Wer im Düsseldorfer Museum K21 den Raum „El Caso“ betritt, spürt und denkt sogleich: Archiv, Gedenkstätte, Grabkammer, Trauer. Unregelmäßig verteilt, hängen 40 gerahmte Porträtfotos an den Wänden. Die Bilder zeigen unscharfe Gesichter von Männern, Frauen und Kindern. Über jedem Foto ist eine Klemmlampe angebracht. Sie sind die einzigen Lichtquellen im Raum und strahlen die Gesichter wie bei einem Verhör an. Lose schwarze Kabel zeichnen ein wirres Liniennetz auf die Wand. Unter jedem Bild hängt eine blecherne Keksdose. Dominiert wird der Raum von drei nebeneinander aufgestellten Holzregalen, die gefüllt sind mit Stapeln fein säuberlich aufgeschichteter Leintücher.
Spurensicherung
Christian Boltanski, 1944 in Paris geboren, hat diese Installation 1988 erstmals in Madrid gezeigt. „El Caso“ ist der Name eines spanischen Revolverblattes, das mit reißerischen Artikeln über spektakuläre Kriminalfälle eine hohe Auflage erzielt. Boltanski hat die Fotos für seine Installation „El Caso“ entnommen. Sie zeigen Täter und Opfer von Gewaltverbrechen. Die verschlossenen Keksdosen bewahren die Abbilder der Tatorte auf.
„Ich versuche, eine primäre Emotion herzustellen… So wie man im Kino weint“, hat Christian Boltanski einmal gesagt. In seinen Werken stellt er individuelles und kollektives Erfahren gegenüber und setzt sich mit Vergangenheit und Vergänglichkeit auseinander: „‚Zeit’ ist eine Wegführung, die von privater, öffentlicher und der Zeit Gottes spricht. Es gibt keine Antworten, aber viele Fragen.“ Das unkommentierte Nebeneinander von Tätern und Opfern zeigt auch die Paradoxie des Gedenkens. Beim Betrachter setzt „El Caso“ eine Kette von Assoziationen in Gang. Am Ende stehen Vergessen und Tod – oder vielleicht doch Erinnern und Leben.
Buchtipp
Christian Boltanski: Zeit.
Katalog zur Ausstellung Institut Mathildenhöhe Darmstadt, 2006/2007
Hrsg. von Ralf Beil
Hatje Cantz Verlag 2006; Preis: 39,80 Euro
Autorin: Claudia Kuhland