Spitzenkandidatin Sylvia Löhrmann
Von der Treiberin zur Getriebenen
Stand: 27.04.2012, 06:00 Uhr
Für Sylvia Löhrmann liefen die vergangenen beiden Jahre so rund, dass die grüne Spitzenkandidatin Probleme hat, im Wahlkampf Profil zu zeigen. Die Lorbeeren ihrer Arbeit heimst Hannelore Kraft ein - und die Piraten nehmen den Grünen den Wind aus den Segeln.
Von Sven Gantzkow
Manchmal kann Sylvia Löhrmann richtig einschüchternd wirken, wenn sie neben Hannelore Kraft auf der Regierungsbank im Düsseldorfer Landtag sitzt. Die ohnehin schmalen Lippen verjüngen sich zur geraden Linie, ein stechender Blick geht über die Ränder ihrer Lesebrille ins Plenum. Es sind diese Momente, in denen die 55-Jährige ihre berufliche Vergangenheit als Lehrerin an einer Gesamtschule nicht verleugnen kann. Auch im Klassenzimmer zieht stille Autorität am besten. Warum Unruhe entstehen lassen, wenn ein bloßer Blick sie verhindern kann?
Von der Ratsfrau zur stellvertretenden Regierungschefin
Pragmatismus und Durchsetzungskraft sind die Markenzeichen der grünen Spitzenkandidatin, deren parteiinterner Aufstieg 1989 als grüne Ratsfrau in Solingen begann, mit dem Landtagseinzug 1995 und dem Fraktionsvorsitz ab 2000 weiterging und vor zwei Jahren schließlich mit dem Amt der stellvertretenden Regierungschefin seinen vorläufigen Höhepunkt fand. Sie verlief stet und steil, ihre Politkarriere. Aber nicht schnell. Löhrmann musste sich jeden Schritt akribisch erarbeiten. Vielleicht erklärt das auch ihr leicht trotziges Selbstbewusstsein, das sie Sätze sagen lässt, die auch mal ein bisschen eingebildet klingen können.
Löhrmann und ihr sprödes Selbstbewusstsein
Zum Startschuss in die heiße Wahlkampfphase steht sie am Donnerstag (26.04.2012) in der Düsseldorfer Parteizentrale und sagt auf die Frage, warum im Vergleich zu 2010 so wenig Bundesprominenz den Wahlkampf der Grünen unterstütze: "Wir haben unter anderem eine etwas bekanntere Spitzenkandidatin als vor zwei Jahren." Gemeint ist sie, Löhrmann. Frei nach dem Motto: Ich muss ja wohl genügen! Auch der von ihr selbst verfasste Lebenslauf auf ihrer Homepage weist dieses spröde Selbstbewusstsein auf, wenn sie über ihren Werdegang schreibt: "Eine ziemlich steile Karriere für eine Frau, die eher zufällig in der Berufspolitik gelandet ist." Bescheidenheit geht anders.
Wagnis Minderheitsregierung
Löhrmann (links) mit Hannelore Kraft im Landtag
Für eine Frau, die eher zufällig in der Berufspolitik gelandet ist, um mal in ihrem Jargon zu bleiben, ist diese Art von Selbstverständnis aber wahrscheinlich auch der Schlüssel zum Erfolg. Wenn es darum ging, Ziele zu verwirklichen, bewies Löhrmann einen langen Atem: Sie war es, die die damals noch zaudernde Hannelore Kraft 2010 dazu anhielt, das Wagnis einer Minderheitsregierung einzugehen. Sie war es, die die Sozialdemokraten davon überzeugte, die Gemeinschaftsschule nicht von oben zu verordnen, sondern sie als Option einzuführen. Und letztlich war sie es auch, die in langwierigen Sitzungen in ihrer Funktion als Schulministerin den sogenannten "Schulfrieden" mit der Union herbeimoderierte. Wer die zwei Jahre Rot-Grün als Erfolg wertet, kommt nicht umhin, Sylvia Löhrmann einen großen Anteil daran zu bescheinigen.
Piraten graben am Wählerpotenzial der Grünen
Gebracht hat ihr diese Kärrnerarbeit nichts: Die Grünen bezahlen ihre als naturgegeben verkaufte Symbiose mit der SPD derzeit mit massiven Umfrageverlusten, während die Ministerpräsidentin und ihre Partei in kaum geahnten Beliebtheitssphären schweben. Doch nicht nur das Schicksal, als kleiner Koalitionspartner still und leise an Bedeutung zu verlieren, setzt den Grünen zu. Auch die Piraten graben ihnen Stimmen ab, vor allem bei jungen Wählern.
Zu lange verdrängt, dass man zu den Etablierten zählt
Plötzlich sind nicht mehr die Turnschuhpolitiker von einst das hipste Modell im Parteienspektrum, sondern ein Haufen unorthodoxer Politneulinge, der auf Dinge wie Datenschutz und Bürgerbeteiligung pocht. "Das sind unsere Themen", klagen Grünenanhänger dann waidwund und bemängeln an der Konkurrenz sinngemäß: "Keine Ahnung, keine Meinung, kein Konzept!" Auch Sylvia Löhrmann hat das schon öfter gesagt. Wie sich die Grünen zu ihren Anfängen in den frühen 1980ern präsentiert haben, scheint dann vergessen. Etabliert sind sie schon lange. Fast genauso lange haben sie es geschafft, das zu verdrängen.
Landespolitisch sind die Themen abgegrast
Dem Wahlkampf fehlen die Landesthemen
Bislang hat Sylvia Löhrmann es nicht geschafft, diesem Relevanzverlust viel entgegenzusetzen. Mit Hannelore Kraft verteilte sie vor Ostern bunte Eier und schickte die Wähler damit endgültig auf die Suche nach den Inhalten dieses Wahlkampfs. Die gemeinsam mit der SPD gestartete Kampagne gegen die Praxisgebühr oder eine Wahlkampfaktion mit Cem Özdemir gegen das Betreuungsgeld der Merkel-Regierung sind Fluchtversuche in die Bundespolitik. Irgendwie logisch: Landespolitisch scheint alles abgegrast, womit man punkten könnte: Schulpolitik, Studien- und Kitagebühren sind erstmal durch. Wenn Löhrmann dann sagt: "Mit der Inklusion stehen wir an den Schulen aber vor einer noch größeren Herausforderung", ist das schlicht nichts mehr, womit man Kontur gewinnen könnte.
Der Fukushima-Effekt ist vorbei
Stattdessen setzt sie in ihrem Wahlkampf voll darauf, das Anhängsel der SPD zu sein. "Jede Kraft braucht einen Antrieb", lautet der Slogan eines ihrer Wahlplakate. Sicher, die Grünen sehen sich bei diesem Wortwitz als den Motor, den Treiber. Tatsächlich sind sie und ihre Spitzenkandidatin aber mittlerweile die Getriebenen. Elf Prozent erreichten sie beim letzten NRW-Trend. Das ist ein ordentlicher Wert, keine Frage. Gemessen an den Traumergebnissen von bis zu 20 Prozent, die sie 2011 nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima erreichten, muss man aber eher davon sprechen, dass das Wählerpotenzial auf Normalmaß zusammengeschrumpft ist.
Vielleicht ist es gerade in diesen Zeiten, in denen es für die Grünen schwierig ist, Profil zu zeigen, gut, dass die Spitzenkandidatin Sylvia Löhrmann heißt. Sie strahlt die nötige Ruhe aus, die einigen ihrer Parteikollegen - gerade im Umgang mit den Piraten - abgeht. Sie spricht mit klarer, deutlicher Stimme, schafft es, politische Zusammenhänge zu erklären, ohne abgehoben oder dogmatisch zu wirken. Lehrerqualitäten eben. Nur die Fähigkeit zu überzeugen, die geht ihr momentan etwas ab.