Bundesumweltminister Norbert Röttgen (02.03.2011); Rechte: dpa

CDU wählt Röttgen mit 96 Prozent

Der Kandidat legt das Fremdeln ab

Stand: 04.04.2012, 21:46 Uhr

Am Ende hatten ihn doch alle lieb. Oder besser: fast alle. Mit 96 Prozent wählte die NRW-CDU Norbert Röttgen am Mittwochabend zu ihrem Spitzenkandidaten. Zuvor hatte er in einer kämpferischen Rede die Regierung Kraft scharf angegriffen. Seine Botschaft: "Schulden sind unsozial."

Von Sven Gantzkow

Der Wahlmodus ist kompliziert, CDU-Generalsekretär Oliver Wittke brauchte mehrere Minuten, um ihn den Delegierten zu erklären. Der Grund für die umständlichen Ausführungen: die Rechtssicherheit. "Sie wollen ja sicherlich nicht nochmal kommen müssen,weil irgendetwas nicht den Vorschriften entsprach", entschuldigte sich Wittke halb im Scherz und legte nach: "Auch wenn Sie die Rede von Norbert Röttgen sicher noch einmal hören wollen."

Der Kandidat wird seiner Partei vorgestellt

Ob die Delegierten der NRW-CDU, die am Mittwochabend (04.04.2012) zur Wahl ihrer Landesliste in die Stadthalle Mülheim gekommen waren, sich die Rede ihres Spitzenkandidaten für das Ministerpäsidentenamt wirklich noch einmal angehört hätten, sei mal dahingestellt. Tatsache ist, dass Röttgen die 248 erschienenen Unionsmitglieder mit seiner rund dreiviertelstündigen Rede überzeugt hat. Vielleicht mehr, als zu erwarten war. Denn dieses Fremdeln, das ihm wegen seiner Weigerung, sich auch im Falle eines Misserfolgs auf NRW festzulegen, immer wieder unterstellt wird, war zu Beginn der Veranstaltung noch ein bisschen zu spüren. "Herzlich Willkommen bei Deiner CDU", begrüßte Wittke den Bundesumweltminister, der sich um eine halbe Stunde verspätet hatte - und irgendwie klang es, als würde er Röttgen seinem Landesverband erstmal offiziell vorstellen.

Querelen im Vorfeld des Parteitags

Doch nicht nur Röttgens unterstellte Fahnenflucht, und der Unmut mancher seiner Parteikollegen an der Basis ließ die NRW-Union in den vergangenen Tagen uneins wirken. Auch die Erstellung der Landesliste soll am Wochenende (31.03./01.04.2012) zu Querelen geführt haben. Ein Bezirkschef sah seinen Verband unterrepräsentiert, eine Tageszeitung schlachtete die Unstimmigkeiten zum handfesten Streit aus. Noch am Morgen stellte Röttgen klar, er verstehe die Kritik nicht, da der entsprechende Bezirkschef der Liste am Wochenende noch zugestimmt habe. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) hatte am Nachmittag ihre ganz eigene Interpretation der Geschichte: "Ich weiß nicht, ob das nicht alles lanciert wurde, damit die CDU die Wahl ihres Spitzenkandidaten als großen Erfolg verkaufen kann."

"Demonstration der Geschlossenheit"

Das Ergebnis fiel tatsächlich nicht so fulminant aus wie bei Hannelore Kraft (99,3 Prozent Zustimmung) oder FDP-Spitzenkandidat Christian Lindner (100 Prozent). Trotzdem waren die 96 Prozent, die Röttgen einfuhr, ein deutliches Bekenntnis der Partei zu ihrem Kandidaten. Von einer "Demonstration der Geschlossenheit und Entschlossheit" sprach Röttgen zum Schluss des Parteitags. Die Erleichterung war ihm anzumerken. Jetzt hat er es schwarz auf weiß: Die Partei steht hinter ihm.

"Kabinett Kraft: eine Ansammlung namenloser Inkompetenz"

Was angesichts seiner Rede kein Wunder war: Röttgen wirkte, als sei er endlich aufgewacht. Bislang hatte er bei Pressekonferenzen und Wahlkampfterminen etwas müde gewirkt, in der Auseinandersetzung mit der amtierenden Landesregierung sogar regelrecht zahnlos, als scheue er die direkte Konfrontation. Umso größer die Überraschung, als er sich auf der Bühne in Mülheim angriffslustig, widerborstig, nachdrücklich und sachorientiert präsentierte. Der Parteitag bekam einen Spitzenkandidaten zu spüren, der Kampfeslust ausstrahlte ("Hannelore Kraft ist an ihrer eigenen Überheblichkeit gescheitert"), der vollmundig austeilte ("Dieses Kabinett ist eine Ansammlung von namenloser Inkompetenz") und die CDU als klaren Gegenentwurf zur Schuldenpolitik der Regierung Kraft stilisierte ("Wir sind die Alternative zur inhaltsleeren Koalition in NRW"). Schüsse gegen Rot-Grün, ständig beteuertes Wir-Gefühl, inhaltliche Entschlossenheit - das kam an beim Plenum. Schon während der Rede hatte Röttgen rhythmischen Beifall geerntet, der beim Schlussapplaus minutenlang anhielt.

Lieblingsthema Nummer eins: die Schulden

Schluss müsse sein mit der Schuldenpolitik des Kabinetts Kraft, betonte er immer wieder. "Das, was diese Landesregierung macht, ist Zukunftsdiebstahl", rief er in den Saal. "Sie häufen einen Schuldenberg an, unter dem unsere Kinder und Enkelkinder begraben werden." Die Schulden von heute seien nicht die Steuern von morgen, wie Hannelore Kraft immer sage. "Die Schulden von heute sind die Steuererhöhungen und Zinslasten von morgen", sagte er. Mit den Steuermehreinnahmen, die zurzeit so hoch wie noch nie seien, wolle er die Neuverschuldung systematisch abbauen. "Die Behauptung, es gebe gute Schulden, ist falsch. Verschuldung ist unsozial."

Lieblingsthema Nummer zwei: Energieland NRW

Röttgen hob bei seiner Mission, Zukunft schuldenfrei gestalten zu wollen, auf seine eigene Generation der Babyboomer ab, die 40 Jahre konsequent erlebt und mitgestaltet habe, dass in Deutschland über die Verhältnisse gelebt wurde. Damit müsse Schluss sein. Er werbe für einen neuen Politikstil der Konsolidierung. Wichtiges Standbein dabei: die Energiepolitik. "Wir sind das prädestinierte Land, um aus der Energiewende Kapital zu schlagen", sagte er. "Mit mir wird Energiepolitik zur Chefsache." Seine Kandidatin für ein eigenes Energieministerium hatte er mit der parteilosen Wirtschaftswissenschaftlerin Claudia Kemfert bereits am Mittwochmorgen (04.04.2012) vorgestellt.

CDU macht ihren Frieden mit Röttgen

Seine Zugeständnisse an die Regierung - keine Wiedereinführung von Studiengebühren, kostenfreies Kita-Jahr - erwähnte er in seiner Rede nicht. Sie finden sichb aber im sogenannten Wahlaufruf der Union, einer aktualisierten Version des Wahlprogramms von 2010. Die Union nennt es Stärkung des Vertrauens in Kontinuität. Der ehemalige Koalitionspartner FDP kritisiert es als Umfallertum.

Mögliche Verbündete hat Röttgen sich damit nicht gemacht. Zwar ließ er keinen Zweifel daran, dass die CDU nur mit einem Koalitionspartner regieren könne und beanspruchte für diesen Fall das Schulministerium für die Union. Wer der neue Kompagnon werden könnte, ist erstmal egal. Denn der innere Friede in der CDU - er ist wieder hergestellt.