Frauen in Afghanistan singen aus Protest gegen Unterdrückung I sv 00:47 Min. Verfügbar bis 30.08.2026

Frauen in Afghanistan protestieren - zugleich schiebt Deutschland wieder ab

Stand: 30.08.2024, 13:23 Uhr

Die Bundesregierung ließ am Freitag erstmals wieder einen Abschiebeflug nach Afghanistan starten, dorthin, wo Repression und Menschenrechtsverletzungen keine Seltenheit sind. NRW-Landeschef Wüst begrüßt die Abschiebung der 28 Männer. Vor allem Frauen werden von den Taliban unterdrückt. In diesen Tagen protestieren viele in Online-Videos - mit Gesang.

Von Bastian Hahne und Jörn Seidel

In den sozialen Medien kursieren in diesen Tagen Videos von singenden Frauen. Sie protestieren damit gegen ihre Unterdrückung durch die radikalislamische Taliban in Afghanistan. Der Anlass: das neue "Tugend"-Gesetz. Es verbietet Frauen, ihre Stimme in der Öffentlichkeit hören zu lassen, sowohl singend als auch sprechend.

Taliban: Stimme der Frau ist intim

Die Begründung der Taliban: Die Stimme der Frau sei intim. Das wollen sich die protestierenden Frauen nicht gefallen lassen.

In einem der Videos ist eine vollverschleierte Frau zu sehen, um von den Taliban nicht erkannt zu werden.

Die 23-jährige Efat in Afghanistan singt in einem Protest-Video. | Bildquelle: WDR/AP

In einem anderen Video zeigt eine Frau zumindest Teile ihres Gesichts. Sie trägt ein dunkles Oberteil, einen hellblauen Schal und eine Sonnenbrille. Sie heiße Efat, sei 23 Jahre alt und Uni-Absolventin aus der Provinz Badachschan, verriet sie der Nachrichtenagentur AP. Mutig äußert sie sich gegen die Taliban:

"Kein Befehl, kein System oder Mann kann den Mund einer afghanischen Frau verschließen." Protestierende Efat (23) in Afghanistan

Zu den Videos von den betroffenen Frauen in Afghanistan gesellen sich auch Videos von singenden Frauen aus dem Ausland. Im Exil können sich viele sicher fühlen und ihre Solidarität auch ohne Schleier ausdrücken.

Erster Abschiebeflug seit drei Jahren

Gleichzeitig hat die Bundesregierung am Freitag erstmals seit der Machtergreifung der Taliban vor drei Jahren wieder einen Abschiebeflug nach Afghanistan starten lassen. "Es handelte sich hierbei um afghanische Staatsangehörige, die sämtlich verurteilte Straftäter waren, die kein Bleiberecht in Deutschland hatten und gegen die Ausweisungsverfügungen vorlagen", sagte dazu Regierungssprecher Steffen Hebestreit.

Am Freitagmorgen startet das Flugzeug mit den Afghanen. | Bildquelle: Jan Woitas/dpa

Ein Abgeschobener aus NRW

Alle 28 Betroffenen sind Männer. Einer von ihnen kommt aus NRW, teilte das Landesministerium für Flucht und Integration auf WDR-Anfrage mit. Er sei wegen schwerer Brandstiftung ausreisepflichtig gewesen und habe in einer Justizvollzugsanstalt eingesessen. Das Flugzeug mit den Afghanen startete am Morgen am Flughafen Leipzig/Halle.

Kein Zusammenhang mit Attentat in Solingen

Der Abschiebeflug startete zwar nur wenige Tage nach dem mutmaßlich islamistisch motivierten tödlichen Messer-Attentat von Solingen, hat aber einen deutlich längeren Vorlauf, hieß es aus Behördenkreisen.

Insbesondere die Grünen und deren Außenministerin Annalena Baerbock hatten sich bislang skeptisch gezeigt bei Abschiebungen nach Afghanistan und davor gewarnt, die islamistische Taliban-Regierung indirekt anzuerkennen. Ihr Parteikollege, Vize-Kanzler Robert Habeck, nannte die Abschiebungen am Freitag "konsequent".

NRW-Landeschef Wüst begrüßt die Abschiebung von Afghanen

Hendrik Wüst am Freitag im Landtag | Bildquelle: Rolf Vennenbernd/dpa

Auch NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) begrüßte in einer Sondersitzung des Landtags am Freitag den ersten Abschiebeflug nach Afghanistan seit drei Jahren. Es müsse aber offen über noch mehr Rückführungen auch nach Syrien sowie Afghanistan gesprochen werden - gerade auch mit dem Blick auf den Anschlag in Solingen. Denn, so Wüst:

"Dieser Akt des Terrors ist ein Wendepunkt." Hendrik Wüst, NRW-Ministerpräsident

Der mutmaßliche Täter von Solingen stammt aus Syrien und hätte längst nach Bulgarien abgeschoben sein sollen - allerdings nicht wegen Straftaten, sondern weil es das Asylrecht so vorsieht. In Bulgarien hatte er die EU zuerst betreten.

Afghanen drohen Menschenrechtsverletzungen

Was die abgeschobenen Afghanen in ihrer Heimat erwartet, ist unklar. Kritiker halten die Abschiebung für nicht vereinbar mit dem Grundgesetz und dem Völkerrecht, denn in Afghanistan drohen Menschenrechtsverletzungen.

Menschenrechtsverletzungen und Unterdrückung erleben in Afghanistan vor allem viele Frauen. Seit die Taliban wieder an der Macht sind, sind ihre Rechte massiv beschnitten.

Frauen in Afghanistan massiv unterdrückt

Sie dürfen zum Beispiel keine weiterführenden Schulen und Universitäten mehr besuchen. Auch können sie sich laut Amnesty International in der Öffentlichkeit nicht mehr ohne Begleitung eines ihnen nahestehenden Mannes bewegen.

Verschleierung ist in der Öffentlichkeit ohnehin Pflicht. Zugang zu Parks, Sporteinrichtungen und Cafés sei Frauen ebenfalls verboten, so die Menschenrechtsorganisation.

Vergangene Woche nun hatten die Taliban die erste Reihe von Gesetzen erlassen, die das bestehende strikte Regelwerk ausweiten und nach ihren Angaben lasterhaftes Verhalten verhindern und Tugendhaftigkeit fördern sollen. Dazu gehört auch das Verbot der Stimme in der Öffentlichkeit.

Das Protest-Video der 23-jährigen Efat gegen dieses Verbot ist nur 39 Sekunden lang. Aufgenommen wurde sie von ihrer älteren Schwester, die es am Dienstag in den sozialen Medien veröffentlichte.

Protestierende Efat: Angst, dass sie das letzte Mal singt

Sie habe Angst gehabt, als sie für das Video sang, erzählt Efat. Angst davor, "dass wenn es jemand hört, es das letzte Mal wäre, dass ich sang."

Das Lied im Video habe sie wegen seiner Botschaft des Widerstands, Protests und der Stärke ausgesucht: "Ich bin nicht die schwache Trauerweide, die in jedem Wind zittert / Ich bin aus Afghanistan / Ich erinnere mich an den Tag, als ich den Käfig öffnete / Ich hob meinen Kopf aus dem Käfig und sang volltrunken." Am Ende des Videos sagt sie: "Die Stimme einer Frau ist nicht intim."

Unsere Quellen:

  • Nachrichtenagenturen dpa und AP
  • Protest-Videos aus sozialen Medien
  • tagesschau.de zum Abschiebeflug
  • Amnesty International: Online-Informationen zu Afghanistan

Über dieses Thema berichten wir im WDR am 30.08.2024 auch im Fernsehen: Aktuelle Stunde, 18.45 Uhr.