Die Baumkronen kommunizieren miteinander, weiß Diethard Altrogge. Der pensionierte Forstamtsleiter wird hier nur "der Waldflüsterer" genannt. Er hat sich unter anderem mit der Verbindung von Mensch und Wald beschäftigt und ist dabei auch der Frage nachgegangen, warum wir uns im Wald so wohl fühlen: Zwischen Baumriesen und Farnblättern werden unsere Selbstheilungskräfte angeregt. Ein paar Stunden nur Grün sehen, den Bäumen zuhören, und wir verlassen den Wald gesünder, als wir ihn betreten haben.
Dem Wald selbst geht es weniger gut. Der Klimawandel und seine Folgen machen dem Ökosystem seit einigen Jahren schwer zu schaffen. Dürreperioden, Starkregenereignisse und Stürme setzen den Bäumen zu; das massenhafte Auftreten des Borkenkäfers verschärft die Situation zusätzlich. Der Kreis Siegen-Wittgenstein ist mit 70 Prozent der waldreichste Kreis Deutschlands. Große Flächen werden forstwirtschaftlich genutzt, und entsprechend hoch ist der Bestand an Fichten. Die aber sind von den Extremwetterereignissen und dem Borkenkäfer besonders schwer betroffen. Stehen sie zu trocken, können sie kein Harz produzieren. Der Baumsaft aber ist essentiell wichtig, um Buchdrucker und Kupferstecher, zwei Borkenkäferarten, aus den gebohrten Löchern zu spülen. So frisst sich der Käfer durch Bast und Kambrium, die Versorgungsschichten des Baumes nah unter der Rinde, und bringt den Baum zum Absterben. Die Folge: Millionen toter Fichten auch im Siegerland. Die Region verändert ihr Erscheinungsbild, überall gibt es riesige Kahlschlagsflächen oder Gebiete mit abgestorbenen braunen Fichtenkronen. Für die Waldbauern entsteht durch die Borkenkäferplage ein großer wirtschaftlicher Schaden, denn an dem befallenen Holz verdienen sie so gut wie nichts. So fehlt auch das Geld für die Wiederaufforstung. Genau die braucht es aber, um CO2 zu binden. Gerade junge Bäume speichern mehr Kohlendioxid als ältere.
Diethard Altrogges Lösungsansatz findet sich im Wald nahe des ehemaligen Forsthauses Hohenroth, das heute ein Waldbegegnungszentrum ist. Hier in Altrogges "Seelenwald" wird die Natur sich selbst überlassen – ohne menschliche Eingriffe. Ökonomisch ist das nicht, doch es zeigt, wie die Natur sich selbst heilen kann. Hier bleibt zum Beispiel totes Holz im Wald liegen und schafft dadurch eine Temperaturabsenkung um bis zu acht Grad. Außerdem liefert das verrottende Holz wichtige Nähstoffe für nachfolgende Pflanzengenerationen.
Anne Willmes wandert im Seelenwald.
Der Siegerländer Wald lieferte Holzkohle für die Hochöfen
Der Wald im Siegerland war immer schon Teil eines Wirtschaftskreislaufes. Von hier kamen nicht nur Brenn- und Bauholz, sondern auch Holzkohle, mit der das Erz in den Hochöfen geschmolzen wurde. Traditionell fand hier eine Niederwaldbewirtschaftung statt: Hauberg genannt. Ein Waldstück wurde durch mehrere Familien bewirtschaftet – und in verschiedenen Nutzungsformen. Die Bäume hier, damals vor allem Buche und Eiche, ließ man nicht groß und alt werden, sondern schlug sie, wenn sie zwischen zehn und 20 Jahre alt waren. Die Stämme wurden in die Meiler geschafft, das dünne Astmaterial, sogenannte Schanzen, wurde zu dicken Bündeln geschnürt und als Brennmaterial verwendet. Zwischen den licht stehenden Bäumen bauten die Menschen Getreide an. Das Arbeiten auf dem Hauberg wird im Siegerland heute noch praktiziert, allerdings eher zum Vergnügen und für den privaten Brennholzvorrat.
Anne Willmes hilft beim Schanzen: Äste werden zu dicken Bündeln geschnürt und als Brennmaterial verwendet.
Auf dem Rothaarkamm entspringen gleich drei Flüsse. Die Quellen der Eder, Lahn und Sieg liegen hier ganz nah beieinander. Besucht man den Ederbruch und das Quellmoorgebiet, ist man in einer weltweit sehr seltenen Landschaft unterwegs. Bis vor vier Jahrhunderten war Südwestfalen in Teilen Moorland. Man spricht von einem Moor, wenn Böden mindestens 30 Prozent organische oder brennbare Masse besitzen bzw. mindestens 30 Zentimeter dick mit Torf bedeckt sind. Besonders wertvoll sind die Moore als CO2-Speicher. Doch im Laufe der Zeit wurden sie trockengelegt – und damit auch die Quellen, die sie speisten. Heute gibt es nur noch drei Prozent Moorflächen auf unserem Planeten. Mit der Revitalisierung der Ederquelle 1991 kam ein kleines Stück Quellmoor zurück, und schnell siedelten sich zahlreiche Tier- und Pflanzenarten an, darunter auch als ausgestorben geltende Farne.
Anne Willmes und Diethard Altrogge im Ederbruch
Der Dilldappen – ein Siegerländer Fabelwesen
Zwischen Mensch und Wald besteht seit jeher eine tiefe Verbindung. Daran erinnern auch zahlreiche Sagen und Märchen, die von Begegnungen mit wilden Tieren, Fabelwesen und Naturgeistern erzählen. Ein typischer Vertreter ist der Dilldappen. Das Siegerländer Fabelwesen gehört zoologisch zu den eierlegenden Säugetieren und lebt im großen Familienverband, erzählt Matthias Kringe. Der Comiczeichner hörte als Kind unendlich viele Geschichten von seinem Großvater – und fast immer war eins dieser haarigen Wesen mit von der Partie. Kringe gab den Dilldappen eine Gestalt.
Anne Willmes ist beim Comiczeichner Matthias Kringe zu Gast
Lesetipps für das Siegerland
Amrei Risse
Rothaarsteig von Brilon nach Dillenburg
Conrad Stein Verlag, 2. Aufl. 2022
ISBN 978-3866867710
Preis: 14,90 Euro
Jörn Heller
111 Orte in Siegen-Wittgenstein, die man gesehen haben muss
Emons Verlag, 2020
ISBN 978-3740809768
Preis: 16,95 Euro
Gabriele Bensberg
Das Siegerland: Besondere Region - Besondere Menschen
Engelsdorfer Verlag, 2020
ISBN 978-3961459735
Preis: 10,00 Euro
Ulrike Poller, Wolfgang Todt
Wanderhöhepunkte links und rechts des Rothaarsteigs
Idee-Media, 2013
ISBN 978-3942779081
Preis: 11,95 Euro
Radwanderkarte BVA Radwandern in Siegerland-Wittgenstein. 1:50.000
BVA BikeMedia, 4. Aufl. 2022
ISBN 978-3969901205
Preis: 8,95 Euro