Eigentlich sollte bis 2031 ein sicheres Endlager für den strahlenden Abfall gefunden sein, das ist sogar in einem Gesetz verankert. Ein neues Gutachten im Auftrag des Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) kam jetzt aber zu dem Schluss, dass die Endlager-Frage frühestens 2074 geklärt sein werde.
Ein Grund: Die zuständige Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) habe Verfahrensschritte wie Prüf- und Genehmigungsverfahren, die nicht in ihrem eigenen Aufgabenbereich liegen, bei der zeitlichen Berechnung ausgeklammert.
Das ist ein Problem - denn die verbrauchten Brennstäbe aus über 60 Jahren Atomkraft sind hochgradig radioaktiv, die Strahlung für den Menschen noch über Jahrhunderte gefährlich. 27.000 Kubikmeter hochradioaktiver Müll lagern derzeit in 16 Zwischenlagern im ganzen Bundesgebiet. Verpackt in 1.750 sogenannte Castor-Behälter.
481 Castor-Behälter in NRW
Castor-Behälter sind eigens entwickelte, schwere Stahltonnen mit 40 Zentimeter dicken Wänden und doppelten Deckeln, die laut Herstellern verbrauchte Brennstäbe strahlungssicher aufbewahren. Sie wurden diversen Tests unterzogen: Fall aus unterschiedlicher Höhe, Feuer, simulierte Flugzeugabstürze. Gelagert werden diese Behälter bislang in Zwischenlagern, zumeist oberirdische Hallen.
In NRW gibt es zwei solcher Zwischenlager: 152 Castor-Behälter lagern in Jülich, 329 im Zwischenlager Ahaus. Für Jülich ist die Aufbewahrungsgenehmigung allerdings schon 2013 abgelaufen. Diskutiert wird derzeit, ob die Behälter aus Jülich auch noch nach Ahaus verlegt werden sollen.
Das Lager für den brisanten Müll in Ahaus sieht von außen wie eine normale Fabrikhalle aus. Das Gelände ist mit einem Stacheldrahtzaun umgeben. Laut Lagerbetreiber wird die Strahlung am Anlagenzaun kontinuierlich überwacht. "Seit Einlagerungsbeginn" lägen die Messwerte "im Schwankungsbereich der natürlichen Strahlung und somit weit unter den Grenzwerten der Strahlenschutzverordnung", schreibt der Betreiber, die Gesellschaft für Zwischenlagerung BGZ.
Jeden Monat gibt das NRW-Energieministerium einen Strahlenschutzbericht zu den beiden Lagerorten heraus. Im Mai 2024 lag demnach die Umgebungsstrahlung am Standort Ahaus "erheblich unter den jeweiligen Jahresgenehmigungswerten".
Genehmigungen für Castor-Behälter laufen ab
Das Problem: Bisher gilt für die Castor-Behälter eine Aufbewahrungs-Genehmigung von maximal 40 Jahren ab Verschluss. Für Ahaus läuft diese Genehmigung 2036 ab. Eine Verlängerung müsste behördlich genehmigt werden. Die zuständige Behörde, das BASE, sieht da offenbar kein Problem: "Nach vielen Jahren Genehmigungspraxis" sehe man derzeit keine Anzeichen für Sicherheitsdefizite bei einer längeren Laufzeit, schreibt das BASE. Allerdings müssten kontinuierlich "weitere wissenschaftlich-technische Fragen" geklärt werden. Sprich: Erfahrung damit, wie lange ein Castorbehälter wirklich dicht hält, gibt es bislang nicht.
Sehr ausführliche Informationen findet man in der Broschüre "Zwischenlager für hochradioaktive Abfälle" vom Bundesamt für Sicherheit der nuklearen Entsorgung.
Die Anforderungen an einen sicheren Platz für die Endlagerung sind hoch: Mindestens 300 Meter tief unter strahlenabschirmenden Gesteinsschichten sollen die Container eine Million Jahre ruhen können. Der Platz muss erdbebensicher sein, Vulkangegenden und Bergbaugebiete wie das Ruhrgebiet fallen aus. Dennoch kommen laut BGE insgesamt 54 Prozent der Fläche Deutschlands in Frage.
Klar aber ist: Nirgendwo wollen die Menschen ein solches Endlager in ihrer Nähe wissen. Deshalb gab es nicht nur bei der Entstehung des Zwischenlagers Ahaus massive Proteste. Bis heute wehren sich die Anwohner immer wieder dagegen. Erst im Januar protestierten Landwirte, Umweltverbände und Vertreter von Kirchen in Ahaus gegen die geplante Verlegung der Castor-Behälter aus Jülich nach Ahaus.
Das nördliche NRW käme eventuell in Frage
Laut der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) geht man bei der Suche nach einem geeigneten Ort von einer "weißen Landkarte" aus - also ganz ohne irgendwelche Vorfestlegungen. Schaut man auf die bisherige Karte zur Endlagersuche, finden sich in NRW offenbar im Bereich Münsterland bis zur holländischen Grenze im Westen und auch in Ostwestfalen geeignete Gesteinsschichten.
Tschernobyl und Fukushima: Warnende Atomkatastrophen
Über die Sicherheit von Atomkraft als Energiequelle wurde jahrzehntelang gestritten. Einerseits gelten Atomkraftwerke - auch angesichts des Klimawandels - als besonders "saubere" Art der Energieerzeugung, da sie keinen CO2-Ausstoß haben. Mit Atomkraft, so ein Argument, ließen sich die Klimaziele möglicherweise erreichen.
Vor allem die großen Unfälle an Atomkraftwerken aber führten der Welt vor Augen, welche Gefahr diese Art der Energiegewinnung auch mitbringt.
Als am 26.April 1986 der Atomreaktor im damals sowjetischen Tschernobyl explodierte, starben nicht nur unmittelbar und in den folgenden Jahren mehrere tausend Menschen. Die radioaktive Wolke zog bis nach Westeuropa, auch in Deutschland werden bis heute in einigen Landstrichen erhöhte radioaktive Werte im Boden, in Pilzen und in Wildtierfleisch gemessen.
Fukushima führte zum vorzeitigen Atomausstieg Deutschlands
2011 kam es nach einem schweren Erdbeben im japanischen Atomkraftwerk Fukushima zu einer Kernschmelze. Hunderttausende Einwohner mussten evakuiert werden, hunderte starben, Teile der Gegend sind bis heute nicht bewohnbar. In Deutschland führte die Nuklearkatastrophe von Fukushima zu dem politischen Beschluss, früher, als bis dato geplant, aus der Atomenergie auszusteigen.
Die Vorstellung, dass der atomare Müll nach den neuen Erkenntnissen nun noch mindestens 50 Jahre in Stahlfässern in den Zwischenlagern bleiben soll, beunruhigt nicht nur Experten. Auch die Anwohner vor Ort organisieren seit Jahren immer wieder Proteste - zumal es keine Erfahrung zur Lebensdauer der Castor-Behälter gibt.
Eine weitere Verlagerung der Behälter an andere Orte aber bedeute "viel mehr Risiken", sagte Arnjo Sittig am Donnerstag im WDR-Radio. Er ist Mitglied im Nationalen Begleitgremium (NBG), einer Gruppe von Bürgern, die von Bundestag und Bundesrat berufen wurden, um an den Entscheidungsprozessen beteiligt zu sein. Von dem Gutachten allerdings sei das Gremium überrascht worden, sagt Sittig.
Zu den Zwischenlagern gebe es im Moment keine Alternative, so der 22-Jährige, der im Gremium die "junge Generation" vertreten soll. Umso wichtiger sei es, die Öffentlichkeit mit einzubinden: Zu fragen, wie man die Lager besser ausstatten könne, "damit Bevölkerung vor Ort das auch akzeptieren kann".
In wandernden "Infomobilen" beantworten Mitarbeiter des BGE in verschiedenen Städten Bürgerfragen zur Endlagersuche. Nächster Termin in NRW: Vom 17. bis 18. August steht das Infomobil in Köln am Rheinauhafen.
Quellen:
- Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE)
- Bundesamt für Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE)
- Gesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ)
- Radiointerview Arnjo Sittig
- GNS Gesellschaft für Nuklear-Service