Mit einem Messer läuft ein Schüler am Donnerstag an einem Gymnasium in Wuppertal Amok. Fünf Mitschüler werden verletzt, zwei davon schwer. In Moers greifen vor etwa zwei Wochen drei Jugendliche zwei Obdachlose an. Auch in Horn-Bad Meinberg im vergangenen Herbst sind es drei Jugendliche, die einen Obdachlosen angreifen - und ihn töten. Woher kommt diese Gewalt?
Therapeut: Die Fälle haben Ähnlichkeiten
"Von der Motivation her ist das sehr ähnlich", sagt Therapeut Christian Lüdke dem WDR zu diesen brutalen Taten. Oft gehe das auf die Kindheit zurück. "Ein ganz großer Risikofaktor ist das Elternhaus. Oft haben solche Jugendliche Eltern, die selbst Gewalt tolerieren oder selber sehr aggressiv sind."
Es gebe in diesen Familien oft keine starke emotionale Bindung, es gebe keine Problemlösungsstrategien. "Diese Jugendlichen haben oft ein eher mangelndes Selbstwertgefühl. Sie fühlen sich ohnmächtig."
Und das passiere "im schlimmsten Fall nach dem Motto: Ich bin Herr über Leben und Tod", so der Therapeut aus Lünen im Kreis Unna.
Man könne mit einer einzigen Frage herausfinden, ob ein Kind gewalttätig wird, meint Lüdke. Und zwar diese: "Fühlst du dich geliebt?"
Wenn ein Mensch die Erfahrung mache, bedingungslos geliebt zu werden, also eine starke emotionale Bindung wenigstens zu einem Menschen in der Ursprungsfamilie hat, dann entwickele man Empathie. "Leider haben diese Täter nie die Erfahrung gemacht, bedingungslos geliebt zu werden", so der Therapeut. "Gewalt ist für sie eine sehr einfache Problem- und Konfliktlösungsstrategie."
Gesteigerte Hemmungslosigkeit in der Gruppe
Bei den Angriffen von Jugendlichen auf Obdachlose komme noch manches hinzu, sagt Lüdke. In der Gruppe erlebe die Hemmungslosigkeit eine Steigerung. Und durch Videos der Taten, die man mit anderen teile, erlebe man Anerkennung.
Tatsächlich haben sowohl die Angreifer in Horn-Bad Meinberg als auch in Moers ihre Taten gefilmt. Im Fall Moers sollen die Jugendlichen ihr Video sogar im Internet veröffentlicht haben.
Gewaltforscher Zick: Entwürdigendes Bild vom Opfer
Auch Andreas Zick, Leiter des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Uni Bielefeld, betont die Dynamik von Gruppen. Zusammen mit anderen könne die Aggressionsschwelle sinken, sagte er im Herbst dem WDR, kurz nach der Tat in Horn-Bad Meinberg.
"Ganz wesentlich bei diesem Fall ist, dass die jungen Menschen mit Sicherheit ein sehr dehumanisierendes, sehr entwürdigendes Bild von wohnungslosen Menschen haben", sagte Zick damals. "Sie haben eine schutzlose Person getötet."
Im Wuppertal war der Täter ebenfalls überlegen. Der Amoktäter ging mit einem Messer auf seine unbewaffneten Mitschüler los. Eine weitere Verbindung zwischen den drei Gewalttaten?
Experten überzeugt: Prävention ist möglich
Dass Jugendliche derartige Aggressionen entwickeln, sie nicht im Griff haben, sodass es zu brutalen Gewalttaten komme, lasse sich verhindern, meint Menno Baumann, Professor für Intensivpädagogik an der Fliedner Fachhochschule Düsseldorf. Es brauche vor allem Prävention durch eine gute Kinder- und Jugendarbeit, sagte er nach der Tat in Horn-Bad Meinberg dem WDR.
Und auch Schule könne vieles verhindern. Kinder und Jugendliche müssten dort gut eingebunden sein. Das sei ein weiterer wichtiger Schutzfaktor, so Baumann.
Es komme auch darauf an, dass das Umfeld auffälliger Kinder die Indizien überhaupt wahrnimmt, sagt Therapeut Lüdke. Oft seien solche späteren Täter als Kind irgendwann sehr ruhig, "sie verstummen, haben wenig soziale Kontakte" oder seien "relativ früh schon sehr aggressiv". Wer das erkenne und richtig handele, könne Schlimmes verhindern.
Über dieses Thema berichten wir am 23.02.2024 auch in der "Aktuellen Stunde" im WDR Fernsehen.
Unsere Quellen:
- WDR-Interview mit Therapeut Christian Lüdke
- WDR-Interview mit Gewaltforscher Professor Andreas Zick
- WDR-Interview mit Professor Menno Baumann, Professor für Intensivpädagogik an der Fliedner Fachhochschule Düsseldorf