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Der "Schnelle Brüter" in Kalkar (Aufnahme von 1992)

Stürmische Zeiten – die 70er

Stand: 24.07.2016, 17:08 Uhr

Nordrhein-Westfalen stand noch immer an der Spitze in der Bundesrepublik und das wollte man auch zeigen. Das höchste Haus, das größte Messegelände, der "schnellste Brüter" und die meisten Autobahnen entstanden in diesem Jahrzehnt.

All das kann man noch heute entdecken, manches allerdings ganz anders als ursprünglich geplant.

Die 70er Jahre in NRW

Gebietsreform, Atomkraft und "Rote Armee Fraktion" - ein stürmisches Jahrzehnt in Nordrhein-Westfalen.

Hat man mit der Anlage in Jülich bisher nur in die Forschung von Atomenergie investiert, begann man 1970 in Kalkar der Bau der ersten Kernkraftwerkes in NRW. Das Kraftwerk sollte besonders effizient sein, da der Uranbestand im Westen begrenzt war. Die Zeit des Baus war von Protesten geprägt, oft wesentlich lauter als dieser stille Protest.

Die Eröffnung des Düsseldorfer Schauspielhauses 1970 erregte die Gemüter. Nicht nur, weil das angedachte Budget von 25 Mio. DM weit überschritten wurde. Die Leute beklagten vor allem, dass es bei der Premiere keine Karten im freien Verkauf waren. Arbeiter und Bürger fühlten sich von der exklusiven Premiere ausgeschlossen und zeigten das mit ihren Demonstrationen.

Die Gebietsreformen zwischen 1966 und 1975 sorgten für viele Proteste. Viele wollten nicht in die Nachbarstadt eingemeindet werden. In einigen Fällen konnten die Städte ihre Unabhängigkeit bewahren oder die Eingemeindung rückgängig machen. Meistens gab es aber nur symbolische Zugeständnisse.

Die Rückkehr an die Kunstakademie hat der exzentrische Joseph Beuys mit einer Überfahrt über den Rhein inszeniert. Der damalige Wirtschaftsminister Johannes Rau sorgte für die Entlassung des Kunstprofessors, doch Proteste von Künstlern und Studierenden zwangen die Kunstakademie zur Wiederaufnahme.

Die Siebziger waren das Jahrzehnt, in dem die Bundesliga ein Profil bekam. Dafür sorgte vor allem die Gladbacher Borussia, die sich mit den Bayern einen Zweikampf um die Spitze lieferten. Die Gladbacher fielen mit ihrer Popstar-Attitüde auch außerhalb des Platzes auf. Insbesondere Günter Netzer war eine Lifestyle-Ikone und prägte das Bild des Fußballstars.

Für die Fußball-WM 1974 in Deutschland wurden in NRW drei Stadien zur Verfügung gestellt. Neben dem sanierten Rheinstadion in Düsseldorf gab es für die WM Neubauten mit dem Gelsenkirchener Parkstadion und dem Dortmunder Westfalenstadion (Modell im Bild). Dabei war der BVB zu der Zeit nur Zweitligist und bekam den Zuschlag nur, weil die Stadt Köln verzichtete.

Bei der Landtagswahl 1975 ereignete sich im Wahlkreis Wuppertal IV eine kuriose Geschichte. Die Direktkandidaten Manfred Sanden (CDU) und Uwe Herder (SPD) kamen beide auf exakt 27.425 Stimmen. Den Wahlkreis gewann am Ende Sanden durch Losentscheid. Die SPD/FDP-Koalition konnte ihre Mehrheit aber erhalten, sodass die Regierungsbildung nicht durch das Losglück beeinflusst wurde.

In Köln ereignete sich 1977 eine der bekanntesten Terroraktionen der "Roten Armee Fraktion". Sie nahmen den Arbeitgeberverbandspräsidenten Hanns Martin Schleyer als Geisel und forderten die Freilassung anderer RAF-Mitglieder. Da die Bundesregierung um Helmut Schmidt nicht auf die Forderungen einging, wurde Schleyer ermordet. Durch Gewalttaten wie der Entführung, wollte die RAF, die zu Beginn durchaus Beliebtheit in Teilen der Bevölkerung genoss, niemand mehr rechtfertigen.

Die Ehefrauen der Bundespräsidenten werden oft mit ihren karitativen Tätigkeiten in Verbindung gebracht. Die Kölnerin Mildred Scheel, Ehefrau von Walter Scheel stach hier besonders hervor. Die Ärztin gründete die Deutsche Krebshilfe. Der lediglich von Spenden finanzierte Verein konnte bisher knapp 2 Mrd. € für die Bekämpfung von Krebs einnehmen. Es birgt eine traurige Ironie, dass Mildred Scheel 1985 selbst an Krebs verstorben ist.

Mit fast 20 Fach- und Gesamthochschulen entstand eine weltweit einmalige Bildungslandschaft, darunter mit der Fernuniversität in Hagen die heute größte Universität Deutschlands. Doch der Strukturwandel hatte das Ruhrgebiet fest im Griff in diesen Jahren. Zechen starben, Hütten wurden geschlossen, der erste Smogalarm schockierte. Wie auch die größten Demonstrationen, die das Land je gesehen hatte: Zehntausende kamen nach Kalkar, um gegen die Errichtung eines Atomkraftwerks zu demonstrieren. Es formierte sich daraus eine ganz neue Bewegung, die die Umweltpolitik zum wichtigen Thema machte: die Grünen.

Die Musiker der Gruppe Kraftwerk auf einem Foto aus den siebziger Jahren mit roten Hemden

Kraftwerk: Am Anfang noch eine experimentelle Rockband, wurden die Musiker mit "Autobahn" zum Vorreiter der Elektromusik.

Ebenso prägten die Fohlen aus Mönchengladbach den deutschen Fußball, in Dortmund wurde 1974 das Westfalenstadion eröffnet, zu der Zeit der größte Fußballtempel des Landes. Künstler aus Nordrhein-Westfalen wie Joseph Beuys, Kraftwerk, Marius Müller-Westernhagen und der Nobelpreisträger Heinrich Böll wurden zu Stars, die bis heute ihren Glanz nicht verloren haben.

Ein Film von Jobst Knigge
Erzählt von Annette Frier
Redaktion: Thomas Kamp und Monika Pohl