Faktencheck zum TV-Duell - Aussagen unter der Lupe

Stand: 01.05.2012, 10:23 Uhr

Knapp zwei Wochen vor der NRW-Landtagswahl am 13. Mai stellten sich Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) und ihr Herausforderer Norbert Röttgen (CDU) in einem TV-Duell den Fragen von Gabi Ludwig und Jörg Schönenborn. WDR.de überprüft mit Hilfe von Experten einige ihrer Thesen, Meinungen und Behauptungen.

Ein politischer Schlagabtausch ist schnelllebig. Auch in gut 60 Minuten bleibt oftmals keine Zeit, Aussagen der Kontrahenten auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu prüfen. Deshalb hakt WDR.de nach und lässt einige Aussagen der beiden Spitzenkandidaten von den Experten Rainer Kambeck (RWI), Klaus Klemm (Uni Duisburg-Essen) und Jürgen Döschner (WDR-Wirtschaftsredaktion) unter die Lupe nehmen.

Thema Bildung und Kita-Ausbau

Strittig war zwischen Hannelore Kraft und Norbert Röttgen die Frage des Kita-Ausbaus. Norbert Röttgen behauptet: "Nordrhein-Westfalen ist unter Ihrer Verantwortung auf den letzten Platz bei der Kindertagesbetreuung zurückgefallen." Hannelore Kraft behauptet hingegen: "Den letzten Platz haben wir 2009 erreicht." Wer hat recht?

Klaus Klemm, Professor der Uni Duisburg-Essen, erklärt, dass die Daten zum Ausbau des Angebots von Krippenplätzen für unter Dreijährige (U3) regelmäßig zum 01.03. eines Jahres erhoben werden. "Da der Stichtag 01.03.2010 in den letzten Monaten der Rüttgers-Regierung lag, hat Frau Kraft recht." NRW habe auch schon 2009 das Schlusslicht gebildet. "Aus den Meldungen des Statistischen Bundesamtes geht hervor, dass NRW bei der Betreuungsquote in den Jahren 2010 mit 14,0 Prozent und 2011 mit 15,9 Prozent jeweils die niedrigste Quote aller Bundesländer hatte."

Das dritte Kita-Jahr wurde von Rot-Grün beitragsfrei gestellt. Norbert Röttgen kritisiert diesen Schritt, "jetzt werden die Besserverdienenden entlastet, das hätte man intelligenter machen können". Wie sozial gerecht ist diese Beitragsfreiheit?

Klaus Klemm ist von diesem Instrument wenig überzeugt: In der Sache sei es "eine unsinnige Freistellung". Die Tatsache, dass im letzten vorschulischen Kindergartenjahr alle Eltern von Kindergartengebühren freigestellt sind, "bringt den ausgesprochen einkommensschwachen Eltern nichts, da sie auch schon vor dieser Entscheidung keine Gebühren zahlen mussten." Fraglos hätten die Bezieher kleinerer Einkommen dadurch einen Nutzen. Der komme aber auch den wirklich gut verdienenden Eltern zu gute. "Es gibt allerdings kein Bundesland, in dem die Freistellung von Gebühren nicht auch für die Bezieher hoher Einkommen gilt."

Thema Haushalt und Finanzen

Zur Neuverschuldung sagte Hannelore Kraft, NRW liege "im Vergleich zu anderen Bundesländern im guten Mittelfeld." Stimmt das?

Rainer Kambeck vom RWI in Essen betont, dass die Bezugsgröße entscheidend ist: Vergleiche man die Neuverschuldung oder die insgesamt angelaufenen Schulden, also den Schuldenstand, ohne die Größe des Landes zu berücksichtigen, stehe NRW am schlechtesten da. "Üblich und ökonomisch sinnvoll ist es aber, dass die Neuverschuldung und der Schuldenstand in Bezug zur Einwohnerzahl gesetzt werden." Die Haushalte der Länder werden in Deutschland vom Stabilitätsrat überwacht. Bei der Nettokreditaufnahme und dem Schuldenstand je Einwohner ist NRW nach Angaben des Stabilitätsrats nicht das Schlusslicht. Allerdings sei Nordrhein-Westfalen jeweils deutlich schlechter als die anderen großen Flächenländer Bayern und Baden-Württemberg. "NRW hier als ‚gutes Mittelfeld‘ zu bezeichnen, ist allerdings irreführend, denn die Länder sind insgesamt (zu) hoch verschuldet." Gutes Mittelfeld würde für Rainer Kambeck bedeuten, dass man erhebliche Anstrengungen unternehmen muss, "um den Haushalt wieder auszugleichen und die Belastungen der Verschuldung - insbesondere durch hohe Zinszahlungen – zu reduzieren."

Norbert Röttgen warf der Ministerpräsidentin vor: "Sie lehnen ja auch ab, die Schuldenbremse in Nordrhein-Westfalen einzuführen." Darauf sagte Hannelore Kraft entschieden: "Das ist falsch." Die SPD habe negative Auswirkungen auf die Haushalte der Kommunen befürchtet. Wer hat wann entsprechende Gesetzentwürfe in den NRW-Landtag eingebracht? Und wie sieht es im Vergleich zu anderen Bundesländern aus?

Rainer Kambeck vom RWI in Essen sagt, dass zweimal entsprechende Gesetzentwürfe für eine Änderung der Landesverfassung eingebracht worden sind: 2009 von der CDU und der FDP und 2011 von der CDU. In beiden Fällen gab es keine verfassungsändernde Mehrheit von zwei Dritteln, unter anderem die SPD habe dem nicht zugestimmt. Zum Hintergrund erklärt der Wissenschaftler: "Im August 2009 wurde die Schuldenbremse in die Verfassung Deutschlands aufgenommen. Während die dort formulierte Schuldenbremse für den Bund seit dem Haushaltsjahr 2011 anzuwenden ist, haben die Länder noch bis Ende 2019 Zeit, die neue Verschuldungsbegrenzung entweder in ihre Landesverfassung zu übernehmen oder entsprechende Haushaltsgesetze zu erlassen." Fünf der 16 Bundesländer (Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Niedersachsen) haben bereits die Schuldenbremse in ihrer Landesverfassung. Weitere sieben Länder (Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Hamburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen) haben sie zumindest in ihre Landeshaushaltsordnungen übernommen. "Das ist weniger verbindlich als die Aufnahme in der Landesverfassung, weil die Haushaltsordnung mit einfacher Mehrheit im Parlament geändert werden kann."

Thema: Energie und Industriepolitik

Hannelore Kraft wirft Bundesumweltminister Norbert Röttgen vor, er habe die Förderung der erneuerbaren Energien in einer Weise abgesenkt, "dass es auch Unternehmen in NRW gefährdet". Stimmt das?

ARD-Energieexperte Jürgen Döschner stellt zunächst einmal fest: "Fakt ist, dass die von der Bundesregierung geplante Kürzung und Umorganisation der Solarförderung die durch die chinesische Billigkonkurrenz ohnehin gebeutelte deutsche Solarwirtschaft noch weiter unter Druck setzen wird. Fakt ist aber auch, dass es weltweit und insbesondere in Deutschland erhebliche Überkapazitäten bei der Herstellung von Solarmodulen gibt." Dieses Phänomen gebe es oft bei neuen Technologien, die auf dem Weg zur Marktreife sind. "Allerdings ist NRW von der Krise der Solarindustrie nicht so hart getroffen, wie manche annehmen, da hier der größte Teil der Beschäftigten im Bereich Installation und Planung zu finden sind und das größte deutsche Solarunternehmen Solarworld mit Sitz in Bonn einen Großteil der Produktion schon längst ins Ausland verlagert hat."

Unstrittig ist, dass NRW, was den Ausbau der erneuerbaren Energien anbelangt, im Bundesvergleich auf dem letzten Platz liegt. Aber wer ist schuld? Norbert Röttgen behauptet: "Es gibt eine Regierung in Deutschland, die die Energiewende nach Strich und Faden verschlafen hat und das sind Sie." Doch Hannelore Kraft entgegnet: "Herr Rüttgers hat mit CDU und FDP den Ausbau der Windenergie bekämpft." Wer hat recht?

Jürgen Döschner sagt, es sei in der Tat so, dass die schwarz-gelbe Vorgängerregierung insbesondere im Bereich Windenergie erheblich auf die Bremse getreten hat. "CDU und FDP sprachen bei ihrem Regierungsantritt 2005 von 'ökonomischem Mumpitz' und warnten vor einer 'Verspargelung der Landschaft'. Mit ihrem Windkrafterlass von 2005 wurde unter anderem das 'Repowering', also die Verstärkung bestehender Anlagen, und der Zubau neuer Windräder erheblich erschwert." Rot-Grün habe diese Restriktionen kürzlich aufgehoben. "Abgesehen davon gilt für das Land NRW dasselbe wie für den Bund – dass nämlich die Energiewende keine Angelegenheit von Monaten oder wenigen Jahren, sondern eine 'Jahrhundertaufgabe' ist, wie Norbert Röttgen selbst einmal sagte."