Freigelassene fallen unter Jubel ihren Angehörigen in die Arme - an den Flughäfen in Köln/Bonn, Washington und Moskau spielten sich die nahezu gleichen Szenen ab. Unter Beteiligung des türkischen Geheimdienstes MIT waren insgesamt 26 Gefangene zwischen Russland, Belarus und dem Westen ausgetauscht worden. 13 Personen kamen in Deutschland an, drei in den USA und zehn in Russland.
Die richtige Entscheidung?
Ob es gut war, dem Austausch mit Russland zuzustimmen, daran scheiden sich die Geister. Scholz verteidigte die Entscheidung. Er betonte, es sei wichtig, dass diejenigen mit Schutz rechnen können, "die um ihr Leben fürchten müssen, weil sie sich für Demokratie und Freiheit eingesetzt haben". Er sagte: "Das gehört zu unserem Selbstbildnis als demokratische humanistische Gesellschaft dazu".
Der republikanische Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des US-Repräsentantenhauses, Michael McCaul, und auch deutsche Oppositionspolitiker befürchten wiederum, dass sich die USA und Deutschland durch den Austausch erpressbar gemacht haben.
Ist der Westen jetzt erpressbar?
Der Politikwissenschaftler Prof. Thomas Jäger ist indes der Meinung, dass Deutschland durch den Austausch nicht erpressbarer sei als vorher. Als Rechtsstaat mit demokratisch humanistischer Einstellung sei Deutschland schon immer erpressbar gewesen. Und auch die Deutschen, die jetzt noch in Russland sind, sind laut der Einschätzung von Jäger nicht gefährdeter als vorher - sie waren auch vorher schon gefährdet.
Auch der frühere Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), Gerhard Schindler, sagte, es wäre falsch anzunehmen, dass der Westen vor dem Deal nicht erpressbar gewesen wäre. "Das ist bar jeder Realität", sagte Schindler dem WDR. Die Kritiker des Gefangenenaustausches sollten "die Kirche im Dorf lassen und den Erfolg dieser langen und schwierigen Verhandlung" zwischen beiden Seiten feiern.
Wie andere Experten auch, ist Politikwissenschaftler Jäger der Meinung, dass Putin seinen Gefolgsleuten mit diesem Austausch signalisiert, sie nicht im Stich zu lassen. Ähnlich sieht es der Geheimdienstexperte Christopher Nehring. Dem WDR sagte er, die Gefahr, dass Deutsche in Russland wahllos verhaftet werden und gegen Agenten, Mörder und andere ausgetauscht werden, bestehe seit Jahrzehnten.
Laut Michael Brand, dem menschenrechtspolitischen Sprecher der CDU im Bundestag werde Putin durch den Gefangenenaustausch allerdings ermuntert "die Strategie von Auftragsmorden im Ausland fortzusetzen". Die Freilassung eines Auftragsmörders werde "die Unsicherheit in Russland und vielleicht auch in Deutschland erhöhen".
Russland als Geiselnehmer?
Der Friedens- und Konfliktforscher Prof. Fabian Klose von der Universität zu Köln findet den Begriff des Gefangenenaustauschs problematisch. Er assoziiere mit dem Begriff "regulierte Abläufe", wie es sie bei dem Austausch von Kriegsgefangenen gibt. Bei diesem Austausch handele es sich dagegen um eine "Geiselnahme" durch Russland, "um einen rechtsstaatlich verurteilten Mörder frei zu erpressen".
Auch Politikwissenschaftler Jäger sieht Russland in der Rolle eines Geiselnehmers. Er sagt: "Ein Geiselnehmer nimmt sich die Geiseln, wie er sie braucht." Der einzige gravierende Unterschied wäre hier, dass ein Staat der Geiselnehmer ist und ihm somit auch staatliche Mittel zur Verfügung stehen.
Hält sich Russland an die Abmachungen?
Jäger verweist auf die deutlichen Parallelen zu Agentenaustauschen während des Kalten Krieges. Aus diesem Grund würde er sich nicht wundern, wenn demnächst auch Gefangene "freigekauft" würden - denn auch das wurde im Kalten Krieg praktiziert.
Doch anders als im Kalten Krieg scheint sich Russland nicht an das Prinzip des "Freikaufens" zu halten. "Ich bin schon erstaunt darüber, dass es aus Russland Töne gibt, die die Freigelassenen erneut bedrohen", sagt der ehemalige Präsident des Bundesnachrichtendienstes August Hanning.
Russland verletze das Prinzip, dass den Freigelassenen nach dem Austausch nichts mehr geschehen dürfe. "Es geht einfach nicht, dass Leute, die man aus der Strafbarkeit entlässt, gleichzeitig noch bedroht werden", so Hanning.
Kritik an Freilassung von "Tiergartenmörder"
Neben der Frage, ob der Westen gegenüber Russland erpressbarer geworden sei, hat gerade die Freilassung von Wadim Krassikow, dem "Tiergarten-Mörder", zu Kritik an der Entscheidung geführt. Er hatte 2019 im Berliner Tiergarten für den russischen Geheimdienst FSB einen Mord begangen und war Ende 2021 in Berlin zu lebenslanger Haft in Deutschland verurteilt worden. Dass dieser nun nach nicht einmal fünf Jahren in Haft nach Russland abgeschoben wurde, verbittert vor allem die Angehörigen des Opfers, wie deren Rechtsanwältin Johanna Künne dem WDR sagte.
Auch Hanning merkt an, dass man beim Gefangenenaustausch an die Opferfamilie hätte denken müssen. "Es ist schon ein beispielloser Vorgang, weil es hier um jemanden geht, der wegen eines Tötungsdeliktes in Deutschland verurteilt wurde." Dennoch könne er alle Beteiligten verstehen.
Russland müsse sich an die Spielregeln zwischen zivilisierten Staaten halten. "Und dazu gehört auch, dass derartige Auftragsmorde, wie sie hier in Deutschland geschehen sind, künftig nicht mehr stattfinden." Das müsse die Erwartungshaltung an Russland sein, auch im Interesse nachbarschaftlicher Beziehungen.
Quellen:
- Prof. Dr. Thomas Jäger, Lehrstuhl für Internationale Politik und Außenpolitik an der Uni Köln im Gespräch mit dem WDR
- Prof. Dr. Fabian Klose, Lehrstuhl für Internationale Geschichte und historische Friedens- und Konfliktforschung an der Uni Köln im Gespräch mit dem WDR
- Geheimdienstexperte Christopher Nehring gegenüber dem WDR
- Rechtsanwältin Johanna Künne gegenüber dem WDR
- Ex-BND-Präsident Gerhard Schindler gegenüber dem WDR
- Nachrichtenagentur dpa
- Nachrichtenagentur AFP