Er war eine Art westfälischer van Gogh: der Maler Peter August Böckstiegel (1889-1951). Kornstiegen auf dem Acker der Eltern, Landschaften aus dem Umkreis, der Alltag bäuerlichen Lebens sind seine Welt. Ohne Skizzen, ohne Vorzeichnungen malte er unter freiem Himmel. Als er 1913 an die Kunstakademie nach Dresden kam, hatte er längst seinen Stil gefunden: scharfkantig, spannungsgeladen und expressiv. Und wie ein Bauer seinem Felde die Treue hält, blieb der Maler trotz Großstadtlebens seinem Heimatacker Arrode verhaftet. Seine Sujets: Kartoffeln und Bäuerinnen.
Untergegangene Welt westfälischer Kleinbauern
1924 porträtierte Peter August Böckstiegel seine Tante Marie König zusammen mit seiner Mutter. Wenn die alte Dame in die Einsamkeit des ostwestfälischen Arrode zu Besuch kam, war das ein Fest. Sie brachte Neuigkeiten und konnte wunderbar erzählen. Marie König war eine lebende Zeitung. Die modische Kapotte trägt sie wie ein Diadem auf dem greisen Haupt. Herausgehoben aus der Anonymität ihrer bäuerlichen Herkunft zeigt sie Böckstiegel als Königin im schönsten Sonntagsstaat. Aus dem leuchtenden, faltigen Gesicht der 65-Jährigen schaut uns nur ein Auge an. Es ist so lebhaft gemalt, als gelte es, das fehlende zu ersetzen. Ein Unfall mit der Heugabel hatte ihr schon in der Jugend das zweite Auge genommen. Der zahnlose, nimmermüde Mund weiß mehr zu berichten, als die Sehkraft ahnen lässt. Auf dem Seidenkleid liegen geschwollene, Gicht geplagte Hände - gezeichnet von harter Arbeit. Neben der rund und redseligen Tante König: die Mutter des Malers - gebeugt, hager, still.
Böckstiegel hat die Farben mit Spachtel oder mit den Fingern aufgetragen. Die Oberfläche seines Bildes wirkt dreidimensional wie ein Relief. Das Stakkato der Striche ist zu einem Gesicht gebündelt, gleichsam in Holz geschnitzt. 1924, als sein Werk entsteht, gibt es noch keine Elektrizität im Haus, erzählt und gemalt wird im Schein der Petroleumlampe oder bei Kerzenlicht. Die untergegangene Welt westfälischer Kleinbauern. Peter August Böckstiegel war einer von ihnen. Er starb 1951 in Arrode.
Buchtipp:
Klaus Kösters (Hrsg.): Peter August Böckstiegel (1889-1951): Aschendorff Verlag 2009. Preis: 29 Euro
Conrad Felixmüller - Peter August Böckstiegel: Arbeitswelten: Ausstellungskatalog. Hrsg. von Jutta Hülsewig-Johnen. Wienand Verlag 2006, Preis: 24 Euro
Autorin: Martina Müller