Protest vor Lischkas Büro in Köln

Beate Klarsfeld über ihren Kampf gegen Nazis (Teil 2)

"Wir hätten Mord in Erwägung gezogen"

Stand: 22.03.2006, 13:11 Uhr

Bei ihrem Engagement gegen unbestrafte Nazi-Täter ist Beate Klarsfeld nicht zimperlich. Sie macht auch vor Entführung und Mordüberlegungen nicht Halt. Ihr Kampf ist einsam - aber auch vielfach ausgezeichnet.

WDR.de: Welche Mittel sind für Sie legitim, um ihre Ziele zu erreichen?

Beate Klarsfeld: Im allgemeinen haben wir versucht, legal zu bleiben. Aber manchmal haben wir die Gesetze doch übertreten, wenn wir der Meinung waren, dass es sein musste. Zum Beispiel der Entführungsversuch von Kurt Lischka oder die Demonstrationen vor seinem Büro in Köln, wo wir Fensterscheiben eingeschlagen und das Haus mit Hakenkreuzen beschmiert haben. Da haben wir uns strafbar gemacht. Das haben wir in Kauf genommen. Aber auch nur deswegen, weil wir wussten, mit legalen Mitteln können wir nichts erreichen. Der Gegner hat uns gezwungen, diese Mittel zu ergreifen.

WDR.de: Hätten Sie auch Mord in Kauf genommen?

Klarsfeld: Mein Mann hatte den deutschen Behörden gesagt, wenn Lischka nicht verurteilt würde, müssten sie damit rechnen, dass eines Tages jemand aufsteht und sagt, wenn die deutsche Gesellschaft es für nicht nötig hält, die Täter zu bestrafen, dann muss jemand, der Opfer ist, zur Selbstjustiz greifen.

WDR.de: Und Sie selbst?

Klarsfeld: Ich selbst hätte das nicht gemacht. Aber wir hätten das in Erwägung gezogen, auf jeden Fall. Man konnte Kurt Lischka, Herbert Hagen und Ernst Heinrichsohn nicht mehr straffrei davonkommen lassen, nachdem wir herausgefunden hatten, dass sie maßgeblich für die Deportation von 76.000 Juden aus Frankreich in die Vernichtungslager verantwortlich waren. Das wäre ganz unmöglich gewesen.

WDR.de: In Anlehnung an die "Baader-Meinhof-Bande" war damals in den Medien von der "Klarsfeld-Bande" die Rede.

Klarsfeld: Wir waren eine Bande, die enge Beziehungen hatte: Unsere Freunde waren alle Juden, deren Eltern und Verwandte umgekommen waren. Sie hatten viel gemeinsam. Ihr Anliegen war es, eines Tages sagen können: Ich habe meine Angehörigen verloren und ich habe darunter gelitten; aber ich habe mich dafür eingesetzt, dass ein paar der Verantwortlichen dafür bestraft worden sind.

WDR.de: Und was sagen Sie zur Gleichsetzung von "Baader-Meinhof" und Klarsfeld?

Beate Klarsfeld sieht in ihrem Pariser Büro Zeitungsausschnitte über ihre Aktionen durch

Beate Klarsfeld: "Nicht blindlings"

Klarsfeld: Wir haben niemals blindlings unsere Opfer ausgesucht. Wir wollten Gerechtigkeit, nicht Rache. Ich hätte verstanden, wenn die Bader-Meinhof-Gruppe Hans-Joachim Rehse getötet hätte, nachdem er 1968 freigesprochen wurde. Rehse war Richter am Volksgerichtshof und Beisitzer von Roland Freisler gewesen. Rehse hatte die Todesurteile mitunterzeichnet. Da hätte ich Selbstjustiz verstanden. Aber die RAF entführte und mordete wahllos - im Namen des Kampfes gegen den Kapitalismus. Wir hingegen haben uns auf das Thema konzentriert, bei dem wir selbst betroffen waren - ich etwas weniger, aber meine Freunde hatten alles verloren. Die Aktionen entsprangen aus ihrem eigenen Schicksal. Aber was hatten Baader und Meinhof im Kapitalismus groß zu leiden? Baader fuhr Luxusautos. Das war ein bisschen wie Bonnie und Clyde.

WDR.de: Sie haben versucht, Kurt Lischka zu entführen. Die RAF hat Hanns Martin Schleyer entführt. Beide Männer hatten eine Nazi-Vergangenheit.

Heinrich Böll

Rosen geschickt: Heinrich Böll

Klarsfeld: Aber die RAF hat Schleyer getötet. Wir wollten Lischka aus Köln nach Paris bringen und den Behörden übergeben. Lischka war in Frankreich in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Wir haben uns nur auf wirkliche NS-Täter konzentriert. Für die RAF war Schleyers Vergangenheit nicht der Anlass für seine Entführung. Ihr ging es um seine Funktion als Arbeitgeberpräsident. Das kann man wirklich nicht miteinander vergleichen. Das Problem der NS-Verbrecher war nie ein großes Problem für die RAF - auch nicht für die Außerparlamentarische Opposition insgesamt. Vor der Ohrfeige habe ich mit Rudi Dutschke gesprochen und ihn um Unterstützung gebeten, aber für ihn hatte das keine Priorität. Ich habe mich da allein durchgeschlagen. Die Solidarisierung kam erst hinterher. Heinrich Böll hat mir 50 rote Rosen nach Paris geschickt. Günter Grass hat ihn dafür kritisiert. Diese Tat sei kein Grund für Blumen. Daraufhin bekam ich von Böll noch einen zweiten Strauß.

WDR.de: Von wem wurden Sie bei Ihren Aktionen unterstützt?

Klarsfeld: Solange es gegen Kiesinger ging, war ich in der DDR ein gern gesehener Gast. Es gab Medaillen und die Archive wurden uns geöffnet. Aber als ich 1971 gegen Antisemitismus in Polen demonstrierte, blieb die Grenze geschlossen, als ich über die DDR zurückreisen wollte. Wir haben uns nie von den Regierungen einspannen lassen. Wir sind unabhängig geblieben. Deshalb konnten wir überall demonstrieren und protestieren. Man wird respektiert, aber man hat es nicht leicht.

WDR.de: In Ihrer Autobiographie steht, Sie hätten sich bei ihren Kampagnen manchmal "verzweifelt alleine" gefühlt.

Klarsfeld: Für mich ist die Familie enorm wichtig. Die Familie, die zusammenhält, die sich berät und zusammenarbeitet. Ich bin immer noch mit demselben Mann glücklich verheiratet. Meine Kinder Lida und Arno bewundern mich, und ich bewundere sie. Außerdem haben wir immer Hunde und Katzen gehabt. Das ist eine Umgebung, die uns hilft, den Ausgleich zu schaffen. Selbst wenn man sich außerhalb einsam fühlt. Aber innerhalb ist man nicht einsam. Einsamkeit im Kampf und die Einsamkeit im familiären Bereich, das lässt Leute ausflippen. Das ist bei uns nie ein Problem gewesen. Im Kampf muss man Standhaftigkeit zeigen. Man darf nicht aufgeben. Das ist wahrscheinlich das Schwerste für alle. Wenn man keiner Partei angehört, gibt es niemanden, der einen vertritt oder Vorarbeit leistet. Sie müssen immer alles allein machen, das ist sehr schwierig. Doch wenn Resultate da sind, ist es umso erfreulicher.

WDR.de: Sie sind mehrfach geehrt worden. In Israel haben Sie die Tapferkeitsmedaille der Ghettokämpfer erhalten, in Frankreich sind Sie zum Ritter der Ehrenlegion ernannt worden. Und in der Bundesrepublik?

Klarsfeld: Nichts, nichts, nichts. Eine Gruppe hatte mich mal für das Bundesverdienstkreuz vorgeschlagen. Ich bin abgelehnt worden, weil ich angeblich den Richtlinien nicht entspreche.

WDR.de: Schmerzt Sie das?

Beate Klarsfelds Urkunde Ihrer Ernennung zum Ritter der Ehrenlegion

Auszeichnung: Beate Klarsfeld ist Ritter der Ehrenlegion

Klarsfeld: Ich warte immer noch auf eine Geste Deutschlands. Ich war die einzige Deutsche, die dafür gesorgt hat, dass es keinen Nazi-Bundeskanzler mehr gab und weniger unbestrafte NS-Verbrecher. Joschka Fischer hat mir zum 60. und 65. Geburtstag geschrieben, aber dabei ist es geblieben. Dafür habe ich die Genugtuung, einen Meilenstein gesetzt zu haben. In Frankreich stehen die Namen Serge und Beate Klarsfeld im Lexikon. Man darf nie auf die Anerkennung von anderen zählen. Wenn es kommt, ist es wunderbar. Wenn es nicht kommt ... (zuckt die Schultern) Mein Mann sagt immer: "Mal sehen, wenn du tot bist, kriegst du noch was."(lacht)

WDR.de: Die NS-Täter sterben langsam aus. Ist damit Ihre Arbeit zu Ende?

Klarsfeld: Die Verfolgung von NS-Verbrechern ist zu Ende. Selbst wenn noch einige leben, hat es keinen Zweck mehr, sie vor Gericht zu schleifen. Wenn das Gericht die Sache wegen Verhandlungsunfähigkeit einzustellen muss, ist das für die Opfer frustrierend. Aber die Erinnerungsarbeit geht weiter. Auch die Überlebenden werden aussterben. Deshalb ist es wichtig, Dokumentationen zusammenzustellen. Wir haben versucht, die Deportierten aus der Anonymität abstrakter Zahlen zu holen und ihnen Gesichter zu geben. Wir haben eine Fotoausstellung gemacht, die an die Deportation von 11.000 jüdischen Kindern in die Vernichtungslager erinnert. Sie wurde in Frankreich auf 18 Bahnhöfen gezeigt. Da diese Todeszüge nach Auschwitz auch durch Deutschland gefahren sind, wollen wir die Bilder auch auf deutschen Bahnhöfen zeigen. Doch bisher lehnt die Deutsche Bahn solche Ausstellungen kategorisch ab. Das ist ein Skandal.

Das Interview führte Dominik Reinle.