Geheimnis Kanzlerbungalow

Doku am Freitag 07.02.2014 01:47 Min. Verfügbar bis 07.02.2999 WDR

Geheimnisvolle Orte

Geheimnis Kanzlerbungalow

Stand: 25.06.2018, 17:16 Uhr

Ein "Unikum" sei er gewesen. "Einzigartig" sagt Egon Bahr über den schlichten Bungalow, der verborgen zwischen Bäumen im Bonner Regierungsviertel steht. Ein Ort, wo sich die Kanzler von Ludwig Erhardt bis Helmut Kohl zu vertraulichen Gesprächen trafen, abseits von den Augen der Öffentlichkeit: das "Wohnzimmer der Mächtigen".

SW-Aufnahme vom Kanzlerbungalow 1967 mit Udo Jürgens und Ehepaar Kiesinger

Der Kanzlerbungalow war Rückzugs- und Empfangsraum zugleich. 1967 sang Udo Jürgens im Kanzlerbungalow "Merci, Chérie" für das Ehepaar Kiesinger.

Der Kanzlerbungalow in Bonn scheint auf den ersten Blick unscheinbar, ein einstöckiger Glasbau, im modernen Stil betont einfach gebaut. Nichts deutet darauf hin, was hinter den Kulissen des kleinen Hauses geschah. Hier wohnten nicht nur die Bundeskanzler von Ludwig Erhard bis Helmut Kohl mit ihren Familien, im Kanzlerbungalow wurde auch große Politik gemacht: Feste und Staatsbesuche, Bündnisse und Allianzen, geheime Diplomatie – sogar Entscheidungen über Menschenleben wurden hier getroffen.

Demokratisch offener Bau oder "Hundehütte"?

Der Kanzlerbungalow ist ein Bau, der aufgrund seiner Bescheidenheit von Anfang an die Gemüter spaltete. Was für die eine nur eine glanzlose "Hundehütte" darstellte, war für die anderen Ausdruck einer neuen demokratischen Offenheit – ganz anders als die Berliner Prachtbauten der Nationalsozialisten. Als Erhard 1963 zum Kanzler gewählt wurde, stellte sich die Frage nach einer angemessenen Dienstwohnung. Den Architekten wählte Erhardt selber aus: Sep Ruf, der schon sein Privathaus am Tegernsee gebaut hatte.

Ludwig Erhard

Unter Ludwig Erhard wurde der Kanzlerbungalow gebaut. Seinen modernen Geschmack verfluchten spätere Kanzler, die den Bau schlicht unpraktisch und ungemütlich fanden.

Doch die moderne Schlichtheit und Offenheit, die Erhardt schätzte, kam bei den meisten seiner Nachfolger nicht gut an: Kiesinger beauftragte eine Innenarchitektin, die das Haus gemütlicher machen sollte – mit schweren Stilmöbeln, Häkeldeckchen und Antiquitäten; Willy Brandt ließ sich ein Attest ausstellen um nicht einziehen zu müssen. Die Schmidts liebten wieder das Einfache und Helmut Kohl fand den Bungalow schlicht "absurd" – blieb aber dennoch am längsten dort wohnen.

Einsatzstab gegen den Terror

Helmut Schmidt

Helmut Schmidt erlebte während der Lorenz-Entführung schwere Stunden im Kanzlerbungalow.

1975 wird der Kanzlerbungalow zum Krisenzentrum: Am 27. Februar entführten Terroristen der "Bewegung 2. Juni" den CDU-Politiker Peter Lorenz. Ihre Forderung: Sechs Gefangene sollen freigelassen werden. Die Spitzenpolitiker der Bundesrepublik trafen sich im Kanzlerbungalow. Die Frage: Wie viel ist ein Menschenleben wert? Helmut Schmidts Zukunft als Bundeskanzler stand auf dem Spiel. Am Ende klappte der Deal: Die Gefangenen wurden ausgeflogen, Peter Lorenz wurde freigelassen. Trotzdem war klar: Noch einmal lässt sich der Staat nicht erpressen.

Ein Hochsicherheitsgebäude - mit Glaswänden

Der Kanzlerbungalow in Bonn

Der Kanzlerbungalow war das am besten bewachte Einfamilienhaus der Bonner Republik.

Im Kanzlerbungalow gingen die Mächtigen ein und aus; das erforderte starke Sicherheitsvorkehrungen. Denn auch, wenn der nach allen Seiten verglaste Bau Offenheit suggerierte - das Gelände rund um den Bungalow und das Palais Schaumburg war abgesichert wie ein Hochsicherheitstrakt. Niemand kam ungesehen hinein. In den Zeiten des RAF-Terrors wurde - um den Kanzler und seine Frau vor Angriffen von der anderen Rheinseite zu schützen - eine Panzerglasscheibe vor die Terrasse gesetzt.

Eine wichtige Sicherheitsvorkehrung aber war den Sparmaßnahmen in der Bauzeit zum Opfer gefallen: der geplante Atombunker unter dem Bungalow wurde nicht fertig gestellt. Im Notfall hätten der Kanzler und seine Entourage in den mehr als 30 Kilometer entfernten Regierungsbunker gebracht werden müssen.

Die Stasi hörte mit

Aber allen Sicherheitsmaßnahmen zum Trotz: Die Stasi hörte mit. Allein zwischen 1982 und 1989 sollen mehr als 9000 Seiten Telefonprotokolle zu Papier gebracht worden sein.

Helmut Kohl und Michail Gorbatschow

Helmut Kohl und Michail Gorbatschow 1989 in Bonn.

Doch unbemerkt von den eifrigen Spitzeln wurden im Kanzlerbungalow die Weichen für die Deutsche Einheit gestellt. Beim Spaziergang durch den Garten mit Blick auf den Rhein sollen sich Michael Gorbatschow und Helmut Kohl in der "deutschen Frage" näher gekommen sein.

Ein Film von Ulrike Brincker
Redaktion: Monika Pohl und Lena Brochhagen