Sowohl der Milch- als auch der Fleischkonsum sind in Deutschland auf einem Rekordtief angekommen. Im vergangenen Jahr aß der Durchschnittsdeutsche 52 Kilo Fleisch - das sind mehr als vier Kilo weniger als im Jahr 2021.
Vor allem jüngere Menschen verzichten zunehmend auf Fleischprodukte. An der Uni Bonn gab es im Mai testweise fünf Wochen lang ausschließlich fleischloses Essen in der Mensa am Hofgarten. Das Studierendenwerk wollte auf dem Weg ausloten, wie eine "nachhaltig wirtschaftende Hochschulgastronomie" aussehen kann.
An der Uni im englischen Cambridge ist man einen Schritt weiter: Die große Mehrheit der Studierenden hat dafür votiert, dass künftig kein Tier mehr auf den Teller kommt. Nicht mal Eier, Käse oder Milch sollen noch auf der Speisekarte stehen: Die Mensen in Cambridge sollen vegan werden.
In den Vereinigten Staaten wurde unterdessen der Verkauf von künstlich hergestelltem Fleisch genehmigt.
Sind wir auf dem Weg in eine Zukunft, in der kein Tier mehr für unsere Ernährung sterben muss?
Viele junge Menschen verzichten zwar auf Fleisch, aber Deutschland bleibt Fleischland
Der sogenannte Fleischatlas der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung sammelt "Daten und Fakten über Tiere als Nahrungsmittel". Der 2021 veröffentlichte Bericht enthält auch repräsentative Daten zum Fleischkonsum von 15- bis 29-Jährigen und kommt zu dem Schluss: "Fleischverzicht liegt bei den Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Trend." Aber die Mehrheit versteht sich noch als Omnivoren, also regelmäßige Fleischesser.
Im Einzelnen steht dort:
- Knapp 13 Prozent der 15- bis 29-Jährigen ernähren sich vegetarisch oder vegan. Das sind doppelt so viele wie in der Gesamtbevölkerung.
- Jeder Fünfte in der Altersklasse bezeichnet sich als "Flexitarier", ernährt sich also überwiegend vegetarisch, isst aber gelegentlich Fleisch.
- Unter den jungen Fleischessern gibt es zudem gute Vorsätze: Jeder Zweite, der Fleisch isst, will seinen Konsum zukünftig reduzieren.
Klar ist allerdings auch: Deutschland bleibt ein Fleischland. Zu dem Ergebnis kommt eine repräsentative Studie des Lebensmittelherstellers Rügenwalder Mühle, der sowohl Fleischprodukte als auch Fleischalternativen vertreibt. Demnach ernährt sich nur eine Minderheit von neun Prozent komplett fleischfrei.
In der Studie steht unter anderem auch:
- Jeder zweite Deutsche (53 Prozent) ist Omnivore, isst also regelmäßig Fleisch- und Wurstprodukte, ein gutes Drittel (38 Prozent) nur gelegentlich. Bei den 15- bis 29-Jährigen bezeichnen sich 61,7 Prozent als Omnivoren.
- Alter, Einkommen und Bildung haben einen starken Einfluss auf Ernährung. So ernähren sich 11 Prozent der höher Gebildeten rein pflanzlich, aber nur 4 Prozent der Menschen mit niedriger Bildung.
- Junge Menschen stehen der Fleischproduktion deutlich skeptischer gegenüber als ältere. Für ein Drittel der 18- bis 34- Jährigen ist Fleischkonsum eigentlich nicht mit ihrem Gewissen vereinbar. Bei den über 55-Jährigen liegt diese Zahl bei nur 17 Prozent.
In Mensen findet ein Umdenken statt
Die Studien zeigen: Der Verzicht auf Fleisch und eine bewusste Ernährung beschäftigt vor allem die junge Generation. In NRW findet man dafür etwa an den Unis Belege.
An der Uni Münster hat eine Umfrage des AStA ergeben: Über 70 Prozent der Studierenden würden es begrüßen, wenn das fleischfreie Angebot steigt - und die Zahl der Fleisch-Gerichte dafür sinkt. 18 Prozent können sich dagegen keinen Tag ohne Fleisch vorstellen.
Das Studierendenwerk der Uni Bonn, das wie erwähnt mit einem fleischfreien Speiseplan experimentiert, stellt bei den Besuchern in seinen Mensen fest: Je älter ein Gast, desto selbstverständlicher wird er Fleisch erwarten und wählen.
Auch an der FH Münster gibt es "noch einen Fleischüberhang", sagt Klimaschutzmanagerin Marion Behrends. "Aber es wird deutlich, dass sich die Nachfrage ändert." Viel Fleisch würde vor allem an den Mensa-Standorten gegessen, an denen männerdominierte Studiengänge zu finden sind.
Der Fleischatlas bestätigt die Beobachtung: "Wer sich für Technik und Handwerk interessiert, isst tendenziell mehr Fleisch." Und: Vegetarische und vegane Ernährung scheint ein weibliches Thema zu sein. Beide Gruppen werden zu 70 Prozent von Frauen dominiert.
Nicht nur an den Unis, auch an Kitas und Grundschulen wird zunehmend auf Fleisch verzichtet:
- 83 Prozent der Eltern halten es für wichtig, dass ihr Kind außer Haus gesund und nachhaltig verpflegt wird. Zu dem Ergebnis kommt die repräsentative AOK-Familienstudie, für die rund 8.500 Eltern befragt wurden. Nach Angaben ihrer Eltern essen bundesweit 33 Prozent aller Kinder selten oder gar kein Fleisch; in Berlin sind es sogar 47 Prozent.
- Die Zahlen schlagen sich auch in den Speiseplän von Kitas und Kindergärten nieder: Der Träger Fröbel zum Beispiel betreibt 74 Einrichtungen in NRW. In 40 Kitas wird kein Fleisch mehr serviert.
"Vegetarisches Essen in der Kita ist empfehlenswert", heißt es auch in einem Statement der Verbraucherzentrale. Laut Studien würde derzeit in den Kitas zu viel Fleisch und zu wenig Gemüse angeboten. Mehr dazu lesen Sie hier:
Das Geld spielt für die Betreiber von Kitas, Kindergärten oder Mensen übrigens kaum eine Rolle. Fleischalternativen haben in der Breite bislang keine Preisvorteile.
Fleisch ist billig, insbesondere dann, wenn es aus Massentierhaltung stammt. Es wird stark subventioniert, zum Beispiel mit einer geringen Mehrwertsteuer von sieben Prozent. Und die Klima- und Umweltschäden, die durch die Massentierhaltung entstehen, spiegeln sich bislang nicht in den Preisen wider.
Fleischfreie Produkte sind längst ein Wirtschaftsfaktor
Auch wenn fleischfreie Gerichte derzeit noch nicht billiger sind, hat der Trend zu mehr veganem und vegetarischem Essen Auswirkungen auf die Wirtschaft. So ist jedes fünfte neue Produkt, das in Deutschland eingeführt wird, vegan.
- Der Kölner Supermarkt-Konzern Rewe hat mittlerweile rund 1.400 vegane Ersatzprodukte im Sortiment. Das Angebot soll weiter ausgebaut werden: Das "Bedürfnis der Kundinnen und Kunden nach Nachhaltigkeit und veganen Lebensmitteln" nehme zu, erklärte Rewe gegenüber dem WDR.
- Der Lebensmittelhersteller Rügenwalder Mühle macht mittlerweile mehr Umsatz mit seinen Fleischalternativen als mit klassischen Fleischprodukten. In den Kühlregalen mit den Ersatzprodukten ist das Unternehmen ohnehin nicht mehr wegzudenken.
- Auch traditionelle Molkereien wie Zott oder Meggle bieten neben den klassischen Milch-Produkten längst veganen Ersatz an.
"Immer mehr Unternehmen entwickeln Produkte, die den gestiegenen Bedarf an pflanzenbasierter Ernährung berücksichtigen", sagt Karin Tischer. Die Trend-Forscherin hat in Kaarst am Niederrhein das Unternehmen "Food and more" gegründet und analysiert für ihre Kunden Lebensmittelmärkte und Trends. Tischer ist sicher: "Der Veganismus hat seinen Höhepunkt noch nicht erreicht."
Auch in Restaurants erwarten Gäste zunehmend vegane Alternativen auf den Speisenkarten:
- In NRW gibt es mittlerweile mehr als 120 rein vegetarische und vegane Restaurants. So steht es in dem Restaurant-Verzeichnis "love veggie".
- Das schlägt sich seit vergangenem Jahr auch in der Ausbildung zur Köchin und zum Koch nieder. Inhalte zur vegetarischen und veganen Küche werden ausführlicher gelehrt.
- Fast-Food-Ketten springen ebenfalls auf den Trend auf. Burger King bietet alle seine Fleisch-Burger mit veganen Pattys an. Jede fünfte Whooper, der über die Theke geht, ist mittlerweile fleischfrei. Auch McDonalds hat für ausgewählte Produkte eine Alternative in Deutschland eingeführt. In den USA waren die Versuche dazu nach einem Testlauf übrigens eingestampft worden.
Vegan oder vegetarisch - das ist keine Frage des Geschmacks
In Deutschland konsumiert ein Drittel der Menschen laut Bundesernährungsreport regelmäßig Fleischersatzprodukte und Milchalternativen. Bei den unter 45-Jährigen greift mehr als jeder Zehnte sogar täglich zu den Alternativ-Produkten.
Ob Menschen Fleisch essen oder fleischlos leben, scheint dabei keine Geschmacksfrage zu sein - sondern ein "stark politisches Thema", wie Forschende der Uni Göttingen laut "Fleischatlas" herausgefunden haben. Vegetarier und Veganer sie sind "deutlich nachhaltigkeitsorientierter und sehen sich auch selbst als Pioniergruppe eines zukunftsfähigen Ernährungsstils".
Ihre Argumente?
- Weniger CO2: Im Vergleich zu Rindfleisch entstehen bei der Herstellung von Fleischersatz-Produkten laut Umweltbundesamt über 90 Prozent weniger Treibhausgase.
- Auch der Wasser- und Flächenverbrauch ist deutlich geringer: Forschende schätzen, dass auch hier im Vergleich zur Viehwirtschaft 90 Prozent eingespart werden könnten.
- Tierwohl: Jahr für Jahr sterben in Deutschland fast 100 Millionen Tiere, ohne dass ihr Fleisch überhaupt verzehrt wird.
Die Deutschen können sich eine Zukunft ohne Fleisch nicht vorstellen
Selbst wenn der Trend in Richtung Vegetarismus und Veganismus geht: Die überwiegende Mehrheit der Deutschen geht nicht von einer fleischfreien Zukunft aus. Zwar kann sich einer von vier Flexitariern vorstellen, auf eine vegetarische oder vegane Ernährung umzustellen. Mehr als drei Viertel der Fleischesser (oder Omnivoren) möchte die eigene Ernährungsweise in Zukunft aber nicht ändern. Zu dem Ergebnis kommt die Studie der Rügenwalder Mühle.
Und auch wenn die Produktion in Deutschland rückläufig ist, bleibt die Fleischproduktion ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Der wirtschaftlicher Wert von Fleisch war 2021 rund 80 Mal so hoch wie der von Fleischersatzprodukten. Das hat das Statistische Bundesamt ermittelt.
Laut Bundesanstalt für Landwirtschaft wird Vieh vor allem in Bayern, Niedersachsen und in Nordrhein-Westfalen gehalten. Daher reagieren hierzulande nicht alle erfreut auf den Trend zu mehr Veggie, wie auch NRW-Landwirtschaftsministerin Silke Gorißen (CDU) erfahren musste.
Sie besuchte die Mensa der Uni Bonn während der fleischfreien Wochen. "Wir wollen mehr junge Menschen für eine gesunde und nachhaltige Ernährung begeistern", sagte die Ministerin.
Ihr Lob für die Veggie-Cannelloni stieß allerdings sowohl Landwirten als auch CDU-Parteikollegen sauer auf. Die Zeitung "Welt" berichtet über interne Chat-Gruppen, in denen gefragt wurde, wie die Ministerin denn eine fleischfreie Kampagne unterstützen könne. Gorißen sah sich schließlich genötigt, sich zum Fleisch zu bekennen - und sagte in einer Erklärung, für sie gehöre "Fleisch zur Ernährung dazu".
Dabei ist Fleisch zweifellos ein Problem fürs Klima, das lässt sich auch an einer Statistik ablesen, die die WDR-Wissenschaftsredaktion ermittelt hat: Würden in Deutschland alle Menschen auf Fleisch verzichten, ließen sich laut WDR-Wissenschaftsredaktion rund 30 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente sparen. Zum Vergleich: Ein Verbot von Inlandsflügen würde nur 2 Millionen Tonnen bringen.
Die Nachfrage nach Fleisch wird weltweit zunehmen - was dann?
Die Chancen für Fleischalternativen stehen gut. "Fachleute sehen in den kommenden Jahren bei den pflanzenbasierten Alternativen weltweit eine jährliche Wachstumsrate von 20 bis 30 Prozent", so Stephanie Wunder von der Denkfabrik Agora Agrar.
Allerdings: Global könnte mit einem steigenden Wohlstandsniveau auch der Hunger auf Fleisch weiter steigen. "Die Nachfrage nach tierischen Produkten wird noch drastisch zulegen", sagt der Ökonom Nick Lin-Hi von der Uni Vechta. "Wir rechnen damit, dass sie 2050 nochmals 60 Prozent höher sein wird als heute. Und das ist nicht mehr verkraftbar." Lin-Hi ist davon überzeugt, dass wir mit dem "jetzigen Instrumentarium" keine nachhaltige Entwicklung erreichen können.
Für Nick Lin-Hi führt daher kein Weg an Fleisch vorbei, das im Labor aus Zellkulturen gezüchtet wird. "Zumindest nicht, wenn wir uns darauf einigen, dass wir die Erde erhalten wollen." Die einzige Alternative wäre, den Fleischkonsum sehr stark zu reduzieren. "Das halte ich allerdings nicht für realistisch."
Wo es das kultivierte Fleisch wahrscheinlich bald zu kaufen gibt und warum der deutschen Landwirtschaft ein Tesla-Moment drohen könnte, lesen Sie hier: