: Die Ausbreitung zeige, dass die Welt nicht für drohende künftige Pandemien gerüstet sei. Eine Vogelgrippe-Pandemie könnte "potenziell noch katastrophaler sein als Corona".
In den vergangenen Tagen kamen nun einige besorgte Einschätzungen hinzu - unter anderem vom Chef-Virologen der Berliner Charité, Christian Drosten.
Kommt bald wieder eine Pandemie?
Drosten hat das Vogelgrippe-Virus, das sich derzeit in den USA ausbreitet, als möglichen Auslöser für eine neue Pandemie bezeichnet. Der Erreger sei dort "sogar schon in Milchprodukten im Handel aufgetaucht", sagte Drosten dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. "So etwas hat es vorher noch nicht gegeben, solche extrem großen Ausbrüche bei Kühen – alle Fachleute sind besorgt."
Scott Hensley, Professor für Mikrobiologie an der Universität von Pennsylvania, sagte: "Es scheint fast wie eine Pandemie, die sich in Zeitlupe ausbreitet." Momentan sei die Bedrohung zwar ziemlich gering, aber das könnte sich schlagartig ändern.
Die Genfer Virologin Isabella Eckerle sieht sogar "enormes Potential für die nächste Pandemie". Das Risiko werde so lange als gering für die allgemeine Bevölkerung gewertet werden, bis es zu spät sei, schreibt die Wissenschaftlerin auf der Plattform X.
Doch eine Pandemie müsse nicht kommen, betont unter anderem der Virologe Drosten. Die Ausbreitung der Vogelgrippe unter Säugetieren könne auch "glimpflich ablaufen, das Virus braucht mehrere Schritte zur Anpassung, und vielleicht ist es vorher schon unter Kontrolle".
H5N1: Wie ist die Lage in den USA?
Schon seit Jahren beobachten Wissenschaftler einen neuen Subtypen des H5N1-Vogelgrippe-Virus bei Zugvögeln. Das Virus hat sich inzwischen auf knapp 130 Milchvieh-Herden in zwölf Bundesstaaten in den USA ausgebreitet. Infektionen wurden auch bei anderen Säugetieren, von Alpakas bis hin zu Hauskatzen, festgestellt.
Ein Sprecher des US-Landwirtschaftsministeriums stellte aber klar, die bisherige Forschung zeige, "dass sich kranke Kühe im Allgemeinen nach ein paar Wochen erholen und dass das Risiko für die menschliche Gesundheit gering bleibt".
Gibt es in den USA Fälle, in denen sich Menschen angesteckt haben?
Die Gesundheitsbehörde CDC listet derzeit vier Fälle aus den USA auf, bei denen sich Menschen mit dem Vogelgrippevirus angesteckt haben: In drei Fällen in diesem Jahr erfolgte die Ansteckung über Milchkühe, in einem Fall aus dem Jahr 2022 über Geflügel.
Von Mensch zu Mensch habe sich bisher noch niemand angesteckt, teilt die CDC weiter mit. Das Risiko für die öffentliche Gesundheit werde aktuell als niedrig bewertet. Auch die Weltgesundheitsorganisation WHO bewertet das Risiko von H5N1 für Menschen bisher als gering, da es keine Hinweise auf eine Übertragung zwischen Menschen gebe.
Vogelgrippe breitet sich aus: Gibt es Todesfälle?
Für Schlagzeilen sorgte Anfang Juni ein Todesfall in Mexiko - allerdings durch die Vogelgrippe-Virusvariante H5N2. Anfang Juni bestätigte die WHO diesen weltweit ersten Todesfall.
Wie die WHO mitteilte, starb ein 59-Jähriger, der nach der Infektion mit der Virusvariante unter Fieber, Kurzatmigkeit, Durchfall und Schwindel gelitten habe. Es gebe aber keine Hinweise darauf, dass er Kontakt zu "Geflügel oder anderen Tieren" gehabt habe.
Woher kommt das Vogelgrippe-Virus?
Das hochansteckende Influenza-A-Virus H5N1 wurde erstmals 1996 in China entdeckt und hat seitdem mehrere Ausbrüche in Geflügelbeständen und vereinzelt auch beim Menschen verursacht, fasst das Science Media Center zusammen. Mittlerweile sei der Erreger nahezu über den gesamten Globus zu finden und befalle immer häufiger auch andere Tierarten. 2005 gab es die ersten Vogelgrippe-Fälle in Europa
Vogelgrippe: Wie ist die Situation in Deutschland und Europa?
Auch in Europa gab es schon Ausbrüche unter Säugetieren. Zwischen Juli und Oktober 2023 sei bei Tieren in 27 Pelztierfarmen in Finnland H5N1 nachgewiesen worden, berichtet die EU-Gesundheitsbehörde ECDC im Juni. Analysen zeigten dort eine deutliche Anpassung des Virus an Säugetiere.
In Deutschland haben Versuche am Friedrich-Loeffler-Institut auf der Insel Riems bei Greifswald ergeben, dass auch die bei uns kursierende H5N1-Form Kühe infizieren kann. Zwar schätzt das Institut das Risiko als gering ein, dass deutsche Rinderbestände mit dem US-amerikanischen H5N1-Stamm (B3.13) infiziert werden. Und auch das Risiko der Infektion von Rindern mit in Europa vorkommenden H5-Viren sei demnach im Moment sehr gering. Dennoch empfiehlt das Friedrich-Loeffler-Institut eine erhöhte Aufmerksamkeit.
Unsere Quellen:
- Interview des Virologen Christian Drosten mit dem RND
- X-Posting der Virologin Isabella Eckerle
- Infos der Nachrichtenagenturen dpa, AFP und Reuters
Über dieses Thema berichten wir am 1. Juli 2024 auch im Fernsehen: Aktuelle Stunde, 18:45 Uhr.