Blick in den Plenarsaal des NRW-Landtages bei der Abstimmung zur Neuwahl am 14.03.2012

Vermerk der Landtagsverwaltung umstritten

Ein Ende nach Recht und Gesetz?

Stand: 15.03.2012, 17:12 Uhr

Eine juristische Feinheit führte in NRW zum Ende der rot-grünen Minderheitsregierung. Die Landtagsverwaltung hatte festgestellt, dass ein Scheitern der Haushalts 2012 in der zweiten Lesung auch sein Aus bedeute. Doch diese Einschätzung ist umstritten.

Von Dominik Reinle

Befasst hat sich die NRW-Landtagsverwaltung schon länger damit: Was passiert, wenn "der Haushalt in der zweiten Lesung im Plenum abgelehnt wird"? Die Frage ist bereits Mitte August 2011 Thema eines internen Vermerks, der WDR.de vorliegt. Anstoß für diese Überlegungen sei die neue politische Situation gewesen, die sich im Sommer 2010 durch die erste Minderheitsregierung in NRW ergeben habe - sagte Hans Zinnkann, Pressespecher des NRW-Landtages, am Donnerstag (15.03.2012). "Die Landtagsverwaltung wollte sich deshalb auf unübersichtliche Abstimmungsverhältnisse vorbereiten."

Landtagsverwaltung informierte kurzfristig

"Akut zugespitzt", so Zinnkann, habe sich die Lage dann im Vorfeld der Abstimmung über den Haushalt 2012, dessen zweite Lesung für Mittwoch (14.03.2012) festgesetzt war. Der Grund: Sowohl die Linkspartei als auch die FDP hatten am Dienstagmorgen (13.03.2012) bekräftigt, dem Haushalt nicht zustimmen zu wollen. "Das war zuvor nicht unbedingt zu erwarten gewesen", sagte Landtagssprecher Zinnkann. Daraufhin habe die Landtagsverwaltung am Dienstag um 15 Uhr die Parteien über die rechtlichen Konsequenzen aus ihrer Sicht informiert. Kurz vor 18 Uhr sei dann der schriftliche Vermerk nachgereicht worden. In dem WDR.de vorliegenden Papier heißt es: "Die Beschlüsse der zweiten Lesung des Plenums sind verbindlich für den Inhalt des Haushaltsplans." Wenn der Haushalt bei dieser Abstimmung also scheitere, sei er endgültig gescheitert. Die Ablehnung könne dann in der dritten Lesung "nicht mehr korrigiert werden".

"Nur eine mögliche Interpretation"

Prof. Christian von Coelln, Staats- und Verwaltungsrechtler an der Universität Köln

Christian von Coelln

Für Professor Christian von Coelln, Staats- und Verwaltungsrechtler an der Universität Köln, ist die Einschätzung der Düsseldorfer Landtagsverwaltung keineswegs zwingend. "Es handelt sich zwar um eine mögliche Interpretation der Rechtslage, aber sie ist nicht völlig frei von Zweifeln", sagte Coelln. "Es gibt zumindest noch eine andere Interpretation, die man mit mindestens ebenso guten Argumenten vertreten kann." Seine Zweifel, so Coelln, begründeten sich daraus, dass die Geschäftsordnung des NRW-Landtages für Haushaltsgesetze zwingend eine dritte Lesung vorsehe. Erhellend sei dabei ein Vergleich mit der Geschäftsordnung des Bundestages. Darin gebe es nämlich eine Vorschrift, die besage, dass eine Vorlage abgelehnt sei und jede weitere Beratung unterbleibe, wenn in der zweiten Beratung alle Teile eines Gesetzesentwurfes abgelehnt würden.

"Das ist genau die Situation, die in NRW entstanden ist", sagt Coelln. "Nur der Unterschied ist: In der Geschäftsordnung des NRW-Landtags ist diese Vorschrift eben nicht vorhanden." Seine juristische Schlussfolgerung: "Insofern könnte man hier auch sehr gut mit dem Umkehrschluss argumentieren und sagen: Weil es diese Vorschrift in NRW nicht gibt, hätte hier eine dritte Lesung stattfinden können, in der der Landtag den Haushalt dann auch hätte beschließen können - selbst wenn er ihn in der zweiten Lesung abgelehnt hat."

Wurde der Vermerk lanciert?

Die im Raum stehende Frage, ob der Vermerk des NRW-Landtagsverwaltung möglicherweise inhaltlich und zeitlich von politischer Seite lanciert wurde, ist Spekulation - aber nicht auszuschließen. "Für ein Papier dieser politischen Bedeutung ist der Vermerk mit drei Seiten überraschend kurz", sagte Professor Janbernd Oebbecke, Staats- und Verwaltungsrechtler an der Universität Münster. "Offenbar musste es sehr schnell gehen." Die Landtagsverwaltung widerspricht Vermutungen, es sei von außen Einfluss genommen worden. "Das hat sich aus der Situation heraus ergeben", sagte Landtagssprecher Zinnkann.

"Unabhängig davon wie der Vermerk zustande gekommen und ob er rechtlich tragfähig ist: Die darauf folgende Auflösung des Landtages ist kein Automatismus gewesen", sagte Professor Coelln. "Aus rechtlichen Gründen hätten die Parteien das Parlament nicht auflösen müssen." Das sei eine eigenständige Entscheidung der Politik gewesen.

Neuwahl aus Angst vor Gesichtsverlust

Wenn aber die Entscheidung bei den Parteien gelegen hat - weshalb wurde dann der Landtag aufgelöst? Die Interessen von SPD und Grünen liegen auf der Hand. Die Umfragen für die anstehende Landtagswahl im Mai sagen eine stabile Mehrheit für eine rot-grüne Koalition voraus. Auch der CDU wird ein gutes Ergebnis prognostiziert. Dagegen drohen Linkspartei und FDP an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern. Aber weder die Linke noch die FDP konnten und wollten es sich wohl leisten, ein weiteres Mal als Mehrheitsbeschaffer für die rot-grüne Minderheitsregierung zu fungieren. Der Gesichtsverlust wäre für sie offensichtlich zu groß gewesen.