Sicherheitskräfte an einem brennenden Auto in Soutport

Ausschreitungen nach Messerattacke: Was passiert in Großbritannien?

Stand: 07.08.2024, 19:14 Uhr

Seit Tagen erschüttern anti-muslimische Krawalle Großbritannien und Nordirland. Die Polizei rechnet mit weiteren Ausschreitungen. Die Hintergründe.

Brennende Autos, geplünderte Geschäfte, verletzte Polizisten und anti-muslimische Parolen – die Lage in mehreren englischen Städten sowie im nordirischen Belfast bleibt angespannt. Besonders in Nordengland randalieren Rechtsextreme seit Tagen, zuerst in Southport, später in Liverpool, Manchester, Leeds, Sunderland oder Rotherham. Dort versuchten Vermummte, ein Hotel zu stürmen, in dem sie Asylbewerber vermuteten. Auch in der Hauptstadt London gab es Krawalle. Die Polizei hat bereits mehr als 400 Personen festgenommen, etwa 100 wurden angeklagt.

Britische Polizei bereitet sich auf Krawalle vor

WDR Studios NRW 07.08.2024 00:58 Min. Verfügbar bis 07.08.2026 WDR Online


Wie ist die Situation aktuell?

An diesem Mittwoch rechnet die britische Polizei nach eigenen Angaben mit weiteren rechtsextremen Ausschreitungen. Landesweit könnten davon mehr als 100 verschiedene Orte betroffen sein, sagt sie. Etwa 6.000 speziell ausgebildete Beamte seien im Einsatz, um auf mögliche Krawalle zu reagieren. Mehrere Länder wie China, Australien und Indien warnen ihre Bürgerinnen und Bürger vor Reisen nach Großbritannien.

Warum kommt es zu den Ausschreitungen?

Auslöser war ein Messerangriff auf Kinder im nordenglischen Southport vergangene Woche. Bei einem Taylor-Swift-Tanzkurs, einem Ferienkurs für Kinder und Jugendliche, tötete ein Mann drei Mädchen im Alter von sechs, sieben und neun Jahren. Weitere Kinder sowie zwei Erwachsene wurden teils lebensgefährlich verletzt. Seitdem gibt es in den sozialen Medien Spekulationen über die Identität des Täters. Angeblich sei der ein muslimischer Asylbewerber. Das nehmen Rechtsextremisten zum Anlass, gegen Migration zu protestieren.

Was ist tatsächlich über den Messerangreifer von Southport bekannt?

Die Polizei hat in einer Mitteilung erklärt, dass der 17 Jahre alte Tatverdächtige in Großbritannien geboren wurde. Die Meldungen, er sei Asylbewerber sind demnach falsch. Seine Eltern stammen aus Ruanda. Das Motiv des Täters sei bislang noch unklar. Das glauben die Ultranationalisten allerdings nicht, sie werfen den Behörden vor, die Öffentlichkeit über die Identität des Messerangreifers zu belügen.

Wer heizt die antimuslimischen Proteste an?

Tommy Robinson

Der Rechtsextremist Tommy Robinson

Verschiedene rechte und nationalistische Gruppen rufen zu Protesten auf. Für den in Sunderland in der Nähe einer Moschee hatte beispielsweise Stephen Yaxley-Lennon mobilisiert, besser bekannt unter dem Namen Tommy Robinson, der Gründer der rechtsradikalen English Defence League (EDL). Robinson soll sich im Ausland aufhalten. Im Netz hat er eine große Reichweite in der rechtsextremen Community. Auf der Plattform X folgen ihm mehr als 900.000 Accounts. Schätzungen zufolge kann der 41-Jährige durch Hetze und Falschinfos Tausende dazu bewegen, auf die Straße zu gehen. Robinson gilt als Großbritanniens bekanntester Rechtsextremist.

Nigel Farage steht am Rednerpult

Nigel Farage

Auch der rechtspopulistische Abgeordnete Nigel Farage von der Partei Reform UK spekulierte in einem bei X hochgeladenen Video, dass die Behörden die "Wahrheit vor uns zurückhalten".

Wer sind die Randalierer in Großbritannien?

Als die Krawalle letzte Woche in Southport begannen, war zunächst von extra angereisten Rechtsextremen die Rede. Patrick Hurley, der Labour-Abgeordnete für Southport, sagte der BBC: "Das waren keine Leute aus Southport, sondern trainierte Schläger." Zuletzt in Sunderland waren "aber auch viele maskierte Jugendliche und sogar Familien mit kleinen Kindern" dabei, sagt ARD-Korrespondentin Franziska Hoppen.

Ein junges Mädchen hält ein rechtes Protestplakat in die Luft

Auch Familien sind unter den Protestierenden in England.

Laut der Anti-Rassismus-Organisation "hope not hate" werden die Proteste mittlerweile "breiter und diffuser". Einerseits wird gegen Migration und Muslime protestiert, andererseits drücken die Protestierenden eine generelle Unzufriedenheit aus.

Wie reagiert die britische Regierung?

Die Politik will gezielter gegen Leute vorgehen, welche die Proteste im Netz anheizen. Innenministerin Yvette Cooper sagte dem Nachrichtensender Sky News, die Organisation der Krawalle, das Befeuern der Spannungen und die Verbreitung von Falschinformationen seien mithilfe sozialer Medien stark befördert worden.

Premierminister Keir Starmer sprach von "marodierenden Mobs". Die Einsatzkräfte hätten seine volle Unterstützung, um gegen Extremisten vorzugehen, die Polizisten attackieren und versuchten, Hass zu schüren. Die Lage gilt als erste große Prüfung für den neuen Premierminister, der seit einem Monat im Amt ist.

Gibt es schon juristische Konsequenzen?

Ausschreitungen im englischen Southport

Ausschreitungen im englischen Southport

Ein Gericht hat in einer ersten Entscheidung Haftstrafen gegen Randalierer verhängt. Ein 58 Jahre alter Mann muss für drei Jahre ins Gefängnis, wie der Liverpool Crown Court entschied. Er hatte bei Ausschreitungen in der nordwestenglischen Stadt Southport mitgemacht und einem Polizisten ins Gesicht geschlagen.

Ein 29-Jähriger wurde zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt, weil er bei Krawallen in Liverpool ein Polizeifahrzeug angezündet hatte.

Außerdem muss ein 41-Jähriger für 20 Monate hinter Gitter. Auch er hatte sich an der Randale in Liverpool beteiligt und Polizisten beleidigt. Alle drei Männer hatten die Vorwürfe zugegeben, deshalb konnte schon nach wenigen Tagen das Strafmaß verkündet werden. In den kommenden Tagen ist mit weiteren Urteilen zu rechnen.

Unsere Quellen:

  • Nachrichtenagentur dpa
  • WDR-Korrespondentin Franziska Hoppen in London
  • Britische Polizei