Buchcover: "Punk" von Eckhart Nickel

"Punk" von Eckhart Nickel

Stand: 03.09.2024, 07:00 Uhr

Eine Welt ohne Musik, beherrscht von gleichtönigem, weißen Rauschen. Alle Höhen und Tiefen sind verboten, die Monotonie hat die Gesellschaft im Griff. Doch eine kleine Band probt den Aufstand und beweist: Punk ist nicht tot. Eine Rezension von Theresa Hübner.

Eckhart Nickel: Punk
Piper, 2024.
208 Seiten, 22 Euro.

"Punk" von Eckhart Nickel

Lesestoff – neue Bücher 03.09.2024 05:01 Min. Verfügbar bis 03.09.2025 WDR Online Von Theresa Hübner


Download

Wie Sie hören, hören Sie nichts – oder doch, da ist was, unterschwellig, nicht laut, nicht leise, aber immer da – und einen Namen hat es auch bald: der Weiße Lärm.

"Der Weiße Lärm. Die größte Errungenschaft unserer Epoche. Revolution der Akustik. Ende all unserer Missverständnisse. Der Zwietracht der Menschen untereinander aus der Zeit davor, als wir noch mit den weißen Ohrstöpseln einsam durch die Gegend liefen, ständig im Gespräch mit anderen, die gar nicht in der Nähe waren."

Es ist eine seltsame dystopische Zukunft, die Eckhart Nickel da in „Punk“ erschaffen hat. Eine Art akustische Gleichschaltung hat stattgefunden, eine sonderbare Dauerberieselung, sehr subtil, kaum wahrnehmbar, hat sich über alles gelegt – die Welt hat Tinnitus. Den Alltag der meisten beeinflusst das kaum, es gibt anfangs sogar einige positive Effekte: Auch alle lauten, vermeintlich unangemessenen Reden verschwinden, Hasskommentare in den Netzwerken, hitzige Debatten – alles wird übertüncht vom Weißen Lärm. Schön ruhig, aber auch langweilig.

Politisch ändert sich einiges: alles Klangliche ist untersagt – es gibt Kontrollen und Durchsuchungen. Und noch viel wichtiger: Musik ist in dieser neuen Welt streng verboten – und mit ihr verschwinden auch die starken Emotionen.

"Als hätte jemand einen Regler heruntergedreht und damit der allgemeinen Gefühlsskala des Menschen ihre Extreme entzogen und die Enden gekappt, sodass, im Geräuschjargon gesprochen, nur noch Mitteltöne in einem begrenzten Spektrum überhaupt übriggeblieben waren."

In dieser gedämpften Welt will die Ich-Erzählerin Karen, Studentin, eigentlich nur ein WG-Zimmer besichtigen. Sie landet in der Wohnung der musikbegeisterten, etwas eigenwilligen Brüder Ezra und Lambert. Dort gibt es allerhand Skurrilitäten, zum Beispiel einen schallgeschützten Raum, das Stereolabor, wo Ezra und Lambert ausgesuchte Platten vor den Kontrolleuren der Anhänger des Weißen Lärms verstecken. Und schließlich erfährt Karen, die sich selbst gut mit Musik auskennt, was die Brüder eigentlich von ihr wollen: Sie soll Sängerin ihrer Punkband werden. Dass Karen zwar ganz ordentlich Klavierspielen kann, singen aber nie gelernt hat, stört nicht.

"'Alison Statton, die Sängerin der 'Young Marble Giants', hat auch keine Gesangsausbildung gehabt und als Zahnarzthelferin gejobbt, als sie die Band gegründet haben. Und sie ist unser absolutes Idol.'"

Mögen muss man die nerdigen Passagen in denen Ezra, Lambert und Karen ihr Musikspezialwissen austauschen. Überhaupt, wer mit Musik wirklich gar nichts anfangen kann, nie was von den 'Smiths', der legendären Band um Morissey, oder 'New Order' gehört hat, wird mit diesem Buch wenig Freude haben.

"Ezra beginnt zu lachen. „Jetzt nicht wahr, oder? Du bist die Erste, die mit unserer kleinen Obsession an der Wand hier was anfangen kann.“ [...] „Hier schau mal, die seltenste Maxisingle von allen: 'William, it was really nothing' mit Morrissey und seinem überirdischen Glas Milch in der Hand.'"

Musikfans dürfen dagegen mit dem frisch gegründeten Punk-Trio den Aufstand proben. Die Drei spielen gegen den Weißen Lärm an, wollen sogar an einem Wettbewerb teilnehmen und machen in der Badewanne Fotos fürs erste Album.

Nicht immer erzählt Eckhart Nickel seine Geschichte dabei streng logisch, aber das ist hier Stilmittel und Grundhaltung: es geht eben darum, nicht alles perfekt und flüssig zu erzählen – das sperrige, rotzige, punkige ist gewollt. Dennoch ist „Punk“ kein Nonsens-Buch, sondern hat durchaus ernsthafte Botschaften. Man kann es lesen als einen Aufruf zum Widerstand gegen Konformität, auch gegen Cancel-Culture. Es ist ein Plädoyer für Ecken und Kanten, für die Schönheit des Verrückten. In jedem Fall aber ist Punk“ eine tiefe Verbeugung vor der Kraft der Musik.