Aktivisten der Klimaschutzgruppe "Letzte Generation" haben am Freitag mit Klebeaktionen den Autoverkehr in mehreren deutschen Städten behindert. In Berlin nahmen die Aktivistinnen und Aktivisten mehrere Hauptstraßen ins Visier. Auch in München, Dresden oder Bremen sorgten ähnliche Aktionen für Verkehrschaos. In NRW, etwa in Aachen und Bottrop, klebten ebenfalls Hände auf Straßen.
Am Donnerstag hatten die Aktivisten die Flughäfen in Düsseldorf und Hamburg wegen Blockaden auf dem Rollfeld lahmgelegt. Tags zuvor wurde in Mecklenburg-Vorpommern eine Straße blockiert und im Zuge dessen ein junger Mann von einem Lkw-Fahrer angefahren. Können solche Aktionen noch unter zivilem Ungehorsam gefasst werden? Und was bedeutet ziviler Ungehorsam eigentlich? Fragen und Antworten.
Wo kommt der Begriff "ziviler Ungehorsam" her?
Die Wurzeln des zivilen Ungehorsams gehen bis in die Antike zurück. Es war aber vor allem der amerikanische Philosoph Henry David Thoreau (1817-1862), der den Ausdruck "zivilen Ungehorsam" (Englisch: civil disobedience) geprägt und ihn in einem Essay verwendet hatte. Darin hatte er dargelegt, dass er aus Protest gegen den Krieg gegen Mexiko und die Sklavenhaltung keine Steuern mehr bezahlte. Denn: Wenn die Regierung Krieg führt und die Bürger Steuern an den Staat zahlen, ist das aus Sicht von Thoreau ein Fall, in dem Bürger berechtigt sind, dem Staat aus Gewissensgründen den Gehorsam zu verweigern.
Auch der indische Rechtsanwalt Mohandas K. (Mahatma) Gandhi (1869–1948) und der amerikanische Bürgerrechtler Martin Luther King, Jr. (1929–1968) hatten immer wieder zivilen Ungehorsam in Reden und Schriften eingefordert – und auch selbst praktiziert. Gandhi machte mobil gegen die Apartheid in Südafrika und die britische Kolonialmacht in Indien. King galt als das Sprachrohr der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung in den USA. Allerdings liefen die Aktionen nicht immer gewaltfrei ab. Dabei ist die Gewaltfreiheit beim zivilen Ungehorsam wesentlich, denn nur ohne Gewalt finde Widerstand seine Berechtigung.
Ziviler Ungehorsam ist auch in Deutschland nicht neu. Bereits 2010 wurden Bahnstrecken im Zuge der Castor-Transporte blockiert und auch Klima-Protestaktionen wie die Besetzung des Hambacher Forstes können darunter gefasst werden.
Wie legitimiert sich ziviler Ungehorsam?
Über den Weg des zivilen Ungehorsams wollen sich Bürgerinnen und Bürger am politischen und gesellschaftlichen Prozess der Willensbildung und Entscheidung beteiligen. In einer parlamentarischen Demokratie haben Menschen auch zwischen den Wahlen das Recht, ihre Ansichten und Positionen öffentlich kundzutun. Mit einem bewussten Verstoß gegen Rechtsnormen und bestimmte Gesetze - in gewaltfreier Form - wollen Bürgerinnen und Bürger die Aufmerksamkeit auf ein von ihnen wahrgenommenes Unrecht lenken. Das sehen sie als ihr Recht auf politische Teilhabe und Gerechtigkeit an.
Ziviler Ungehorsam kann beispielsweise so aussehen:
- Blockaden / Sitzblockaden
- Steuerverweigerung
- Protest-Camps
- Kirchenasyl
Wie ist ziviler Ungehorsam rechtlich zu bewerten?
Die Aktionen der "Letzten Generation" - etwa die Straßenblockaden - sind nach Angaben des Düsseldorfer Strafrechtlers Christian Demuth als Straftaten zu werten, da sie gegen Vorschriften des Strafgesetzbuches verstoßen. "In der Regel handelt es sich bei den Blockaden um Nötigung, Sachbeschädigung, aber mitunter auch Hausfriedensbruch", sagte Demuth dem WDR. Solche Fälle beschäftigten auch immer wieder die Gerichte.
Ziviler Ungehorsam an sich ist juristisch weder als Straftat noch als Ordnungswidrigkeit einzustufen. Deshalb wird nicht der Widerstand an sich sanktioniert, sondern sanktioniert werden die konkreten Rechtsverletzungen, die beispielsweise Klimaaktivisten begehen.
Fallen die Aktionen der "Letzten Generation" noch unter zivilen Ungehorsam, ja oder nein?
"Jein", sagt der Gießener Politologe Prof. Claus Leggewie dem WDR. Einerseits sei der vehemente Protest absolut nachvollziehbar. Andererseits hätten die Widerstands-Aktionen inzwischen Ausmaße angenommen, die "unverhältnismäßig" seien. Die Leute, die die Aktivisten mit ihren Aktionen auf Flughafen-Rollfeldern aufrütteln wollten, reagierten zunehmend sauer. Man könne eine Gesellschaft, die im Gegensatz zu den 1980er Jahren mit den Protestzielen von Klimaaktivisten weitestgehend konform seien, nicht frontal attackieren. Damit werde der zivile Ungehorsam konterkariert.
Andere Teile der Klimaschutzbewegung hätten ihre Proteste besser und wirkungsvoller zum Ausdruck gebracht, so Leggewie. Er verwies auf die Aktion von 100 Aktivisten, die sich bei einem Business-Event am Genfer Flughafen an die Zugänge von Privatjets gekettet und den Haupteingang der Jet-Show versperrt hatten. Die Botschaft sei gewesen: Während viele sich Essen und Miete nicht mehr leisten könnten, zerstörten Superreiche mit ihren Privatjets unseren Planeten. "Das ist eine Aktion gewesen, mit der sich die Mehrheit der Bevölkerung hat identifizieren können und die somit auf Zuspruch gestoßen ist", so Leggewie.