"Eve" von Amor Towles

Stand: 30.07.2024, 07:00 Uhr

Eine junge Frau, die sich neu erfindet. Eine Stadt der Träume, die schnell zu Albträumen werden können. Und eine Gruppe von Freunden, die einer berühmten jungen Schauspielerin helfen, ihre persönliche Bedrohung zu beenden. Eine Rezension von Jutta Duhm-Heitzmann.

Amor Towles: Eve
Aus dem Englischen von Susanne Höbel.
Hanser, 2024.
224 Seiten, 24 Euro.

"Eve" von Amor Towles Lesestoff – neue Bücher 30.07.2024 05:29 Min. Verfügbar bis 30.07.2025 WDR Online Von Jutta Duhm-Heizmann

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Evelyn Ross, blond, selbstbewusst und strahlend schön – auf der einen Seite. Auf der anderen:

"Es überraschte ihn, dass ihm die Narbe nicht eher aufgefallen war, denn sie musste gut zehn Zentimeter lang sein und verlief von ihren Wangenknochen bis zum Kinn."

Er – das ist Charlie, ein pensionierter Polizist und Erzähler zumindest des ersten Kapitels. Die elegante junge Frau und er lernen sich im Speisewagon eines Zuges nach Los Angeles kennen. Und da zeigt sich, dass nicht nur ihr Gesicht, sondern ihr ganzes Wesen zwei Seiten hat: hochmütig abweisend gegenüber allen, die sie nicht interessieren. Und von funkelnder, origineller Intelligenz bei Menschen, die ihre Neugier wecken.

"Ich hatte die feste Absicht, Sie nicht weiter zu beachten. Aber nachdem Sie einmal angefangen haben zu erzählen, hätte ich Ihnen von hier bis Timbuktu zuhören können."

Charlie ist nicht der einzige, den die rätselhafte Evelyn Ross fasziniert. Einigen allerdings ist sie bekannt: den Lesern von Amor Towles erstem Roman "Eine Frage der Höflichkeit": Die Geschichte zweier lebenshungriger junger Frauen, die in 1930er Jahren in New York ihr Glück suchen und in einer fatalen Dreiecksbeziehung landen. Eine bleibt in der Stadt. Die andere, Eve, durch einen Autounfall für immer gezeichnet, setzt sich in den Zug und fährt in ein neues Leben: nach Hollywood. In die Fabrik der Träume.

"An der Ostküste sind die Märchen tausend Jahre alt und werden von Generation zu Genration weitergereicht. Der ganze Unsinn mit dem 'glücklich bis an ihr Ende'. Hier gibt es auch Märchen, aber man hat das Gefühl, dass die Menschen sie immer neu erfinden."

Und sich selbst dazu – wie jetzt auch Eve Ross. Deshalb kann man diesen Roman auch lesen, ohne den alten zu kennen, und einfach nur vergnügt verfolgen, was sie aus ihrem neuen Leben macht.

Im fashionablen Beverly Hills Hotel trifft auf Prentice, den einstigen Filmstar, jetzt alt und dick und verzweifelt bemüht, seinen Lebensstil zu halten. Auf Marcus, den Anwalt des mächtigen Filmmoguls David O. Selznick, der sie mit einem lukrativen Vertrag ködern will. Vor allem aber ist da Olivia de Havilland, die junge Schauspielerin, berühmt und bewundert – und hilflos im Netz der Knebelverträge ihrer Filmgesellschaft gefangen.

"Wenn du unter Vertrag bist, entscheidet das Studio nicht nur, welche Rollen du bekommst, sondern es mischt sich in alles ein, was dein Image betrifft: Wie du dich anziehst, wie du das Wochenende verbringst und mit wem..."

Außerdem wird sie auch noch einem kriminellen Paparazzo erpresst. Eve mischt sich ein – und gibt damit der Handlung einen völlig neuen Dreh: Sie verwandelt sich in eine Art Privatdetektivin, weiblich, gewitzt, zornig – im Gegensatz zu den zynischen männlichen Helden der damals gängigen düsteren Großstadtkrimis.

Ein gelungener Dreh des Autors Amor Towles. In "Eine Frage der Höflichkeit" hatte er das flirrende New York der 30er Jahre zum Sprechen gebracht, jetzt kann er mit hektisch wechselnden Schauplätzen das Los Angeles dieser Zeit vibrieren lassen, samt seinen angesagten Hotspots, dem Essen, der Musik, den Intrigen und Skandalen der Traumfabrik und den skrupellos mächtigen Studiobossen – mit denen Eve und ihre neuen Freunde sich anlegen.

"Diese Mogule, dachte Eve, als sie aus dem Gebäude stürmte. Paschas. Zaren. Kaiser. All die Begriffe aus verschiedenen Sprachen  (…) – dabei hatten sie alle dieselbe Bedeutung."

Amor Towles zielt in seinem kleinen Roman nicht in die Tiefe oder auf ausgefeilte Charak­tere, sondern bleibt augenzwinkernd amüsant und so überzeugend oberflächlich wie die Klatschseiten in den einschlägigen Magazinen. Alles wirkt wie angetupft, eine leichte Sommerlektüre, die – um am Ort zu bleiben – auch als Drehbuchentwurf Hollywood anpeilen könnte. Mit einer kompromisslos unabhängigen Heldin und einem klassisch offenen Ende: in den schnell übermalten Kulissen der Traumfabrik erkennt eine kämpferische Eve Ross:

"Es bedurfte eines Trupps von Handwerkern, die mit Hammer und Pinsel und Bimsstein kamen, um die Paläste der Selbstgerechten zu zerstören."