Titel: Kleine Fluchten
Autor: Carole Fives
Verlag: Zsolnay
ISBN-10: 3552072268
ISBN-13: 978-3552072268
Die Autorin
Die Autorin ist Französin, wurde für ihre Romane und Erzählungen schon mehrfach ausgezeichnet. Wir haben bei Frau tv vor zwei Jahren „Eine Frau am Telefon“ empfohlen, eine großartige Geschichte über Mutter und Tochter.
Die Handlung
Die Geschichte spielt irgendwo in Frankreich, in einer großen Stadt. Die junge Frau hat einen kleinen Sohn, gerade mal zwei Jahre alt. Der Vater ist schon lange abgetaucht, meldet sich nicht, zahlt nicht. Der Kleine mit den blonden Locken wird von allen bewundert. Dass er seine Mutter mit seinen Trotzattacken an den Rand der Erschöpfung bringt, weiß keiner. Sie ist rund um die Uhr mit dem Jungen beschäftigt. Wenn er mal kurz zur Ruhe kommt und schläft, versucht sie, im Kinderzimmer zu arbeiten. Sie ist Grafik-Designerin, sie braucht das Geld, aber keiner will eine alleinerziehende Mutter beschäftigen, die nur unregelmäßig Zeit hat. Keine Chance für sie, mal durchzuatmen, das Kind bei einer Freundin, bei der Oma zu lassen. Die junge Frau ist fremd in der Stadt, keine Freunde, keine Verwandten, die Nachbarn wollen nichts mit ihr zu tun haben. Sie ist jung, träumt davon, abends mal wegzugehen, wenn der Junge eingeschlafen ist, raus aus dem Haus. Sie tut es. Anfangs nur ganz kurz, aber dann werden die kleinen Fluchten immer länger. Als sie schließlich erst früh am Morgen nach Hause kommt, hört sie schon die Sirenen, sieht das Blaulicht, vor ihrem Haus stehen Polizeiautos.
Die Bewertung
Als wäre man ihr unsichtbarer Schatten, so dicht ist man beim Lesen dran an dieser Frau. Spürt die Liebe zu ihrem Kind, die tägliche Überforderung, die Existenznot, die Angst zu scheitern, die Einsamkeit und die hellen Momente, wenn der Kleine einfach nur zum Knutschen ist. Die junge Frau: Sie hat keinen Namen in diesem Roman, und so steht sie stellvertretend für die unzähligen namenlosen jungen Frauen auf der Welt, denen es geht wie ihr. Die nicht mehr weiter wissen, im Internet als verantwortungslose Rabenmütter beschimpft werden, wenn sie sich trauen, von ihren kleinen Fluchten zu erzählen. Die Geschichte von den kleinen Fluchten hat nicht einmal 140 Seiten. Aber die sind so intensiv, dass man den Atem hält, als es auf das Ende zugeht. Man ahnt, wie es ausgehen wird. Nur um dann zu merken, dass man überhaupt keine Ahnung hatte.
