Neue Regeln bei der Blutspende Aktuelle Stunde 04.09.2023 13:48 Min. UT Verfügbar bis 04.09.2025 WDR Von Paul-Patrick Nelles

Blutspenden und sexuelle Orientierung: Was die neuen Regeln bedeuten

Stand: 04.09.2023, 20:21 Uhr

Von heute an sollen mehr Menschen in Deutschland Blut spenden dürfen. Es treten neue Regeln in Kraft, mit denen es vor allem homo- und bisexuellen Männern leichter gemacht und eine jahrzehntelange Diskriminierung beendet werden soll.

Vielen homo- und bisexuellen Männern war es bislang nicht möglich, in Deutschland Blut zu spenden. Künftig soll dieses Kriterium bei der Risikobewertung keine Rolle mehr spielen. Das sieht eine erneuerte Richtlinie der Bundesärztekammer vor, die heute in Kraft tritt. Ab wann genau die neue Regelung in der Praxis angewendet werden kann, hängt laut Bundesärztekammer davon ab, wie schnell die Blutspendedienste ihre Fragebögen umstellen.

Der DRK-Blutspendedienst West hat nach eigenen Angaben erst heute von den endgültigen neuen Bestimmungen der Bundesärztekammer zu den neuen Blutspenderegeln gehört. Deswegen könnten sie auch jetzt erst anfangen, den neuen Anamnese-Fragebogen zu erstellen. In "vier bis sechs Wochen" soll der neue Fragebogen dann fertig sein.

Beim DRK werden die neuen Regeln aber trotzdem "schon ab morgen" umgesetzt – "da wird also niemand weggeschickt, der laut den neuen Regeln blutspendeberechtigt ist", so die Pressestelle.

Was ändert sich mit der neuen Richtlinie?

Um Diskriminierung zu verhindern, erfolgt die Risikobewertung von Blutspenden nun unabhängig von der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität. Heißt: Wer Blut spenden will, wird nicht mehr nach der sexuellen Orientierung, sondern nach der Anzahl der Sexualpartner und Sexualpartnerinnen befragt. Auch zur Sexualpraxis gibt es laut Bundesärztekammer Fragen. Heterosexuelle Menschen müssen also genau wie etwa homo- oder bisexuelle Menschen konkret Angaben zu ihrer Sexualpraxis machen. Dabei wird auch speziell nach Analsex gefragt.

Spezielle Ausschlusskriterien für Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), fallen weg. Außerdem entfällt die Regelung zur Rückstellung von Transmenschen, die Sex mit häufig wechselnden Partnern haben. Und noch eine Form der Diskriminierung hat ein Ende: Bisherige Altersgrenzen gibt es künftig nicht mehr. heißt: Auch Über-60-Jährige, die noch nie Blut gespendet haben, dürfen das jetzt.

Wer darf künftig NICHT Blut spenden?

Zurückgestellt wird, wer "innerhalb der letzten vier Monate ein Sexualverhalten aufgewiesen hat, das ein deutlich erhöhtes Übertragungsrisiko für durch Blut übertragbare schwere Infektionskrankheiten birgt". Dazu gehört demnach etwa Sex mit insgesamt mehr als zwei Personen in diesem Zeitraum und Sex mit einer neuen Person, wenn dabei Analverkehr praktiziert wurde.

Auch Sexarbeit und deren Inanspruchnahme sowie Sexualverkehr mit einer Person, die mit Hepatitis B, Hepatitis C oder HIV infiziert ist, gilt als risikobelastetes Verhalten. Ziel der Risikoanalyse ist es, die Übertragung einer Infektion auf den Empfänger einer Blutspende möglichst zu verhindern.

Dauerhaft von einer Spende ausgeschlossen werden Menschen mit Diabetes mellitus, sofern mit Insulin behandelt, und zum Beispiel auch Personen, die Drogen konsumieren oder Medikamente missbräuchlich zu sich nehmen, oder bei denen ein begründeter Verdacht dessen besteht.

Welche Blutspende-Regeln galten bislang in Bezug auf das Sexualverhalten?

Unabhängig von der Sexualpraxis galt bislang noch als risikoreich, wenn ein Mann innerhalb der letzten vier Monate Sex mit einem neuen Mann hatte. Bei Sexualverkehr zwischen Frau und Mann wurde hingegen für vier Monate nur zurückgestellt, wer "häufig wechselnde Partner/Partnerinnen" hatte.

Was ist Auslöser für die Änderung?

Im März beschloss das Parlament, "eine unvertretbare, medizinisch unnötige Diskriminierung" homosexueller Männer bei Blutspenden zu beseitigen, wie es Gesundheitsminister Karl Lauterbach nannte. Das Gesetz gab der Bundesärztekammer eine entsprechende Änderung der Richtlinie vor.

Im Transfusionsgesetz wurde dafür festgelegt, dass die sexuelle Orientierung bei der Bewertung des Risikos, das zu einem Ausschluss oder einer Rückstellung von Blutspenden führt, nicht berücksichtigt werden darf. Eine Einschätzung solle aber nach dem "individuellem Sexualverhalten der spendewilligen Person" möglich bleiben.

Wieso galten für homo- und bisexuelle Männer bislang andere Kriterien?

Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts zeigen epidemiologische Daten, dass Sex unter Männern mit einem besonders hohen Übertragungsrisiko für verschiedene Infektionen einhergeht. Etwa zwei Drittel der jährlichen Neuinfektionen mit HIV fielen auf Männer, die Sex mit Männern haben (MSM).

Auch bei Syphiliserkrankungen, bei denen der Infektionsweg bekannt sei, wurden dem RKI zufolge 85 Prozent aller Erkrankungen auf Sex unter Männern zurückgeführt (Stand: September 2021). Bis 2017 durften MSM und Transmenschen deswegen sogar gar nicht Blut spenden.

Was sagen Betroffene zu den neuen Regeln?

Die Deutsche Aidshilfe und Schwulen-Vertreter bezeichnen die neue Richtlinie als nach wie vor diskriminierend. Die neuen Kriterien würden die meisten schwulen Männer weiterhin ausschließen, ohne dies klar zu benennen. Aidshilfe, der Berliner Queer-Beauftragte und der Lesben- und Schwulenverband forderten neue Regeln. So hält die Aidshilfe die Regelung für Analverkehr für falsch - die Sexualpraktik an sich sei kein Risiko.

"Diese Annahme ist stigmatisierend", hieß es in einer Mitteilung. Es sei nicht nachvollziehbar, warum Schutzmaßnahmen wie Kondome und HIV-Prophylaxe in der Risikobewertung nicht berücksichtigt würden. "Zum wiederholten Mal hat die Bundesärztekammer eine inakzeptable Regelung vorgelegt." Der Plan der Ampelkoalition, der Diskriminierung schwuler Männer und Transmenschen ein Ende zu setzen, sei gescheitert.

Sind Blutprodukte auch mit der neuen Regelung noch sicher?

"An der Sicherheit der Blutprodukte ändert sich nichts", versicherte Johannes Oldenburg, Arzt und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer. Das zeigten auch Erfahrungsberichte aus anderen Ländern, die ihren Fragenkatalog bereits entsprechend angepasst hätten. Auch wenn künftig nicht mehr explizit nach der sexuellen Orientierung gefragt werde, würden mögliche Risiken ebenso gut erfasst.

Auch über den Wegfall der Altersgrenze müssten potenzielle Blutspendenempfänger sich keine Sorgen machen. "Die Qualität des Blutes wird durch das Alter nicht beeinträchtigt." Die bisherige Regelung sei zum Schutz von Spendern eingerichtet worden, weil ältere Menschen zum Teil Kreislaufprobleme oder Bluthochdruck hätten.