Das Landhaus Adlon, in dem sich im vergangenen November einflussreiche Rechtsextreme zu einem konspirativen Treffen versammelten, liegt Luftlinie nur sieben Kilometer von der Wannsee-Villa entfernt. War der Ort, an dem laut Recherchen von Correctiv ein "Masterplan" zur Vertreibung von Migranten und Menschen mit Migrationsgeschichte vorgestellt wurde, zufällig gewählt? Eher unwahrscheinlich angesichts einer Gruppierung, die sich nicht selten bei Symbolik und Rhetorik des Dritten Reichs bedient.
Fest steht: Es gibt nicht nur geografisch, sondern auch inhaltlich eine Nähe zur Wannseekonferenz, bei der die Nazis 1942 die "Endlösung der Judenfrage" beschlossen. Damals waren es Juden, die man mit allen Mitteln aus Deutschland vertreiben wollte. Heute sind es Asylbewerber, Ausländer mit Bleiberecht sowie "nicht assimilierte Staatsbürger", sprich: Deutsche mit Migrationshintergrund, die das Land laut Martin Sellner, dem zentralen Redner des Treffens, verlassen sollten. Sellner war lange Jahre Sprecher der "Identitären Bewegung Österreich" und gilt als eine der einflussreichsten Stimmen unter den europäischen Rechtsextremisten.
Man müsse einen "hohen Anpassungsdruck" auf diese Menschen ausüben über "maßgeschneiderte Gesetze", so Sellner laut Correctiv-Angaben weiter. Auch die Idee eines "Musterstaats" in Nordafrika wird bei dem Treffen diskutiert, in den man Millionen Menschen deportieren könne. Ideen und Vorschläge also, die klar machen, wie sich Rechtsextreme unser Land vorstellen: Als "völkische Gemeinschaft", aus der Menschen verdrängt werden, die nach Ansicht der Rechtsextremen die falsche Herkunft, Hautfarbe oder Einstellung haben. Dass diese Ideen gegen das Grundgesetz, das Staatsbürgerrecht und den Gleichheitsgrundsatz gerichtet sind, scheint keinen der Teilnehmer zu interessieren oder zu stören.
Sellner selbst nahm am Donnerstagabend in einem Video Stellung. Er bestätigte den Vortrag in Potsdam, leugnete aber, dass er mit seinen Aussagen rechtswidrigen Deportationen das Wort geredet habe. Stattdessen griff er Correctiv an und bezeichnete die Recherche als "miese Methoden des Schweinejournalismus".
AfD-Abgeordneter: War als "Privatperson" auf dem Treffen
Besonders brisant wird dieses Treffen aufgrund der Tatsache, dass nicht nur bekannte Rechtsextreme und Neonazis daran teilnahmen, sondern auch mindestens vier teils hochrangige AfD-Politiker. Darunter der sachsen-anhaltinische AfD-Fraktionsvorsitzende Ulrich Siegmund, die AfD-Bundestagsabgeordnete Gerrit Huy sowie der frühere Bundestagsabgeordnete Roland Hartwig, der heute laut Correctiv als "rechte Hand" der AfD-Bundestagsfraktionschefin Alice Weidel gilt. Menschen also, die in Parlamenten sitzen. Menschen, die politische Entscheidungen treffen und beeinflussen. Und die nun mit fadenscheinigen Argumenten versuchen, sich aus der Affäre zu ziehen. So erklärte Siegmund, er sei "als Privatperson" und nicht in seiner Funktion als Abgeordneter bei dem Treffen gewesen.
Vermeintlicher "Geheimplan" lange bekannt
Doch während sich der Rest der Bundestagsparteien über das Treffen empört und Forderungen nach einem Verbot der Partei wieder lauter werden, sieht man bei der AfD keinen Anlass für weitere Erklärungen. Alice Weidel äußerte sich mit einem dürren Statement, in dem darauf verwiesen wird, dass Einwanderungspolitik der AfD "vollständig im Einklang mit dem Grundgesetz" stehe. Zu den konkreten Vorschlägen, die in Potsdam gemacht wurden: kein Wort von ihr. Ein anderer AfD-Sprecher sprach von einer "Einzelmeinung eines Vortragenden auf einem Treffen, das kein AfD-Termin war".
Weiter geht da Bernhard Zimniok, AfD-Abgeordneter im EU-Parlament. In einem Video, das er am Donnerstag auf "X" veröffentlichte, bezeichnete er die Aufregung nach dem Bekanntwerden des Geheimtreffens als "befremdlich". Der vermeintliche "Geheimplan", von dem Correctiv spreche, sei in Wahrheit gar keiner. Um diese Positionen zu erfahren, "hätte ein kurzer Blick in unser Parteiprogramm gereicht". Ähnlich äußerte sich der brandenburgische AfD-Bundestagsabgeordnete René Springer: "Wir werden Ausländer in ihre Heimat zurückführen. Millionenfach. Das ist kein #Geheimplan. Das ist ein Versprechen." schrieb er auf "X". Im Grundsatzprogramm zur Bundestagswahl 2021 hatte die AfD eine "Abschiebeoffensive" sowie eine "nationale und supranationale Remigrationsagenda" gefordert.
Hohn und Witzeleien von Höcke
Der Dortmunder AfD-Bundestagsabgeordnete Matthias Helferich, der sich selbst als "Rechtspopulist" betitelt, witzelte auf Twitter mit Bezug auf das konspirative Treffen: "Empörend! Warum war ich nicht eingeladen?" Die NRW-AfD machte dazu bislang keinen Kommentar. Ähnlich wie Helferich äußerte sich der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke. "Ohne mich?! Das wird schon nichts Ernstzunehmendes gewesen sein..." schrieb er auf "Telegram" und garnierte den Post mit dem skeptisch-ironischen Monokel-Emoji.
AfD-Abgrenzung zu Rechtsextremen: Oft nur auf dem Papier
Interessant ist auch, wie die AfD in diesem Zusammenhang versucht, den Begriff "Remigration" umzudeuten. Ursprünglich kommt dieser aus der Exilforschung und ist auf die persönliche Biografie bezogen, etwa wenn man in das Land zurückkehrt, das man selbst - und nicht die Vorfahren - einmal verlassen hat. Seit 2015 wird der Begriff verstärkt als Schlagwort von der Identitären Bewegung benutzt, wenn es um die Abschiebung und Vertreibung von Minderheiten geht. Der Begriff gilt laut Verfassungsschutz als "ausländer- und islamfeindlich". Doch nicht nur Rechtsextreme von der Identitären Bewegung, auch die AfD nutzt den Begriff immer öfter. Unter anderem am Donnerstag. Nur wenige Minuten nach den ersten Presseberichten über die Correctiv-Recherchen zum Geheimtreffen in Potsdam schrieb die Bundespartei auf "X": "Hürden zum Entzug der Staatsbürgerschaft senken. Remigration ist unumgänglich!"
Die inhaltliche und persönliche Nähe der AfD zur Identitären Bewegung (IB), die auch jetzt wieder deutlich wird, könnte für die Partei zum Problem werden. Denn eigentlich steht die IB auf der "Unvereinbarkeitsliste" der AfD. Sprich: Wer einer Organisation, die auf dieser Liste steht, angehört, kann nicht auch noch AfD-Mitglied sein. Die Partei will sich so zumindest äußerlich von verbotenen und verfassungsfeindlichen Gruppierungen abgrenzen, um dem Verfassungsschutz kein zusätzliches Material zu liefern, welches weitere Argumente für ein Parteiverbot liefern könnte.
Rechtsextremismus-Forscher sieht in Treffen Argumente für AfD-Verbot
Denn genau das wird nun wieder verstärkt diskutiert. Nach Ansicht des Rechtsextremismus-Forschers Gideon Botsch liefert die Correctiv-Recherche Argumente für ein Verbotsverfahren. Die Zusammenkunft berühre "Grundprinzipien unserer Verfassung", sagte der Leiter der Emil Julius Gumbel Forschungsstelle für Antisemitismus und Rechtsextremismus am Moses Mendelssohn Zentrum in Potsdam dem RBB. Es gehe nicht mehr darum, wie rechtsextrem die AfD sei, sondern wie verfassungswidrig sie sei und welchen Spielraum sie für die Umsetzung ihrer Ziele habe, sagte er. Einen Unterschied zum damaligen Verfahren gegen die NPD sieht er darin, dass "wir jetzt eine Partei haben, die in der Lage ist, an diesen Zielen wirkungsvoll zu arbeiten". Das NPD-Verbotsverfahren war 2017 vor dem Bundesverfassungsgericht im Wesentlichen an der Bedeutungslosigkeit der Partei gescheitert.
"Ein Fall für Verfassungsschutz und Justiz"
Auch der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) sieht in dem Geheimtreffen einen Beleg für den Radikalismus der AfD. Wenn nur die Hälfte davon stimme, zeige sich, dass die AfD "weit mehr ist als nur eine rechtspopulistische Partei", sagte Thierse dem "Tagesspiegel" vom Donnerstag. Sie organisiere sich mit Demokratiefeinden und Umstürzlern. Thierse erneuerte seine Forderung nach der Prüfung eines Verbotsverfahrens. Wenn der Verfassungsschutz die AfD als eine in weiten Teilen rechtsextreme Partei definiere, müsse der Staat sie "genauestens beobachten und ein mögliches Verbot prüfen", sagte der SPD-Politiker.
Ähnlich äußerte sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD): "Wer sich gegen unsere freiheitliche demokratische Grundordnung richtet, ist ein Fall für unseren Verfassungsschutz und die Justiz", schrieb er auf "X". "Wir lassen nicht zu, dass jemand das 'Wir' in unserem Land danach unterscheidet, ob jemand eine Einwanderungsgeschichte hat oder nicht." Der Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Thomas Haldenwang ist der Meinung, dass die Gefahren durch Rechtsextremismus nicht ausreichend von der Mitte der Gesellschaft wahrgenommen würden. Dies zeige sich an einer Gleichgültigkeit "gegenüber dem Erstarken bestimmter Parteien", sagte er gegenüber der ARD. Wen er dabei meint, dürfte nicht schwer zu erraten sein.
Unsere Quellen:
- Correctiv
- dpa
- EPD
- Tagesspiegel
- X
- Telegram
- AfD-Parteiprogramm
- ARD, RBB
Über dieses Thema berichten wir im WDR am 11.02.2024 auch im Fernsehen: Aktuelle Stunde, 18.45 Uhr.