Ein Paar mit Kind in ärmlichen Verhältnissen, inszeniert als heilige Familie. Der Mann im Kaftan ist der Künstler selbst, der expressionistische Maler Otto Mueller (1874-1930). Als das Bild 1919 entstand, war er Akademieprofessor in Breslau. Die junge Frau ist seine Schülerin und Geliebte Irene Altmann. Sie hält ein Neugeborenes im Arm. Auffallend: die dezente Mattigkeit der Malerei. Die Gesichter sind unwirklich türkis, Irene Altmanns Kopf mit einem halben Heiligenschein umkränzt.
Otto Muellers "Polnische Familie"
Die Idylle trügt. Ein gemeinsames Kind gibt es nicht. Irene Altmann ist Jüdin, ihr Vater stellt sich gegen eine Verbindung seiner Tochter mit einem Nichtjuden. Otto Mueller imaginiert sich seine Traumfamilie, mit ihm als jüdischem Familienoberhaupt.
Schmerzhafte Sehnsucht
Doch damit nicht genug: Die Verhältnisse sind komplizierter. Otto Mueller ist seit 1905 mit Maschka verheiratet, die ihm oft für seine Frauenbildnisse Modell stand. Sie lebt von ihm getrennt in Berlin, bleibt aber seine Vertraute. Ihr schreibt er vom Glück und Unglück mit seiner jungen Geliebten: "Bin ich mit dem Wesen zusammen, das ich liebe, kommt die große Angst, dass Menschen Feind sind, es mir wegnehmen, und ich dann vollständig zu Grunde gerichtet bin."
Otto Mueller ist bekannt für seine Frauenakte in freier Natur. Seine privaten Empfindungen offenbart er nur selten so deutlich wie auf dem Gemälde "Polnische Familie". Es ist Ausdruck innerer Zerrissenheit und schmerzhafter Sehnsucht.
Autorin: Martina Müller