Bei der jüngsten Befragung des Meinungsforschungsinstitutes Infratest Dimap lag in Thüringen die CDU bei nur 21 Prozent. Die AfD führte zum Zeitpunkt der Erhebung mit 34 Prozent. Auch in Sachsen und Brandenburg werden im September neue Landtage gewählt - auch dort könnte die AfD stärkste Partei werden.
Auf Bundesebene kann die AfD zurzeit ebenfalls punkten, wie aus Zahlen des ARD-DeutschlandTrend vom Donnerstag hervorgeht. Der Umfrage zufolge konnte die AfD erneut zulegen und liegt mit 22 Prozent aktuell auf Platz zwei hinter der Union (31 Prozent). Weit abgeschlagen liegt die SPD mit 14 Prozent auf Platz drei, gefolgt von den Grünen mit 13 Prozent.
Was wären die Folgen, wenn die rechte Partei erstmals einen Ministerpräsidenten oder eine -präsidentin stellt? Wir haben hierzu Wolfgang Schroeder von der Uni Kassel befragt. Der Politikwissenschaftler beschäftigt sich seit Jahren mit dem Wandel der AfD von einer Euro-kritischen Nischenpartei zu einer rechtspopulistischen Bewegung mit großem Zulauf - und zu einer in großen Teilen rechtsextremen Partei. Von 2009 bis 2014 war Schroeder Staatssekretär im Arbeits- und Sozialministerium in Brandenburg. Schroeder ist außerdem Mitglied der SPD-Grundwertekommission. Zudem ist er in das Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) eingebunden.
WDR: Herr Schroeder, einer aktuellen Yougov-Umfrage zufolge rechnen 53 Prozent der Deutschen damit, dass die AfD in diesem Jahr erstmals in einem Bundesland den Ministerpräsidenten oder die -präsidentin stellen wird. Sie auch?
Wolfgang Schroeder: Nein, ich gehe nicht davon aus. Selbst wenn die AfD die stärkste Fraktion werden sollte, werden die demokratischen Parteien einen Weg finden, sie von der Macht fernzuhalten. Eine absolute Mehrheit für die AfD halte ich hingegen für illusorisch.
WDR: Aber mal angenommen, der Fall tritt trotzdem ein. Welche Konsequenzen hätte so ein Szenario? Auch im Bund?
Schroeder: Im Bund hätte das keine unmittelbaren Auswirkungen. Die AfD hätte selbst als Regierungspartei auf Länderebene nur begrenzte Chancen substantielle Verschiebungen zu befördern. Sie könnte aber als Vetomacht das Regieren der demokratischen Parteien noch weiter stark beeinträchtigen und außerdem eine weitere Verschiebung der öffentlichen Meinung nach rechts befördern. Sie wird im Parteiensystem der Bundesrepublik, das von Koalitionen regiert wird, nie ihre maximalen Positionen realisieren können, aber sie könnte die Bedingungen für eine progressive Politik massiv verschlechtern.
WDR: Welche Chancen bieten sich für die AfD in diesem Wahljahr?
Schroeder: 2024 könnte das Jahr der AfD werden. Sie werden vermutlich ihre besten Ergebnisse auf EU- und Länderebene erreichen. Mittelfristig könnten aber die anstehenden Kommunalwahlen in den Bundesländern für die AfD so bedeutender sein. Denn durch gute Ergebnisse auf dieser Ebene wird ihnen die Möglichkeit gegeben, eine Fülle an neuen Mandaten zu gewinnen. Die neuen Mandatsträger könnten dazu beitragen, dass die Partei ein tragfähiges Netzwerk von Personen etabliert, die sich dann auch für höhere Aufgaben empfehlen könnten.
Gegenwärtig ist es ja noch so, dass die Personaldecke der AfD außerordentlich dünn ist und die Partei nur wenige Persönlichkeiten vorweisen kann, die auch über das eigene Milieu hinaus eine positive Ausstrahlung haben. Zugleich kann sie diese Fülle an Mandaten aber auch vor neue Schwierigkeiten stellen, wenn sie angesichts der dünnen Personaldecke auf Personen zurückgreifen muss, deren eigensinniges Auftreten die Partei vor neue Probleme stellen kann. Sie braucht also für diese neue Mandatsfülle eine Professionalisierungsstrategie, was der Parteiführung zwar auch bewusst ist, ob sie darauf allerdings eine Antwort hat, bleibt offen.
WDR: Aber angenommen, es kommt doch zu einem Wahlsieg in einem Bundesland: Könnte eine AfD-Regierung bei wichtigen Themen einen grundlegenden Politikwechsel einläuten?
Schroeder: Unser politisches System ist so aufgebaut, dass Regierungswechsel nur in seltenen Fällen zu grundsätzlichen Politikwechseln führen. Und wenn man bedenkt, dass sich Regierungswechsel ja in Koalitionen abspielen, ist die Wahrscheinlichkeit grundlegender Veränderungen eher gering. Wenn man nach Österreich schaut, wo ja Rechtspopulisten schon viel länger an der Macht teilhaben, kann man sehen, dass auch dort grundlegende Veränderungen des liberaldemokratischen Systems ausgeblieben sind.
Was die AfD aber wohl auf jeden Fall versuchen würde, ist die Kündigung des Medienstaatsvertrags und die Umgestaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in ihrem Sinne, wie es bereits der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke angekündigt hat. Dies ist aber alles andere als einfach. Bei diesem Vorhaben wird sie möglicherweise schon an den Koalitionspartnern auf Länderebene scheitern. Dann an der Rundfunkkommission, die konsensual abstimmt und schließlich am Bundesverfassungsgericht. Trotzdem hat ihre Kritik am öffentlich rechtlichen Rundfunk schon in den vergangenen Jahren dazu beigetragen, dass sich die Kritik an ihm verstärkt hat und CDU und FDP einen Teil der AfD-Positionen übernommen haben.
Vor allem könnte es aber weitreichende Veränderungen in der Personalstruktur des Landes geben. Die Rechtsextremisten würden versuchen, als erstes die neutralen Positionen für sich einzunehmen: zum Beispiel mit einer neuen Besetzung der Gerichte. Auch nicht zu unterschätzen sind alle Entscheidungen auf Länderebene, für die eine Zwei-Drittel-Mehrheit benötigt wird, die werden nämlich dann von ihr verhindert oder in Tauschprozessen nur zu hohen Preisen erreichbar zu sein.
WDR: Könnte sich Sachsen beispielsweise weigern, weitere Asylbewerber aufzunehmen? Oder die Leistungen für die bereits untergebrachten Menschen kürzen?
Schroeder: Beim Thema Asyl ist der Bund der Gesetzgeber, die Länder und Kommunen setzen die Vorgaben nur um. Allerdings könnte eine AfD-Regierung sich theoretisch weigern, Flüchtlinge gemäß des Verteilungsschlüssels unterzubringen, wenn sie auf ihre Kapazitätsgrenzen verweist. Aber dann würde der Druck der anderen Bundesländer deutlich steigen. Die Leistungen für bereits anwesende Flüchtlinge kann eine Landesregierung grundsätzlich nicht eigenständig kürzen. Sie könnte aber die Modalitäten der Existenzsicherung für die Flüchtlinge so restriktiv gestalten, dass deren Freiheitsspielräume deutlich eingeschränkt wären.
WDR: Der sächsische Verfassungsschutz hat erst vor einem Monat die Landes-AfD als gesichert rechtsextremistisch eingestuft. Dürfte auch eine Regierungspartei beobachtet werden?
Schroeder: Ein Wahlsieg würde daran erstmal nichts ändern. Es gibt kein Gesetz, das besagt, dass man Parteien nur dann beobachten darf, wenn sie nicht an der Regierung sind. Was die AfD jedoch versuchen würde, ist eine personelle Neubesetzung des Verfassungsschutzes in ihrem Sinne anzustreben.
WDR: Manche Gegner der AfD hoffen darauf, dass sich die Partei, einmal in Regierungsverantwortung, schnell "entzaubern" würde. Ist das realistisch?
Schroeder: Die Entzauberungs-Strategie halte ich für gefährlich. Um zu diesem Schluss zu kommen, genügt ein Blick in die Geschichtsbücher. Notwendig ist eine starke Mobilisierung zugunsten der demokratischen Parteien, denn eine starke AfD und erst recht eine AfD in Regierungsbeteiligung sind ein Weg in die Vergangenheit. Was wir brauchen, um Probleme zu bewältigen, ist ein offener Weg in eine liberale Zukunft.
Die Fragen stellte Andreas Poulakos.